Weil Fitnessstudios immer noch geschlossen und Sportveranstaltung größtenteils abgesagt sind, profitieren derzeit die Home-Workout-Anbieter. Wie werden sie sich nach dem Ende der Lockdowns halten?

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Rebecca Louise fackelt nicht lange. Keine Vorstellrunde, kein Smalltalk vor dem Start. "Ich will, dass jeder 110 Prozent Einsatz zeigt", ruft die Fitnesstrainerin aus dem Bildschirm. "Du wirst dich großartig fühlen." Schon geht es los: leichtes Joggen, Kniebeugen, Sit-ups, Planks, Liegestütze, Beinheben. "Immer schön atmen. Keine Pause." Alles wiederholen. "Fühlst du dich gut? Fühlst du dich gepumpt?" Es ist mehr ein Ausruf als eine Frage. Die Antwort will und kann hier niemand hören. "Wir halten dich leistungsfähig", heißt es zum Abschluss. Als Belohnung wird eine Werbung zu einer neuen Fitness-App gespielt, bis das nächste Video automatisch anläuft.

Rebecca Louise ist nur eine von tausenden Fitness-Stars, die durch die Corona-bedingten Schließungen von Sport- und Fitnesszentren gerade einen gewaltigen Auftrieb erfahren. Was früher Jane Fonda für die Aerobic-Bewegung war, sind heute Fitness-Influencer, die auf Instagram oder Youtube mit kurzen Home-Workouts Millionen Follower trainieren und damit Rekordeinnahmen erzielen. Sie verhelfen der neuen Welt der Hometrainer, Social-Fitness-Apps, Streamingdienste, Selbstoptimierungsgeräte und schnellen Abnehmprogramme zu bahnbrechenden Wachstumsraten.

Schon in den ersten fünf Wochen nach Beginn des ersten Lockdowns in Österreich im März 2020 stieg laut der Preisvergleichsplattform Idealo hierzulande die Nachfrage nach Fitnessgeräten um das Dreizehnfache. Gekauft wurden vor allem Hanteln, Hometrainer und Sportmatten. Für den aktuellen Lockdown rechnet man sogar mit einem noch höheren Anstieg.

70 Millionen Strava-User

Auch die Downloadzahl von Fitness-Apps katapultiert sich in neue Höhen. Strava, eine App, bei der Läufer und Radfahrer ihr Training aufzeichnen und online vergleichen können, hat laut eigenen Angaben mittlerweile mehr als 70 Millionen Nutzer weltweit und lukrierte mehr als 110 Millionen US-Dollar. Und auch Unternehmen wie Sportartikler Nike oder Apple sind mittlerweile mit neuen Streamingdiensten für Yoga-, Radfahr- und Kraftübungen in das Geschäft eingestiegen.

Es ist ein harter Wettbewerb, in dem es darum geht, sich am schnellsten die neuen Heimsportler zu sichern – und erfinderisch zu sein. So verleihen Fitnessstudios die Sportgeräte nun gegen eine Gebühr an Kunden; das US-Unternehmen Peloton hat seine Indoor-Bikes um Echtzeitrennen erweitert, damit man gegen andere Nutzer anradeln kann – und als Ersatz für den Masseur im Gym können Heimsportler Massagepistolen per Klick bestellen und die verspannten Muskeln selbst wegballern (siehe unten).

Neue Stars

Die Stars der neuen Fitness-Bewegung heißen Pamela Reif, Stephanie Davis, Nora Turner oder Sophia Thiel – Menschen, die als Personal Trainer, Bodybuilder oder Hobby-Sportler begannen und nun mit Kooperationen wie Werbelinks zu Unternehmen oder klassischen Produktplatzierungen – wie die Markenschuhe beim Sport zu tragen – satte Einnahmen einfahren. Mehr als 17.000 Euro können Influencer wie Reif laut der Agentur Influence.vision pro Post verdienen. Daneben vertreiben viele eigene Fitness-Apps, vermarkten Bücher oder eröffnen Merchandise-Produktlinien.

Neben perfekt gestylten Trainern, die in schicken, cleanen Workout-Studios vorturnen, soll es vor der Kamera auch um Authentizität und Persönliches gehen. So handeln die Posts einiger Influencer immer wieder auch von persönlichen Geschichten auf dem Weg zum Fitness-Star. Viele der Fitness-Influencer und App-Anbieter versprechen zudem, Gesundheit und Sport für viele Menschen weitaus attraktiver und zugänglicher zu machen. Aber kann das Versprechen auch eingelöst werden?

Fehlerhafte Übungen

"Es ist gut, dass es Online-Angebote gibt, die Training vor Ort zumindest teilweise ersetzen", sagt Bernhard Franzke, Sport- und Ernährungswissenschafter an der Universität Wien. "Aber online geht auch mit einem Qualitätsverlust einher." Es gebe weniger bis kein Feedback für die Trainierenden, zudem fehle der soziale Austausch, der viele Menschen zu sportlicher Betätigung animiert. "Dass ein Trainer bei einem Zoom-Gruppentraining fehlerhaft durchgeführte Übungen der Teilnehmer korrigieren kann, ist illusorisch." Während der Lockdowns hätten die Österreicher weniger gezielt Sport betrieben, so Franzke.

Ähnlich sieht es auch Barbara Prüller-Strasser, Ernährungswissenschafterin an der Sigmund-Freud-Universität Wien. "Home-Workout setzt in den meisten Fällen ein Interesse an Bewegung und gute Fitness voraus." Angesprochen würden junge Menschen, die schon zuvor viel Sport gemacht haben.

Ältere Menschen ausgenommen

Influencer wie die 23-jährige Pamela Reif erreichen mit ihren Videos und Posts daher auch größtenteils Menschen im Alter von 18 bis 34 Jahren, wie aus verschiedenen Auswertungen hervorgeht. Und auch Social-Fitness-Apps wie Strava sprechen Studien zufolge allen voran Nutzer zwischen 24 und 34 Jahren an.

"Ältere Menschen sind von den Online-Angeboten meist komplett ausgenommen", sagt Prüller-Strasser. Viele hätten wenig Erfahrung, bräuchten oft individuelle und professionelle Begleitung.

Ein Großteil der Heimsportler werde nach dem Ende der Lockdowns wieder in Fitness- oder Sportzentren zurückkehren, prognostiziert die Expertin. Jene, die stark leistungsorientiert sind, könnten aber auch danach noch vermehrt zu Hause trainieren. Damit wäre auch den neu entstandenen Influencern und Fitness-Apps zumindest ein Teil der Kundschaft in den nächsten Jahren gewiss. (Jakob Pallinger, 8.1.2021)