Wien – Knapp, aber pünktlich erscheint Werner Kogler (Grüne) zum Termin. Schon wieder stand auf höchster Ebene eine Sitzung zum Impfplan der Republik gegen das Coronavirus an. Dennoch wirkt der Vizekanzler recht entspannt – und das, obwohl er im dritten Lockdown nicht zu jenen gehört, die die letzten Tage zum Skifahren nutzten.

"Wer viel entscheidet, macht auch Fehler. Noch schlimmer wären fehlende Entscheidungen", sagt Vizekanzler Werner Kogler.
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STANDARD: Sie kommen gerade von einer Besprechung im Kanzleramt. Nachdem Sebastian Kurz (ÖVP) den Corona-Impfplan des grün-geführten Gesundheitsressorts umgekrempelt hat: Was hat der Kanzler diesmal "angeordnet"?

Kogler: Lassen wir die Kirche im Dorf. Das war eine gemeinsame Entscheidung, denn das Kanzleramt ist seit Wochen integriert in die Entscheidungen der verantwortlichen Gremien für die Impfungen. Heute haben wir uns mit den Bundesländern darauf verständigt, dass jene Dosen, die nicht sofort in den Pflege- und Altenheimen verimpft werden, den über 80-Jährigen zu Hause zugutekommen sollen – und dafür braucht es natürlich die entsprechende Logistik.

STANDARD: Nach einem Jahr Pakt mit der ÖVP: Was muss besser werden in der Koalition? Zuletzt gewann man immer wieder den Eindruck, die Kanzlerpartei hängt den Grünen die Verantwortung für alle Pannen beim Corona-Management um.

Kogler: Wegen Corona fielen in den letzten zehn Monaten enorm viele Entscheidungen, von denen nicht wenige kurzfristig eingetaktet werden mussten – und zwar stets im Konsens oder im Kompromiss. Wie in allen europäischen Ländern folgen darauf freilich oft Debatten über die Verhältnismäßigkeit und die Rechtsstaatlichkeit. Und wer viel entscheidet, macht auch Fehler, keine Frage. Was ich Rudi Anschober im Gesundheitsministerium hoch anrechne, ist, dass dort eine gute Fehlerkultur herrscht. Heißt: Man steht dazu und versucht, diese künftig zu vermeiden. Noch schlimmer als Fehlentscheidungen wären ja fehlende Entscheidungen. Unterm Strich wird die Bilanz im europäischen Vergleich aber rückblickend in einem Jahr gut ausfallen.

STANDARD: Dennoch wirkt es so, dass die ÖVP den Grünen keine Erfolge lässt und die Grünen nicht punkten können.

Kogler: Es zählt das Erreichte, es reicht nicht das Erzählte. Tatsache ist: Wir setzen viel durch und um – sowohl in Bereichen der Umwelt- und Wirtschaftspolitik als auch bei der sozialen Absicherung. Das sind grüne Meilensteine. Die Krisensicherungspakete in der Wirtschaft sind zu 60 oder 70 Prozent auf Modernisierung und Ökologisierung abgestellt – und eben nicht auf Konservierung. Das ist enorm, ob ich jetzt die Investitionsmilliarden hernehme oder die Regulative, die gewisse Bereiche der fossilen Energie ausschließen.

"Mittlerweile gäbe es viele Schmankerln zu berichten, die Anlass zum Schmunzeln geben könnten – und vielleicht schreibe ich ja einmal ein kleines Büchlein dazu": Vizekanzler Kogler über koalitionäre Spielchen.
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STANDARD: Die Frage hat weniger darauf abgezielt, was den Grünen gelungen ist, sondern: Sehen das die potenziellen Grün-Wähler auch? In den Umfragen profitiert die ÖVP.

Kogler: Wie das die Wählerinnen und Wähler sehen, erkennt man am besten daran, dass wir seit 2019 bei jeder Wahl dazugewonnen haben, und zwar mit historischen Höchstständen. Ich gebe zu, dass das da oder dort übersehen wird, aber auch in der sozialen Absicherung haben wir bei dem Teil der Steuerreform, der vorgezogen worden ist, die untersten Einkommen entlastet, und jene, die keine Steuern zahlen, bekommen Nachlässe in den Sozialversicherungsbeiträgen. Oder der Kinderbonus: 360 Euro – und für jedes Kind gleich viel. Das hat auch die Sozialdemokratie in früheren Regierungen trotz roter Kanzlerschaft und rotem Sozialminister gegenüber der ÖVP nicht durchgesetzt. Das Arbeitslosengeld, von dem so viel geredet wird: Wenn ich da über sechs Monate über 150 Euro dazutue, dann ist das nicht so wenig. Das hat es noch nie gegeben. Die 900 Euro sind für jemanden, der ein geringes Arbeitslosenentgelt bekommt, eine spürbare Erhöhung.

STANDARD: Aber soll das Arbeitslosengeld dauerhaft angehoben werden?

Kogler: Die Sozialsprecher und Klubobleute diskutieren das im Parlament – aber das ist dann schon für die Post-Corona-Zeit vorgesehen. Aktuell investieren wir sehr viel in die Arbeitsstiftungen und in den Bildungsbonus: 180 Euro im Monat für jemanden, der sich in Weiterbildung und Schulung begibt, sind nicht so schlecht. Jetzt haben wir den Schwerpunkt einmal dorthin gelegt.

STANDARD: Post-Corona stellt sich auch die Frage, wer das bezahlen soll. In der STANDARD-Neujahrsumfrage haben 49 Prozent große Sorgen bekundet, dass es zu einem Sparpaket kommt.

Kogler: Wir finanzieren die Corona-Schulden derart günstig, dass wir von dorther keinen Druck verspüren: Wir nehmen das Geld zu Konditionen auf, bei denen wir aufgrund des realen Zinssatzes de facto Geld dafür bekommen, dass wir investieren können. Der Schuldenstand 2021 entspricht jenem der Finanzkrise 2008/09 – nur haben wir damals spürbar Zinsen zahlen müssen. Würden wir uns auf die jahrzehntelang dominierenden neoliberalen Wirtschafts- und Finanzkonzepte verlassen, die in dieser Krise abgedankt haben, kämen wir in eine Abwärtsspirale und würden zu wenig investieren.

STANDARD: Also kein Anlass für ein Sparpaket?

Kogler: Es gibt auf Regierungsebene keine Diskussion über ein Sparpaket – und wir werden das auch unterbinden. Wobei das so harmlos klingt: "Sparpaket". In Wirklichkeit wäre es ja ein Kürzungspaket. Wenn jetzt jemand der Meinung ist, man müsste aus für mich unverständlichen Gründen mit Kürzungspaketen oder mit Steuererhöhungen eingreifen, dann, spätestens dann, werden die Millionenerben die Ersten sein, die einen Beitrag leisten müssen.

STANDARD: Aber eher ginge doch ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass die ÖVP eine Vermögensbesteuerung zulassen würde?

Kogler: Natürlich werden wir mit der Expertise der Wirtschaftsforschungsinstitute weiterarbeiten und schauen, wie wir in der Steuersystematik zu einer Verteilungsgerechtigkeit kommen. Aber das ist nicht im Regierungsprogramm – weil damals auch keine Corona-Krise zu erkennen war. Wir haben den Schwerpunkt auf die ökologisch-soziale Steuerreform gelegt, dort wird die Reise auch hingehen. Für 2022 war der Einstieg in die CO2-Bepreisung vorgesehen, und genau das wird jetzt vorbereitet.

STANDARD: Der Benzinpreis wird von Umweltschützern als skandalös niedrig empfunden – wäre es nicht konsequent, da kräftig zu besteuern?

Kogler: Das ist Teil der ökologisch-sozialen Steuerreform, und an dem Plan, der selbstverständlich auch Treibstoffe betreffen wird, wird festgehalten. Es ist eine Frage, wie man da genau vorgeht, und wir werden sicher "best practice" vorgehen, weil sich da ja international auch schon ein bisserl was bewegt. Zusätzlich muss ich aber betonen, dass die Preisgestaltung so aussehen muss, dass umweltfreundliches Verhalten, sowohl im Konsum als auch in der Produktion, billiger wird. Zum Teil haben wir ja damit begonnen: Wir haben die Flugticketabgabe für Ultrakurzstreckenflüge massiv erhöht – während noch heuer umgesetzt wird, dass man mit nur drei Euro am Tag durch ganz Österreich kurven kann. Der öffentliche Verkehr wird mit dem 1-2-3-Klimaticket massiv billiger werden. Gerade für einkommensschwächere Haushalte kommt es zu einer massiven Absenkung der Mobilitätskosten. Also: Das Gute wird billiger, das Schädliche teurer. Und das wird sich so fortsetzen: Mit Finanzmitteln kann man massiv umsteuern. Wobei es wichtig ist, dass an anderer Stelle Steuern gesenkt werden beziehungsweise Vergütungen ausgeschüttet werden. Ökologisch-sozial heißt ja nicht nur: Wo kommt was drauf, sondern auch: Wo gehen Abgaben runter?

Kogler stellt klar: "Ökologisch sozial heißt nicht nur: Wo kommt was drauf, sondern auch: Wo gehen Abgaben runter?"
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STANDARD: Unterm Strich also aufkommensneutral?

Kogler: Ja, denn das ist immer der Vorwurf: Man sackelt irgendwas ein wegen irgendwelcher Budgetlöcher. Die Steuerbelastung soll insgesamt nicht steigen, in Wirklichkeit sinkt sie ja sogar. Dann tut man sich auch leichter in der Argumentation, warum es in manchem Bereich teurer wird.

STANDARD: Der Autofahrer soll mehr zahlen und wird darauf verwiesen, dass er ja das Drei-Euro-Ticket statt des Autos benutzen könnte?

Kogler: Das ist natürlich auch eine Frage des Angebots, sonst hab’ ich vom Preis nix. Daher würde ich es nicht so einfach argumentieren. Die Ausbaumaßnahmen, die Taktfahrpläne müssen natürlich passen – dafür haben wir mehrere Milliarden mobilisiert, gerade auch für den Regionalverkehr.

STANDARD: Vor einem Jahr drang schon während der Koalitionsverhandlungen das Gerücht an die Medien, dass sich die Grünen für ein Insektenschutzprogramm in Fußballstadien starkmachen würden. Warum lockten Sie bisher solche Spielchen nie aus der Reserve?

Kogler: Das hätt’ ich beinahe schon vergessen. Dazu sage ich nur: Mittlerweile gäbe es viele Schmankerln aus Regierungsverhandlungen zu berichten, die Anlass zum Schmunzeln geben könnten – und vielleicht schreibe ich ja einmal ein kleines Büchlein dazu. Durchaus ernst gemacht haben wir aber damit, dass in unserem Regierungsübereinkommen ein Artenschutzprogramm vorgesehen ist wie nie zuvor. (Conrad Seidl, Nina Weißensteiner, 9.1.2021)