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Demonstranten fordern auf den Straßen Washingtons, dass Trump per 25. Verfassungszusatz des Amtes enthoben wird.

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Nancy Pelosi unterstützt das.

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Für Chuck Schumer ist der Fall klar. Auch wenn Donald Trump nur noch wenige Tage im Amt bleiben, hält der Senator aus New York das Risiko für zu groß, als dass man sich darauf einlassen könnte. Der Präsident habe gezeigt, dass jeder weitere Tag, an dem er an der Macht sei, eine Gefahr für die Demokratie bedeute, warnt Schumer, der nun, da seine Partei zwei Sitze in Georgia und damit de facto die Majorität in der Kammer gewonnen hat, zum Mehrheitsführer des Senats aufsteigt. Seine Parteifreundin Nancy Pelosi, die Chefin des Abgeordnetenhauses, formuliert es noch drastischer. Sie spricht von einer "Horrorshow für Amerika", die man sich nicht einen Tag länger anschauen dürfe.

Folglich verstärken beide den Druck auf Mike Pence. Bereits am Donnerstag hatte das Duo versucht, mit dem Vizepräsidenten über die Absetzung des Staatschefs zu reden. Trumps Stellvertreter wäre der Mann, der das Heft des Handelns in die Hand nehmen müsste. Der 25. Zusatzartikel der Verfassung, ratifiziert 1967, vier Jahre nach der Ermordung John F. Kennedys, gibt ihm das Recht, den Präsidenten für handlungsunfähig zu erklären.

Mental unfit

Die Demokraten sehen die Kriterien dafür erfüllt: Anstiftung zum Staatsstreich, um ein Votum des Volkes zu kippen, das sollte reichen. Trump habe bewiesen, dass er mental nicht gesund sei, "weil er nicht in der Lage ist, die Ergebnisse der Wahl 2020 zu akzeptieren", schrieb eine Gruppe von Abgeordneten, die dem Justizausschuss des Repräsentantenhauses angehört. In seiner Verblendung sei er so weit gegangen, zur Gewalt anzustiften. Deshalb könne und müsse man sich des 25. Verfassungsartikels bedienen.

Nicht nur die Demokraten sehen es so, auch in den Reihen der Republikaner gibt es nach dem Schock des Sturms aufs Kapitol einige, die das laut und deutlich fordern. Der Erste, der sich aus der Deckung wagte, war Adam Kinzinger, ein Veteran der Kriege in Afghanistan und im Irak, der einen Wahlkreis in der Nähe Chicagos vertritt. Der Präsident, begründet er, habe jeglichen Bezug zur Realität verloren. "Es ist an der Zeit, diesen Albtraum zu beenden." Andererseits gibt es eben immer noch etliche Republikaner, die Kinzinger nicht zustimmen oder, wenn, dann nur hinter vorgehaltener Hand. Zu ihnen gehört offensichtlich Pence, der potenzielle Hauptakteur.

Pence hob nicht ab

Als Schumer und Pelosi am Donnerstag versuchten, ihn am Telefon zu erreichen, ließ sein Büro die beiden 25 Minuten in der Leitung warten, ehe man ihnen mitteilte, dass der Vizepräsident für ein Gespräch nicht zur Verfügung stehe. Zwar ist Pence auf Distanz zu Trump gegangen, indem er sich weigerte, Joe Biden die Anerkennung des Wahlsiegs zu verweigern. Vor dem endgültigen Bruch aber scheint er zurückzuschrecken, sei es aus Angst vor der Rache der Trump-Anhänger, sei es im Wissen um die Tücken des Verfahrens.

Nach dem 25. Verfassungsartikel kann der Vizepräsident den Präsidenten eben nicht nur für handlungsunfähig erklären, sofern er eine einfache Mehrheit im Kabinett hinter sich hat. Der Präsident kann der Absetzung auch sofort widersprechen, schriftlich, in einem Brief an den Kongress, und ohne Unterbrechung weitermachen. In dem Fall hätten Pence und das Kabinett vier Tage Zeit, um ihren Beschluss erneut zu fassen. Dann wäre der Kongress gefragt, der mit einer Zweidrittelmehrheit in beiden Kammern die Amtsunfähigkeit festzustellen hätte. Innerhalb von 48 Stunden müssten die Abgeordneten mit ihren Beratungen über den Fall beginnen, dann hätten sie drei Wochen Zeit, um eine Entscheidung zu treffen.

Knappe Frist

Mit anderen Worten, das Prozedere könnte sich bis weit nach dem 20. Jänner hinziehen, dem Tag, an dem Trumps Nachfolger seinen Amtseid ablegt. Falls die Volksvertreter nicht aufs Tempo drücken, wäre es daher ein weitgehend symbolischer Akt. Und ob sich im Repräsentantenhaus eine Zweidrittelmehrheit für die Absetzung findet, ist ungewiss. Immerhin haben sich 139 der 435 Abgeordneten, allesamt Republikaner, trotz der erschreckenden Szenen im Kapitol geweigert, den Sieg Bidens zu beglaubigen. Zumindest auf ihre Unterstützung könnte Trump wohl bauen, sollte die Causa 25th Amendment zur Debatte stehen. Und ob sich weitere Republikaner mit ihnen verbünden, um dem Präsidenten die ultimative Demütigung zu ersparen, bliebe abzuwarten.

Zumindest für den Moment scheint es so, als wären Parteigranden wie Mitch McConnell oder eben Mike Pence einfach nur froh, wenn der Brandstifter am 20. Jänner die Bühne verlässt, ohne noch mehr Unheil anzurichten. Wenn er möglichst geräuschlos das tut, was er selbst, amerikanischen Medienberichten zufolge erst auf energisches Drängen seiner engsten Berater, in der Nacht zum Freitag in einer zweiminütigen Videobotschaft versprach. Wenn er der friedlichen Machtübergabe nicht mehr im Wege – und ansonsten nicht mehr im Mittelpunkt steht.

Die Aussicht, dass Trump einmal mehr, wie schon beim Impeachment-Verfahren vor einem Jahr, den Kopf aus der Schlinge ziehen und sich am Ende in der Rolle des geretteten Märtyrers inszenieren könnte, lässt viele zögern, wenn es um den 25. Verfassungsartikel geht. Zum Beispiel auch Mitt Romney, der im vergangenen Februar die Courage besaß, als einziger Republikaner für die Amtsenthebung Trumps zu stimmen. "Ich denke, wir müssen für die nächsten zwanzig Tage einfach die Luft anhalten", sagt der Senator aus Utah.

Gegen die Kandidatur 2024

Schumer und Pelosi machen eine andere Rechnung auf. Die geht ungefähr so: Ein noch vor seinem Abschied vom Oval Office eröffnetes Verfahren würde Trump nicht nur ohne jeden Zeremonienschein aus dem Amt zwingen, es würde auch seine Chancen schmälern oder vielleicht sogar begraben, 2024 noch einmal anzutreten. Auch das erklärt die Eile der Demokraten, es erklärt, warum sie Alternativen aufzeigen, falls Pence nicht handelt. Eine wäre, nach Pelosis Skizze, eine vom Kongress eingesetzte Kommission, hochkarätig besetzt mit ehemaligen Präsidenten, die dem Parlament eine rasche Absetzung Trumps nach dem 25th Amendment empfiehlt. (Frank Herrmann aus Washington, 8.1.2021)