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Aufräumarbeiten im US-Kongress. Der Schutt nach der Stürmung des Gebäudes wird bald wieder weg sein. Der Schaden für den Ruf der US-Demokratie bleibt hingegen wohl noch lange spürbar.

Foto: Samuel Corum/Getty Images/AFP

In den ersten Reaktionen auf die Erstürmung von Senat und Abgeordnetenkammer des Kapitols in Washington überwog in Europa bei führenden Politikern und in den Regierungszentralen noch der Schock. "Das ist nicht Amerika", schrieb der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell über die dabei zutagegetretene Verachtung der Demokratie durch radikale Anhänger des US-Präsidenten Donald Trump.

In Paris zeigte man sich entsetzt über diesen "beispiellosen Angriff". Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel ging einen Schritt weiter als viele ihrer Kollegen, indem sie Trump beim Namen nannte. Dieser habe Zweifel am Wahlausgang gesät, was eine Atmosphäre aufbereitet habe, "in der solche gewalttätigen Ereignisse möglich sind".

Für die transatlantischen Partner der USA – nicht nur in der EU, sondern auch im Verteidigungsbündnis Nato – stellen die Ereignisse in der Hauptstadt naturgemäß eine existenzielle Herausforderung dar. Die Amerikaner spielten nach dem Krieg eine Schlüsselrolle als Unterstützer beim Wiederaufbau demokratischer Staaten, indirekt nicht zuletzt auch der Europäischen Union, die ihre Sicherheitspolitik lange ganz auf die Militärallianz mit den USA stützte.

Von der Leyen freut sich

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen war dann auch die Erste, die nicht auf Trump, sondern sofort auf die nähere Zukunft der Zusammenarbeit einging. "Ich glaube an die Stärke der US-Institutionen und der Demokratie", erklärte sie via Twitter, noch während auf dem Kapitol der Bestätigungsvorgang für Joe Biden im Gang war. Und sie fügte hinzu: "Ich freue mich darauf, mit Biden als nächstem Präsidenten zusammenzuarbeiten."

Das scheint nun ab sofort die neue Devise auf europäischer Seite zu sein. Vergesst Trump noch vor der Angelobung von Biden. Der Republikaner hatte die Partner in EU und Nato in den vergangenen vier Jahren stets mehr mit Verachtung als mit Respekt behandelt. Nun gilt es für die 27 EU-Mitgliedstaaten, aber auch für das endgültig ausgetretene Großbritannien, einen kompletten Neustart hinzulegen.

Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg wies darauf hin, dass dies unabhängig davon, wer im Weißen Haus regiere, immer die Maxime sein müsste für die Europäer. Vor diesem Hintergrund sei auch der Umgang der österreichischen Regierung mit Trump zu sehen, so Schallenberg. Mit Biden werde es deutlich einfacher sein als mit seinem Vorgänger, sagte der Minister Donnerstagabend in der ZiB 2.

Verheerende Bilder

Gerade vor diesem Hintergrund – die USA als wichtigster Partner und Gesinnungsgenossen im Hinblick auf die Demokratie – geben die Geschehnisse aber auch vielerorts Anlass zur Sorge. Schallenberg sprach von "verheerenden Bildern" für den Ruf der Demokratie. "Die Feinde der Demokratie werden sich über diese unfassbaren Bilder aus #WashingtonDC freuen", schrieb der auch deutsche Außenminister Heiko Mass auf Twitter, noch während der Angriff auf den Sitz des amerikanischen Parlamentarismus lief. Und er sollte recht behalten: Aus zahlreichen autokratisch regierten Staaten kamen eilig hämische Botschaften: Die Türkei etwa forderte die USA, in fast gleichlautendem Ton, in dem sonst westliche Staaten an Präsident Recep Tayyip Erdoğan appellieren, zu "Zurückhaltung und Hausverstand" auf. Venezuela verurteilte "die Spirale der Gewalt", die sich in den USA drehe. Das Land ernte nun, was man selbst im Ausland oft durch Interventionen gesät habe.

Kekse für die Radikalen

Aus Russland meldete sich die Sprecherin des Außenministeriums Maria Sacharowa zu Wort, und verbreitete die Einschätzung, das US-System hinke mittlerweile mit beiden Beinen. Schon zuvor hatte der stellvertretende Botschafter des Landes in den USA, Dmitri Poljanski, auf Twitter von "Maidan-artigen Bildern" in der Hauptstadt der USA gesprochen und angeregt, "Kekse an die Demonstranten zu verteilen", so wie das US-Vertreter 2014 in der Ukraine getan hätten. Damals hatten proeuropäische Demonstranten gegen den prorussischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch demonstriert und diesen schließlich – mit deutlicher US-Unterstützung – zum Verlassen des Landes gezwungen.

Auch für Pekings Propaganda-Maschinerie sind die Bilder vom Dienstag ein gefundenes Fressen. "Der wunderschönste Anblick", twitterte die Staatszeitung Global Times – "a beautiful sight to behold", hatte die demokratische Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi die teils gewaltsamen Proteste in Hongkong 2019 bezeichnet. Von staatlicher Stelle ist nun immer häufiger der Satz zu lesen: "Die Welt von heute wird Veränderungen erleben wie seit hundert Jahren nicht mehr." Er stammt aus einer Rede von Xi Jinping aus dem Jahr 2019. Die Ereignisse vom Kapitol sieht man als weiteren Beleg für den strategischen Abstieg der USA.

Die Ablenkung der USA durch die Beschäftigung mit sich selbst – das ist auch anderswo eine Hoffnung. Im Iran etwa wird in sozialen Medien heftig diskutiert, ob durch den Sturm auf das Kapitol ein möglicher Angriff vor dem Ende der Amtszeit nun eher abgewendet oder doch wahrscheinlicher sei. Außenminister Mohammed Javad Zarif sprach in seinem Twitter-Feed von "einem unkontrollierbaren Präsidenten, der Rache an seinen Landleuten ausübt". Man müsse bedenken, dass Trump noch immer den Finger am Atomknopf habe. Sein Chef, Präsident Hassan Rohani, hatte da schon die Ausschreitungen mit Häme kommentiert. "Die Demokratie in den USA ist schwach und ein Fiasko", ließ er mitteilen.

Auch in vielen Teilen Afrikas überwog die Häme: "Wo liegt denn nun das ‚shithole‘?", fragt ein nigerianischer Twitteratti in Anspielung auf Donald Trumps berüchtigte Qualifizierung afrikanischer Staaten.

Aus Südafrika kamen hingegen hoffnungsvollere Botschaften: Viele fühlen sich an die Tage vor den Wahlen im April 1994 erinnert, als wahnwitzige weiße Rechtsradikale im sogenannten Homeland Bophuthatswana die erste demokratische Abstimmung des Landes verhindern wollten. Danach lag der Anspruch der weißen Überlegenheitsfanatiker endgültig in Trümmern. (Johannes Dieterich aus Johannesburg, Amir Loghmany aus Teheran, Manuel Escher, Philipp Mattheis aus Schanghai, Thomas Mayer, 8.1.2021)