Die letzten Tage im Amt – Donald Trump

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Seit den Terroranschlägen in den USA am 11. September 2001 hat kein Ereignis die demokratisch gesinnten Menschen dies- und jenseits des Atlantiks so schockiert wie der Sturm radikaler Trump-Anhänger auf das Kapitol. Das Undenkbare war eingetreten.

Gewiss, man kann beides nicht direkt miteinander vergleichen. Bei 9/11, dem präzise geplanten Angriff von Islamisten mit Flugzeugen als Waffe, starben tausende Menschen. Der chaotische Überfall auf Senat und Repräsentantenhaus durch einen vom US-Präsidenten angestachelten Mob am 6. Jänner 2021 forderte fünf Menschenleben. Sonst gab es "nur" Sachbeschädigung.

Und dennoch brennen sich die beiden Daten ins Gedächtnis der Menschheit ein, als tiefe Einschnitte. In beiden Fällen rührten die Attacken am fundamentalen Selbstverständnis freier Gesellschaften in einer Weise, wie sich das die meisten in funktionierenden Demokratien nicht vorstellen konnten. Deshalb ging es auf dem Kapitol nicht nur um Amerika. Europa ist mit dabei.

Entsetzte Reaktionen

Die irritierten bis entsetzten Reaktionen aus den Staatskanzleien der EU-Mitgliedsstaaten zeigen es. So war es auch 2001. Plötzlich wird klar, wie schnell es ans "Eingemachte" gehen kann: um die Freiheit und die Demokratie als solche, um die alle Generationen immer wieder kämpfen müssen.

2001 wollten die Anhänger Osama bin Ladens nicht nur möglichst viele Amerikaner töten. Die Twin Towers des World Trade Center in New York wurden symbolhaft nicht zufällig als Ziel ausgesucht. In dieser multikulturellen Welthauptstadt von freier Wirtschaft und Toleranz sollte mit Terror die ganze westliche Lebensweise infrage gestellt werden.

Den Trumpisten ging es darum, die Bestätigung der regulären Wahl Joe Bidens zum US-Präsidenten zu verhindern, die Demokratie auszuhebeln, einer demokratischen Gesellschaft die Basis zu entziehen. Das Kapitol, die Kammern von Senatoren und Abgeordneten, gelten Amerikanern als "heilig", so wie die Verfassung. In beiden Fällen waren es Terroristen, von denen die Bedrohung ausging: 2001 sind sie von außen gekommen, diesmal von innen.

Weil das der allergrößte Teil der Bürger in den USA und in Europa instinktiv versteht, ergibt sich nun für beide Seiten sogar eine große Chance. Denn eine der ältesten Demokratien der Welt, die für den Rest der Welt nach dem Scheitern der Faschisten in Europa ein Vorbild war, hat beeindruckend standgehalten.

Ehrloser Abgang

Donald Trump hat noch gar nicht begriffen, was er tat. Er hat er sich selbst in einer Weise demontiert, wie das kein politischer Gegner vermocht hätte. Ihm bleibt nur der ehrlose Abgang.

Umso mehr hat Joe Biden nun Spielraum, wenn es darum geht, die US-Demokratie und die transatlantischen Beziehungen mit den Europäern zu erneuern. Die EU-Staaten wären gut beraten, ihm dabei mit Freude und Tempo entgegenzukommen. Zu Häme haben sie keinen Anlass: Wer Rechtsstaatlichkeitsverfahren gegen eigene Mitglieder führen muss, kann vom Kapitol in Washington immer noch dazulernen.

Es wird also in der EU und in der Nato sehr rasch darum gehen, die wechselseitigen Beziehungen sogar auszubauen. Man erinnert sich nun wieder, dass westliche Demokratien einander noch lange viel näher stehen werden als autokratisch geführten Ländern wie China oder Russland, die die USA verhöhnen. Trump hat das nur kurz verdeckt. Er ist Geschichte. (Thomas Mayer, 8.1.2021)