Mit der neuen Richtlinie sollen Polizisten besser gegen "Querdenker"-Demos vorgehen können.

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Geht es nach den österreichischen "Querdenkern", soll der 16. Jänner kein Samstag wie jeder andere werden: Am "Tag der Befreiung" werde man "das Regime zum Einknicken bewegen", kündigt Martin Rutter, Ex-Landtagsabgeordneter des Team Stronach aus Kärnten, in einem Online-Video an. Schon bevor die Demo am Freitag untersagt wurde, sagte der Demo-Organisator, dass man "unter allen Umständen" marschieren werde. Er erwarte zehntausende Menschen, an Polizei und Militär appelliere er, nicht auf Befehle, sondern auf ihre "Moral, innere Verfügung und Haltung" zu hören. Befehle seien keine Ausrede mehr, sagt Rutter. Seine Videos werden im Netz bis zu 800.000 Mal aufgerufen.

Was am Samstag kommende Woche am Wiener Heldenplatz tatsächlich passieren wird, hängt auch von einer neuen Richtlinie ab, die das Innenministerium in den letzten Tagen erarbeitete, sie liegt dem STANDARD vor. Sie soll den Versammlungsbehörden ermöglichen, besser einzuschreiten, wenn etwa wie bisher gegen das Covid-19-Maßnahmengesetz verstoßen wird. Zudem sollen Demos schon im Vorfeld untersagt werden können.

Folgende Eckpunkte enthält die Richtlinie:

Personelle Polizeipräsenz bei Versammlungen

Die Generaldirektion für öffentliche Sicherheit wird die personellen Einsätze länderübergreifend koordinieren. Es wird verstärkte Kontrollen des Personenzustroms bei Demos geben, eine strikte Ahndung von Verwaltungsübertretungen wie fehlendem Mund-Nasen-Schutz oder Abstandhalten. Zudem soll es eine akribische Dokumentation der Versammlungen geben, um verfassungsgefährdendes Verhalten zu erkennen. Alles unter Einhaltung der Verhältnismäßigkeit.

Es gehe auch darum, jeden Bürger zu schützen, der durch die Demonstranten, die zu tausenden dicht gedrängt ohne Masken marschieren, gesundheitlich gefährdet werde, wie es aus dem Innenministerium heißt.

Wenig Freude mit dieser neuen Anordnung hat der Chef der freiheitlichen Polizeigewerkschaft AUF, Werner Herbert. In einer Aussendung befürchtet er, dass dadurch Polizisten "verheizt" würden.

Herbert nimmt die "Querdenker"-Szene in Schutz. Für ihn sind das friedliche Demonstranten. Ein Bericht, in dem das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) Rechtsextreme als Drahtzieher der Szene entlarvte, ist für Herbert "tendenziös". Bilder, auf denen die Behörden mit Wasserwerfern gegen friedliche Kundgebungen vorgehen, kenne er aus "totalitär regierten Ländern".

Drei weitere Demos untersagt

Wasserwerfer sind weder in der Richtlinie noch auf Nachfrage des STANDARD beim Innenministerium geplant. Mitte November löste allerdings die Berliner Polizei eine "Querdenker"-Demo mit Wasserwerfern auf. Bereits Ende August wurde knapp verhindert, dass Protestierende den Reichstag stürmten. Seit November werden "Querdenker"-Demos regelmäßig aus Gesundheitsgründen untersagt. Auch in Österreich wurden nun drei von vier Demos für das kommende Wochenende untersagt.

Der Ex-FPÖ-Parlamentarier Herbert meint bezüglich Wasserwerfer: "Sollte so etwas in Österreich angeordnet werden, sehe ich das als ein Problem für unsere Polizisten." Er betont aber auch, dass das Pflichtbewusstsein innerhalb der Exekutive sehr hoch sei. Auf den "Querdenker"-Demos habe Herbert überwiegend "besorgte Staatsbürger" gesehen.

Auf fast allen dieser Demos finden sich Rechtsextreme, wie erst vor kurzem der verurteilte Neonazi Gottfried Küssel mit Anhängern. Regelmäßig ziehen Protestierende Vergleiche zwischen der vermeintlichen "Gesundheitsdiktatur" und dem Nationalsozialismus, und auch Reichsbürger treten als Redner auf und schwenken ihre Fahnen.

Analyse der Anmeldungen auf Social Media

Ein zweiter Eckpunkt der neuen Verordnung setzt hier an: Dem "Strafrecht zuwiderlaufende Postings" in die Beurteilung der Behörde einfließen. Das "verbale Eskalationspotenzial" der Organisatoren werde ein "entscheidender Faktor bei der Untersagung einer Versammlung" sein.

Eskalationspotenzial gibt es genug: Immerhin wird aufseiten der "Querdenker" offen zu Anschlägen auf Politiker, Medien und Institutionen der Republik aufgerufen. Dies bestätigte auch das BVT in seinem Bericht über die "Querdenker"-Szene. Auch abseits der Organisatoren radikalisiert sich die Szene online weiter. Ein Beispiel sind die Kommentare auf der Seite eines FPÖ-Abgeordneten, der Anfang Jänner einen Artikel der rechten Zeitschrift Wochenblick postete. Teils mit Klarnamen wurde darin aufgefordert, einzelne Regierungsmitglieder zu erhängen, in die Luft zu sprengen oder an den Pranger zu stellen.

Herbert ist nicht der einzige freiheitliche Funktionär, der die Demos gegen die Corona-Maßnahmen verteidigt. Die blaue Oppositionspartei hat nicht nur viele Fans in der "Querdenker"-Szene, sie ist auch ein Fan der Szene. Die freiheitliche Jugend wirft in Postings allen voran Innenminister Karl Nehmammer (ÖVP) vor, "antidemokratisch" zu agieren und "Regierungskritiker zu Staatsfeinden" zu machen.

Nehammers Amtsvorgänger Herbert Kickl (FPÖ) sagte diese Woche, sein "Kampfauftrag für 2021" laute: "Kurz muss weg." Ein Spruch, den die Demonstranten gegen die Corona-Maßnahmen skandieren. Die Regierung wolle ein "totalitäres System" installieren, und Kickl prophezeite in Kürze "Massenproteste von Hunderttausenden" vor dem Kanzleramt. Kickls Aufrufe finden sich teilweise ident auf "Querdenker"-Seiten.

Enger Austausch über die Anmelder der Demos

Der dritte Eckpunkt der Verordnung sieht vor, dass zwischen einzelnen Sicherheitsbehörden Erkenntnisse über den – bundesweit sehr oft identen – Kreis von Anmeldern und etwaige strafbare Handlungen bei Versammlungen ausgetauscht werden sollen. Die Prüfung muss "im Einzelfall durch die Sicherheitsbehörden erster Instanz erfolgen". Durch diese kann es zu einer Untersagung im Vorfeld kommen.

Eine der Anmelderinnen ist Jennifer Klauninger. In der rechtsextremen Szene verankert, marschierte sie schon 2015 an der Spitze einer Demonstration der rechtsextremen Identitären bei Spielfeld mit.

Erst vergangene Woche wiederholte sie in einem Interview antisemitische Codes: Die Mächtigen seien die "Rothschilds" und "Soros". Diese müsse man stürzen, da man sonst als "weißes Volk" von Menschen aus dem afrikanischen und asiatischen Kontinent ausgerottet werde. Sie glaube, das europäische Volk sei "im spirituellen Sinn viel weiter und höher" als andere.

Rutter, der intensiv für den 16. Jänner mobilisiert und immer wieder in ganz Österreich Kundgebungen anmeldet, steht laut Krone unter ständiger Beobachtung des Verfassungsschutzes. Bereits 2017 hielt er im Zuge des rechtsextremen Ulrichsbergtreffen eine Rede zur angeblichen "Migrationslüge".

Seine Karriere macht er in den Parteien, die er heute als "Wahnsinnige", "Verbrecher" oder – antisemitisch codiert – als "globalistische Nobelisten" bezeichnet. Dabei war er selbst zuerst bei den Kärntner Grünen, zog dann für das Team Stronach in den Kärntner Landtag und war schließlich als Kandidat des BZÖ für die Nationalratswahl 2019 aktiv. Heute hetzt er durch Österreich und streamt sich dabei live.

Einige Wirte aus der Szene haben Protest angekündigt. Sie wollen am 11. Jänner trotz Lockdown aufsperren und organisieren sich auf Social Media nach Schweizer und deutschem Vorbild unter dem Titel "Wir machen auf". (Laurin Lorenz, Johannes Pucher, Colette M. Schmidt, 9.1.2020)