Ein Samstag im Oktober, kurz vor dem zweiten Lockdown. Von der stark befahrenen Favoritenstraße aus öffnet Mario Adlassnig die Türe zum Vorführraum seines Fortuna-Erotikkinos in einem schmucklosen Eckhaus im tiefsten Favoriten. Wir gehen die paar Stufen einer Holztreppe hinauf, und dann zeigt er mir stolz zwei 35-mm-HL3-Projektoren der Firma Friedl-Chaloupka, Baujahr 1950. "Hier steht der Filmvorführer", erklärt der 47-Jährige, "und spannt um.

Bereits 1918 wird hier das Anker-Kino eröffnet, benannt nach der gleichnamigen Brotfabrik um die Ecke.
Foto: Robert Newald

Da hinten an der Schalttafel stellt er den Licht- oder Magnetton ein." Eine Original-Xenon-Lampe befindet sich in den Projektoren, aber irgendwann müssen die Teile natürlich serviciert werden. Zusammen mit dem 16-mm-Projektor der japanischen Firma Eiki, "den ich vom Theater an der Wien gekauft habe, von denen gibt es nur noch zwei Stück in Österreich." Man hatte einen Pornofreak erwartet, aber hier steht ein Filmliebhaber.

Der letzte Wiener

Adlassnig wuchs in einem Gemeindebau in der Nähe auf, er kannte das 1918 eröffnete Kino schon, da hieß es noch Anker-Kino nach der gleichnamigen Brotfabrik um die Ecke. Ab den 60er-Jahren, erzählt er, gehörte es einer leidlich bekannten "Frau Sonja", die auch das Erotikkino am Währinger Gürtel bespielte und das Bahnhofkino in Graz. Sie stellte das Programm auf "Sexler" um, in den 70er-Jahren muss das Fortuna einen wahren Boom erlebt haben "mit sicher 200 Besuchern am Tag".

Ab dann ging es bergab, die großen Kinoketten und das Internet machten die Sexkinos unrentabel. Vor acht Jahren sperrte der Vorbesitzer zu. HTL-Absolvent Adlassnig schaute sich die Bücher an, rechnete und entschied: Das will ich machen! "Die Hausbesitzerin ist 90 und wohnt oben im Haus, die ist urleinwand und hat gesagt: Na gut, mach halt weiter."

Er hat zwei Luxusautos verkauft, "weil ich den Schas sowieso nicht brauche", und große Teile vom Erlös in sein neues Projekt gesteckt. "Ich will das Kino erhalten", sagt er, "und die Erotikschiene sichert mir halt das Überleben." Bald will er aber wieder mehr "normale Filme" spielen wie "Die Blechtrommel", die er heute Abend im Rahmen seiner Nostalgie-Reihe projizieren wird.

"Oder ,Tarzan' mit dem Johnny Weissmüller, das sind noch Filme! Schlecht geschnitten zwar, aber trotzdem gut." Für den "Großen Diktator" von Chaplin ließ er einmal sogar 10.000 Flugzettel verteilen hier im zehnten Bezirk, "nur gekommen ist halt kein einziger Hansl. Aber gut, ich bin ja auch der letzte Wiener da", sagt er und dämpft seine Tschick aus.

Mario Adlassnig hatte eine Firma für Bewässerungstechniken und zwei teure Autos. Geschätzt alle zehn Jahre begann er in seinem Leben etwas Neues.
Foto: Robert Newald

Originalgetreu renoviert

Mit den Veränderungen im Bezirk hadert er immer wieder mal, mit der Politik sowieso und mit den Ämtern auch. Als Erstes musste er eine Prostituierten-Konzession kaufen, "weil bei mir könnten ja welche ihre Dienste anbieten!", lacht er sarkastisch. Also ist er gleich in die Offensive gegangen und hat sich zwei "Damen" reingenommen, die bei ihm eine Tageskarte kaufen und gegebenenfalls Kundschaft betreuen. Die Damen sind auch seine "Augen im Kinosaal. Ich will da ja nicht hineinschauen, das ist Intimsphäre, die Kunden sollen sich wohlfühlen."

Er führt mich durch das Foyer, das er mit großem Aufwand originalgetreu renoviert hat, was ihm noch fehlt, ist ein guter Wurlitzer. Das Rauchverbot hat ihn einen Tausender im Monat gekostet, "dabei habe ich eine Lüftung, da zieht es dir den Pepi an die Decke, wenn du einen hast". Also versucht er die Kunden mit Qualität an sich zu binden: "Schau, ich bin nicht so ein Hosenscheißer wie andere, die Spritzwein aus der Tetrapackung verkaufen, dafür hab ich einen vom Rabl, und die Stifterln verkauf ich vom Hillinger."

Trotzdem hat ihn die Bezirksvorsteherin für den zehnten Bezirk, als er bei ihr wegen Unterstützung vorstellig wurde, mit den Worten abgefertigt, dass sie keine "Spelunke" unterstützen würde. "Spelunke?", hat er zurückgefragt. "Waren Sie überhaupt schon mal bei mir?"

Keine Schweinderln

Er hätte ihr den Kinosaal gezeigt, "bitte, ein Schlauchkino oder klassisch Patschenkino mit Teppich". Die Vorhänge waren zerrissen, als er es übernommen hat, die Leisten sind runtergehangen, Stromkabel lagen offen. "Da hat es mir gleich reingeschissen, weil ich eine komplett neue Elektrik gebraucht habe, Kosten: 20.000." Und heute? "Egal, ob du eine Blashütte hast oder ein Wirtshaus, du darfst kein Schweinderl sein."

Andere Pornokinos hätten nicht mal die Mistkübel am Abend ausgeleert, erklärt er, da wären dann die vollgerotzten Taschentücher über Nacht drinnen gelegen. "Bei mir aber wird nachher eingesammelt, weggehaut, werden die Sitze kontrolliert. Bei mir hat noch keiner einen Pilz gekriegt", versichert er. "Ich putz mit dem Kärcher!" Und außerdem: Die Schweinderln hätte er sowieso alle längst rausgehaut, "bei mir sitzt keiner da herinnen und spritzt herum wie ein Feuerwehrmann. Dabei hätte ich locker 40 Leute am Tag mehr, wenn ich nicht schon so viele rausgehaut hätte!"

Der erste Kunde taucht pünktlich um zwölf Uhr auf, ein Pensionist, der immer Manner-Schnitten kauft und dann hier den ganzen Tag verbringt, er zahlt 10,50 Euro für die Tageskarte. Als Erstes schiebt Adlassnig einen Pfarrerfilm aus italienischer Produktion für ihn in den Player, er schaut sich das Cover an und sagt: "Die Muschi ist schon ein bisserl rasiert, ich täte also sagen: 90er-Jahre."

Letzte Vorstellung

Er hat so um die 7000 Pornofilme auf DVDs zusammengekauft, die sind unten im Keller archiviert und im Computer katalogisiert. Es sollen Filme mit "ein bisserl einer Geschichte sein, die ein bisserl Spaß machen. Bei mir kriegen die Kunden mehr als auf Youporn." Gewaltszenen spielt er nie, weil "unsere Kinder wachsen eh mit dem Dreck auf, dauernd Gewalt, dauernd Anal. Ich hab Filme mit vier Stunden Anal, die hau ich raus, da schreib ich drauf: Is’ fürn Oasch!, und verkauf sie um einen Euro."

35-mm-HL3-Projektoren der Firma Friedl-Chaloupka, Baujahr 1950: Filme werden im Fortuna noch analog gezeigt.
Foto: Robert Newald

Heute wird er bis 22 Uhr hinter der Budel sitzen, Karten und Spritzwein verkaufen und Schmäh führen. Er hatte eine Wochenendkraft, aber die musste er kündigen. "Ich hab mal überlegt, ob ich einen Tag zumache", sagt er. "Der Mittwoch war mal schwach, dann der Freitag, dann der Sonntag. Aber dann waren alle Tage wieder stark. Das Einzige, was du wirklich spürst, ist, wenn Sport ist: Autorennen am Sonntag. Da kommen die Leute erst um sechse, siebene und holen alles nach."

Feiertage, sagt er, brächten nicht mehr Umsatz, "und Weihnachten ist auch wurscht. Die einsamen Seelen kommen da nicht zu mir." Nur zu Silvester sperrt er nicht auf, da stehe Generalreinigung auf dem Programm. Selbstverständlich mit dem großen Kärcher, der Wasser ausstößt und mit dem Dreck zusammen gleich wieder einsaugt. "Und am Neujahrstag geht´s wieder weiter", sagte er hoffnungsvoll. Da wusste er noch nichts vom zweiten Lockdown.

Sein Kino war im Jubiläumsjahr 2020 (Hundert Jahre zweitältestes Kino Österreich) insgesamt sieben Monate geschlossen. Die Kosten treiben ihn zu einem Spendenaufruf, ab Dienstag, 12. Jänner wird er einen Sitzstreik mit Sarg und Spendenbox vor seinem Kino beginnen. "Seht euch das Trauerspiel an!", lädt er ein. "Die womöglich letzte Vorstellung meines Kinos! Außer ihr spendet, und die Kinder können sich dann auch in 100 Jahren noch ,Casablanca' auf 35 mm anschauen!"