Was Michael Strugl in Oberösterreich nicht gelungen ist, nämlich von der Position des Stellvertreters in die Funktion des Landeshauptmanns zu wechseln, hat er bei Verbund geschafft. Nach zwei Jahren als stellvertretender Vorstandsvorsitzender ist er nun Chef von Österreichs größtem Stromkonzern.

STANDARD: Sie waren fast ein Vierteljahrhundert in der Politik, zuletzt als Landeshauptmannstellvertreter in Oberösterreich und Landesrat, zuständig u. a. für Energie. Seit zwei Jahren sind Sie bei Verbund und haben vor wenigen Tagen den Vorstandsvorsitz übernommen. Sind Sie nun gelandet, wo sie immer hinwollten?

Strugl: In die Wirtschaft zu gehen war Teil meiner Lebensplanung. Als Politiker pensioniert zu werden gehörte nicht dazu.

STANDARD: Wie viel Planung steckt in Ihrer Karriere, wie viel ist Zufall?

Michael Strugl fühlt sich in seinem Job jetzt sehr wohl.
Foto: STANDARD/Andi Urban

Strugl: Karriere kann man nicht am Reißbrett planen. Es gibt Abzweigungen und Umwege, es tun sich auch immer Chancen auf, die man nutzen oder bleiben lassen kann. Als es die Ausschreibung für den Verbund-Vorstand gab, habe ich die Chance genutzt.

STANDARD: Sie kennen beides, Politik und Wirtschaft. Was ist schwieriger?

Strugl: Das lässt sich so leicht nicht beantworten. Es gibt Unterschiede und Gemeinsamkeiten. Das Gute an der Wirtschaft? Sie ist objektiver, messbarer und besser planbar. Das ist in der Politik nicht immer so. Insofern fühle ich mich in meinem jetzigen Job sehr wohl.

STANDARD: Inwiefern hilft politisches Gespür gegenüber einem Mehrheitseigentümer Staat?

Strugl: Der Energiesektor ist stark beeinflusst von regulatorischen Rahmenbedingungen, die werden von der Politik gestaltet. Zu wissen, wie politische Logik und Prozesse funktionieren, ist somit kein Nachteil. In meiner früheren Tätigkeit musste ich viel verhandeln, oft unterschiedliche Interessen auf einen Nenner bringen. Auch das hilft mir in meiner jetzigen Funktion. Es gibt Vorteile, wenn man weiß, wie Politik funktioniert.

STANDARD: Sind die 51 Prozent Staatsanteil bei Verbund etwas, wo Sie sagen, da fühle ich mich wohl, oder könnten Sie mit einer geringeren Staatsquote vielleicht sogar besser und schneller Ihre Vorstellungen umsetzen?

Strugl: Über die Unternehmensstruktur entscheidet der Eigentümer. Wir haben mit der Öbag (staatliche Beteiligungsholding; Anm.) ein sehr professionelles Management, ich sehe das auch im Aufsichtsrat. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass wir hier in der Führungsebene viel Gestaltungsmöglichkeit und einen großen Aktionsradius haben. Insofern sehe ich die Mehrheit der Republik nicht als Bremse und auch nicht als Nachteil.

"Wir beobachten ständig, ob es Gelegenheiten gibt, durch Zukäufe zu wachsen", sagt Strugl.
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STANDARD: In welche Richtung wollen Sie das Unternehmen weiterentwickeln?

Strugl: Wir stehen mitten im größten Umbruch, den der Energiesektor bis jetzt erlebt hat. Mit der völligen Dekarbonisierung, der Transformation hin zu erneuerbaren Energien ist eine Veränderungsdynamik entstanden, die auch vom Unternehmen Verbund verlangt, dass wir uns entsprechend aufstellen. Für mich ist wesentlich, dass wir den Wandel vom Energieversorger zu einem Leitunternehmen der Energiewende schaffen.

STANDARD: Das heißt was genau?

Strugl: Wir wollen uns an die Spitze der Entwicklung setzen mit dem Ziel, 2030 rund ein Viertel unserer Stromproduktion aus anderen Technologien als der Wasserkraft – sprich mit Photovoltaik und Wind – zu generieren. Außerdem wollen wir uns zu einem führenden Unternehmen im Bereich grüner Wasserstoff entwickeln, ohne auf die Bereiche Sektorkopplung (Verschränkung Strom, Wärme, Mobilität; Anm.) und Leitungsnetz, Strom wie Gas, zu vergessen.

STANDARD: Sie brauchen viel Geld, um die Energiewende zu stemmen. Stehen Preiserhöhungen an?

Strugl: Das wird die weitere Entwicklung zeigen, auszuschließen ist es nicht. Der Preis für Endkunden bestimmt sich zu zwei Dritteln aus Steuern, Abgaben und Netzentgelt, nur ein Drittel macht die eigentliche Energie aus. Wenn mittels Förderungen der Ausbau erneuerbarer Energien forciert wird, zahlen das am Ende des Tages die Stromkunden. Je nachdem, wie sich das gestaltet, kann es insgesamt auch zu höheren Endkundenpreisen kommen.

STANDARD: Auch die Großhandelspreise ziehen in Erwartung eines höheren Strombedarfs nach Überwindung der Pandemie leicht an. Erwarten Sie ein nachhaltig höheres Preisniveau?

Strugl: Der bestimmende Faktor ist der CO2-Preis. Der ist im Frühjahr 2020 im Zuge des Lockdowns massiv eingebrochen, hat sich mittlerweile aber wieder erholt und liegt jetzt sogar über dem Niveau vor Corona. Die meisten Preiskurven zeigen auf mittlere Sicht eine moderate Aufwärtsentwicklung.

STANDARD: Verbund war einmal stark im Ausland engagiert, von Frankreich über Italien und Rumänien bis in die Türkei. Nicht überall ist man ohne Blessuren davongekommen. Ist dieses Kapitel nun für immer geschlossen?

Strugl: So würde ich das nicht formulieren. Österreich und Deutschland stehen klar im Fokus. Darüber hinaus verhalten wir uns opportunistisch. Wir beobachten ständig, ob es Gelegenheiten gibt, durch Zukäufe zu wachsen. Wenn wir das tun, dann nur unter zwei Voraussetzungen: Das Vorhaben muss sich rechnen, und es muss zu unserer Strategie passen. Nur etwas kaufen, weil es gerade günstig ist, werden wir mit Sicherheit nicht. (Günther Strobl, 11.1.2021)