Wer Donald Trumps Account aufruft, findet dort nur mehr die Botschaft: "Account gesperrt".

Foto: Imago Images

Nikolaus Forgó, Professor für Technologierecht an der Universität Wien, sieht im Gastkommentar die Sperre von Donald Trumps Twitteraccount rechtlich gedeckt. Er nennt fünf Gründe, um die Komplexität des Falles zu illustrieren.

An alle, die gefragt haben: Ich werde nicht an der Inauguration am 20. Jänner teilnehmen." Das scheint der letzte Tweet gewesen zu sein, den Donald Trump (am 8. 1.) absetzen konnte. Wenige Stunden nach dem Post wurde sein Account von Twitter gesperrt.

Seither wird nicht nur darüber spekuliert, ob Trump versuchen könnte, in den letzten Tagen seiner Amtszeit wahlweise einen Krieg zu beginnen, eine Atomrakete zünden zu lassen, sich selbst zu begnadigen oder eine Konkurrenzveranstaltung zur Inauguration auszurufen, die erneut zu – ja zu was denn – einem Revolutionsversuch, einem Putsch, einem bewaffneten Aufstand? – führen könnte.

Es wird zunehmend auch gefragt, ob das eigentlich sein darf, dass man ausgerechnet den Präsidenten der USA so in seiner Meinungsfreiheit beschränken könne, und ob man hier nicht gesetzlich eingreifen und endlich durchregulieren müsste. In Kürze: Ja, das darf sein. Etwas länger: Es ist kompliziert. Aber: Man sollte nicht durchregulieren. Erst recht nicht national, im Schnellschuss, aus diesem Anlass.

Die Sperre auf Twitter war nur der vorläufige Schlusspunkt einer längeren Entwicklung. Schon in den Wochen davor waren Tweets des Präsidenten mit Hinweisen versehen worden. In diesen wurde freilich nicht konstatiert, dass die ständig wiederholten Vorwürfe vom Wahlbetrug falsch seien, sondern nur, dass sie bestritten würden. Am Tag des Sturms auf das Kapitol konnten einige von Trumps Tweets von Dritten nicht mehr kommentiert, geteilt oder gelikt werden, schließlich wurden auch Tweets gesperrt, dann wurde Trumps Konto für zunächst zwölf Stunden, in der Folge nach zwei weiteren Tweets endgültig gesperrt.

Digitales Hausverbot

Man sah, dass Twitter (so wie Youtube, Facebook, Google auch) bemüht war, einerseits weitestmöglich Neutralität zu wahren, andererseits aber einzugreifen, wenn das Treiben "zu bunt" wurde. Dass die Entscheidungen zunehmend zulasten Trumps erfolgten, mag nicht nur mit der Gesamteskalation, sondern auch mit seinem Machtverlust zu tun haben. Mit einer Lame Duck streitet es sich leichter. Grundlage der Sperren waren Verstöße gegen die Nutzungsbedingungen.

Möglich ist dies, zunächst und vor allem, weil es sich bei Twitter um ein privates Unternehmen handelt. Dieses profitiert – so wie alle Privatunternehmen und Privatpersonen – vom Privatrecht und damit von Handlungsfreiheit und Privatautonomie. So wie sich jede Privatperson entscheiden kann, ob sie lieber beim Unternehmen A, B oder C einkauft, kann jedes Unternehmen bestimmen, unter welchen Voraussetzungen es bereit ist, Kundinnen und Kunden zu akzeptieren. Plattformen haben ausdifferenzierte Nutzungsbedingungen, wer nicht einverstanden ist oder dagegen verstößt, kann oder muss gehen (und kann sich im Nachgang gerichtlich wehren) – so wie wir akzeptieren müssen, dass ein Gasthaus eine Sperrstunde festsetzt oder einen Dresscode verlangt.

Deshalb: Ja, das darf sein. Komplizierter wird der Fall hier aber aus mindestens fünf Gründen.

Erstens, weil schon unklar ist, ob Trump hier privat agiert. Der offizielle Account von "President Trump" (@POTUS) ist von der Sperre zwar nicht betroffen und zum Zeitpunkt des Verfassens dieser Zeilen online, als wäre nichts geschehen. Der letzte Tweet dort stammt jedoch vom 24. 12. und zeigt eine Weihnachtsfeier. Ist der stattdessen von Trump in der Regel mehrfach täglich und für eminent politische Zwecke verwendete persönliche Account @realdonaldtrump wirklich "privat" (wenn er dort etwa dem nordkoreanischen Diktator eine Kriegsdrohung übermittelt), und greifen hier tatsächlich privatrechtliche Kategorien wie beim Wirt um die Ecke? Oder gelten – in einer bürgerkriegsähnlichen Situation – öffentlichrechtliche Kategorien, zumal es sich um eine Art kritische Infrastruktur handeln könnte?

"Diese Konten stehen nicht völlig über unseren Regeln." Twitter begründet Trumps Deplatforming

Zweitens: Irgendwo ist immer Revolution, Krieg, Aufstand, Verfolgung, Verbrechen. Globale Plattformen sind ununterbrochen damit konfrontiert, entscheiden zu müssen, was von dem, was dazu gepostet wird, zu löschen oder zu sperren ist. Das ist ein ausgesprochen diffiziler Vorgang, weil die Unternehmen keine Gerichte sind, weil sie primär (oder ausschließlich?) kommerzielle Interessen zu verfolgen haben, weil Sach- und Rechtslage sehr kompliziert sind, weil die Inhalte von Millionen oder Milliarden Menschen in sehr kurzer Zeit gesehen, verteilt, kommentiert werden – in allen Sprachen und an allen Orten dieser Welt –, weil reale Menschenleben von den Entscheidungen abhängen können und weil die "richtige" Interpretation eine Frage des Kontextes ist. Trumps letzter Tweet kann als harmloser Ausdruck des lächerlichen Beleidigtseins eines Narzissten gelesen werden oder als Aufruf zum bewaffneten Aufstand. Für letztere Lesart scheint sich Twitter in der lesenswerten Begründung der Sperrung nun entschieden zu haben.

Drittens: Die US-Hegemonie im Feld ist so ungeheuerlich stark, dass im Deutschen schon die Terminologie fehlt. Das an Trump exerzierte Vorgehen nennt sich Deplatforming. Stellen wir uns nur einen kurzen Moment lang vor, was in Europa los wäre, wenn in einer ähnlichen Großkrise ("Sturm auf die Bastille") Google, Youtube, Facebook, Twitter angewiesen würden oder selbstständig beschlössen, eine der beiden Seiten zu "deplatformen". Deswegen ist der Vorgang eine weitere klare Warnung, dass wir in Europa endlich digitale europäische Infrastrukturen schaffen müssen, was nicht gelingen wird, wenn wir weiterhin schlicht glauben, dass der US-Hund mit dem europäischen (oder gar österreichischen) Schwanz wackeln wird, wenn Europa nur laut genug ruft oder lange genug wartet.

Trumps Alternativen

Viertens: Obwohl Facebook, Google, Twitter etc. ungeheuer mächtig (geworden) sind, ist eine Alternative immer nur einen Klick entfernt. Trump kann weiter seine Meinung sagen, er kann auch zu anderen Plattformen wechseln, die das Contentmanagement laxer wahrnehmen. Und das Gleiche gilt für seine Anhängerinnen und Anhänger, die schon jetzt massenhaft auf Plattformen wie Parler oder Signal oder im Darknet zu finden sind, wo ihr Tun (noch) schwieriger zu beobachten ist. Der im Kern kartellrechtliche Ruf nach speziellen, strengeren Regeln für die Großen, weil diese marktbeherrschend seien, entpuppt sich damit nicht selten als entweder untauglich oder innovationshemmend – oder beides.

Fünftens: Der "Fall Trump(s)" macht nur erneut sichtbar, was seit Jahrzehnten evident ist: Die digitale Revolution ist eine solche – und sie hat erst begonnen. Ihren Verwerfungen mit – in nationaler Provinzialität erlassenen – Gesetzen begegnen zu wollen, damit die Plattformen "endlich Verantwortung übernehmen", wird nicht genügen. (Nikolaus Forgó, 10.1.2021)