Meine erste bewusste Begegnung mit Autos aus China war, als ich lesen lernte. Und schon stellten sich Fragen. Was eine Matschbox sei zum Beispiel, was ein unappetitliches Insekt wie eine Made zu tun habe mit einem – noch dazu orthografisch falsch wiedergegeben – Honig-König. Gut, Hongkong war damals noch nicht China, sondern Kronkolonie. 1843 abgepresst dem Reich der Mitte im Zuge des Ersten Opiumkrieges, in dem das britische Empire mit Waffengewalt erzwang, dass der gesamte fernöstliche Hegemon unter Drogen gesetzt wurde. Opium für das Volk.

Volvos Flaggschiff S90 wird ausschließlich in China produziert...
Foto: Volvo

Nun schlägt China zurück (die Drogen-Retourkutsche heißt: Gier). Auch im automotiven Sektor. Groß in jeder Hinsicht. Aber anders als gedacht. Denn was seit ungefähr 20 Jahren gebetsmühlenartig wiederholt wird, dass Autofirmen aus der kapitalkommunistischen Diktatur die Alte und die Neue Welt überrollen würden, hat so nicht stattgefunden – wir erinnern uns: Neulinge wie Brilliance oder Landwind floppten ebenso wie die reanimierten deutschen und britischen Traditionsmarken Borgward und MG – und wird, wenn, dann in Form von Elektromobilen Realität.

Erst einmal aber kommen, Überraschung, Autos europäischer Hersteller aus China zu uns. Und das just zu einem Zeitpunkt, wo Corona nachdrücklich lehrt, Liefer- und Produktionsketten möglichst zu entflechten und so viel Fertigung wie möglich für Europa in Europa darzustellen. Für (Nord-)Amerika in (Nord-)Amerika. Für China in China.

...der elektrische BMW iX3 ebenfalls.
Foto: BMW

Der BMW iX3 ist ein aktueller Anlass, das Phänomen zu skizzieren, wie es sich jetzt schon und wie in naher Zukunft darstellt. Der Elektro-SUV der Weiß-Blauen wird nämlich ausschließlich in China produziert, im Joint-Venture-Werk BMW Brilliance Automotive in Shenyang, und kommt von dort auch zu uns. Magere heimische Wertschöpfung: Die E-Antriebsgehäuse (siehe auch "Umwelt & Technik" unten) entstammen dem BMW-Werk in Steyr.

Mini wird kommunistisch

Damit nicht genug, ist auch das Schicksal von Mini – siehe Einstieg: UK versus China – besiegelt. Verbrennungsmotorisch angetriebene Autos kommen weiter aus Europa, für die elektrischen heißt der Standort künftig China. Wenn man weiß, dass ab 2030 keine Verbrenner mehr angeboten werden, heißt das: Alle Minis stammen dann aus China. Zwar hat BMW bei Spotlight, wie sich die Kooperation Mini-Great Wall nennt, das Sagen, so auch bei der in Entwicklung befindlichen E-Plattform. Aber produziert wird dann eben, wie gesagt, in China.

Hinzu kommt jetzt der Dacia Spring...
Foto: Dacia

Noch übler sieht es für Smart aus. Daimler brachte die Kleinwagenmarke, die nur mehr E-Mobile baut, 2020 in ein 50:50-Joint-Venture mit Geely ein – Smart Automobile Co., Ltd. Das Design bleibt noch Domäne der Deutschen, gefertigt wird ausschließlich in Fernost. Gegenwärtig wird eine elektrische Fahrzeugarchitektur entwickelt, erste Autos darauf sind für 2022 avisiert.

Ähnliches wurde zuletzt im Motorenbau kommuniziert: Unterhalb der eigenen Motorenfamilien entwickelt Mercedes kleinere Aggregate, die dann ausschließlich bei Geely in China vom Band laufen – bisher war dafür Partner Renault zuständig; die Franzosen wurden geschasst. Kalkulierter Effekt: mehr Reibach.

Apropos Frankreich: Auch die PSA-Semipremiummarke DS setzt auf Made in China, das neue Flaggschiff DS 9, eine Limousine im Fünfmeterformat, wird ausschließlich in Shenzhen gebaut und von dort zu uns exportiert, Joint-Venture-Partner: Chang’an Automobile (CCAG).

...und sämtliche Smarts ab 2022.
Foto: Daimler

Seit Volvo sich in Besitz von Geely (siehe Daimler) befindet, wandert(e) nicht nur Know-how, sondern sukzessive auch die Produktion nach Fernost, die Top-Limousine S90 beispielsweise wird ausschließlich in China produziert. Die Hybrid- und E-Fahrzeuge der Joint-Venture-Marke Polestar sowieso.

Angeblich soll auch VWs künftiger Elektro-Kleinwagen ID.2 (ab 2023/24) aus China nach Europa exportiert werden, und wer meint, demnächst mit dem Dacia Spring ein günstiges E-Auto aus dem Billiglohnland Rumänien zu erwerben, liegt auch daneben. Der kompakte E-SUV entstammt dem Gemeinschaftsunternehmen Renault-Dongfeng und wird in: Wuhan gebaut.

Wuhan? War da was? – Und jetzt bestell’ ich mir ein Matchbox-Auto. (Andreas Stockinger, 12.01.2021)