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Was würden Sie mit 750 Euro machen? Ein neues Handy? Reisen? Jessica Amulen und Martin Otai haben sich damit ihr altes Leben zurückgekauft. Die beiden, arme Bauern, 32 und 44, mussten ihr schwerkrankes Kind schnellstmöglich ins Krankenhaus bringen. Das kostet aber in Uganda. Amulen und Otai lebten, wie viele auf dem Land, von ein wenig Grund und ein paar Kühen und Hühnern. Für die Behandlung verkauften sie ihr ganzes Hab und Gut. Die Felder erwarb ein Nachbar. Das Kind starb trotzdem.

Martin Otai und Jessica Amulen sind Subsistenzbauern.
Foto: STANDARD / Sator

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Dann kam das Geld. "Wir konnten in der Nacht danach gar nicht schlafen", erzählt Amulen, "so aufgeregt waren wir." Sie trägt ein oranges Kleid, sehr kurze Haare und blickt auf den Boden, wenn sie spricht. Die beiden sitzen auf kleinen Holzstühlen im Schatten unter einem großen Baum neben ihrem Haus, überall laufen kleine Hühner rum. Ich habe sie noch vor der Pandemie, im Jänner 2020, besucht. Die Mitarbeiter der NGO Give Directly, die mich jetzt hier herumfahren, kamen nach Kokolotum, in das kleine Dorf im Osten Ugandas, in dem die beiden leben.

In Österreich haben noch die wenigsten von dieser auf den ersten Blick eigenartigen NGO gehört. Hier in der Gegend kennt man sie gut. Das sind diejenigen, die Geld austeilen. 3,4 Millionen ugandische Schilling, umgerechnet etwa 750 Euro, gehen an Haushalte. Für viele Arme mehr als zwei ganze Jahreseinkommen. Jeder im Dorf von Amulen und Otai hat es bekommen, ohne Auflagen, einfach so. Sie können damit machen, was sie wollen.

Mit dem Geld von Give Directly haben Amulen und Otai ihr Haus finalisiert.
Foto: STANDARD / Sator

Der 44-jährige Otai versuchte sich zuvor als Tagelöhner zu verdingen, seine Frau passte auf die zehn Kinder auf. Sechs davon ihre eigenen, vier von Otais Bruder, der sich das Leben genommen hat. Kein Land, kein Vieh und zehn Kinder zu versorgen. Es gibt also sicher Familien auf der Welt, die das Geld gerade weniger gebrauchen konnten als die beiden.

Geldtransfers kommen in der humanitären Hilfe immer mehr in Trend. Dabei stellt das Ganze eine radikale Wende in der Art und Weise dar, wie Ärmeren auf der Welt geholfen wird. Denn es entscheidet nicht mehr der meistens weiße, westliche und wohlsituierte Entwicklungshelfer, sondern die Menschen vor Ort, wie Geld eingesetzt wird.

Amulen und Otai trocknen Mais.
Foto: STANDARD / Sator

Was wurde also aus den 750 Euro? Unter anderem ein paar hundert Maiskolben, die zum Trocknen gerade unter der prallen Sonne neben ihrem Haus liegen. Die beiden haben ihre Felder zurückgekauft. Sie können also wieder Pflanzen und Früchte anbauen. Ist der Mais trocken, wird daraus Mehl. Den Großteil werden sie selbst verkochen, ein bisschen etwas am Markt verkaufen.

Die beiden haben ihr Haus fertiggebaut, vom Geld Nägel, Holz und Blech fürs Dach gekauft. Jetzt ist es regenfest und unappetitlich für Termiten. Denn die Strohdächer, die sonst die meisten in der Gegend haben, müssen immer wieder erneuert werden. Die Insekten fressen zu große Lücken in das Dach. Geld übrig ist ein Jahr danach keines mehr.

Warum gerade sie? Glück im Unglück. Die Armut in Uganda ist enorm, 18 der 44 Millionen Menschen im Land sind der Weltbank zufolge extrem arm. Der Distrikt Bukedea, zu dem Kokolotum gehört, wurde von Give Directly ausgewählt, weil sie dort besonders groß ist. Grundsätzlich gäbe es aber viele Kokolotums im Land. Jeder im ganzen Bezirk, der in einer ländlichen Region wohnte, erhielt die 3,4 Millionen Schilling.

Das Streetfood schlechthin in Uganda: Rolex. Ein Omelette in einem Fladen.
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Give Directly wurde 2009 von ein paar MIT- und Harvard-Studenten gegründet. Nach vielen Jahrzehnten Entwicklungshilfe ist unklar, was sie wirklich gebracht hat. Viele Studien zeigen aber, dass einfache Geldtransfers oft sehr gut helfen. Die NGO lässt sich regelmäßig von unabhängigen und renommierten Forscherinnen und Forschern überprüfen. Eine Studie von 2014 legt nahe, dass die Geldtransfers das Wohlbefinden der Menschen deutlich steigern konnten. Für Alkohol oder Zigaretten wurde das Geld hingegen nicht ausgegeben.

Auch viele andere Studien, die unabhängig von Give Directly durchgeführt wurden, zeigen die positive Wirkung von Geldüberweisungen. Seit 2009 wurden von der NGO etwa 300 Millionen Dollar an arme Menschen ausbezahlt.

Kampala, die Hauptstadt Ugandas. Give Directly arbeitet hauptsächlich in ländlichen Gegenden.
Foto: STANDARD / Sator

Aber wie kommt das Geld vom Spender, der meistens im Westen sitzt, zu einigen der Ärmsten der Welt, nach Kenia oder Uganda?

Das ist der Job von Mark Knapp, mit dem ich im Auto auf dem Weg in den Osten Ugandas sitze. Der 31-jährige Amerikaner, schmächtig, rote Haare, wacher Blick, ist seit einem halben Jahr im Team und in Uganda für das operative Geschäft verantwortlich. Vor Give Directly hat er, der mehr Typ Manager als Weltretter ist, für Pepsi und Google gearbeitet. Etwas mit mehr Sinn wollte er machen.

Und während wir über die lehmigen Straßen Ugandas fahren, spricht Knapp also weniger über große, hehre Ziele und mehr über Prozesse, Abläufe, Optimierung. Wenn die lokalen Mitarbeiter von Give Directly in ein Dorf fahren, das für Geldtransfers ausgewählt wurde, wird zuerst mit dem Dorfältesten gesprochen. Man stellt sich vor, erklärt, woher das Geld kommt, dass es nur einmal kommt und an keine Auflagen geknüpft ist.

Dann wird ein Treffen mit dem ganzen Dorf vereinbart. "Das ist wichtig", sagt Knapp, "denn wir wollen Probleme vermeiden." Probleme? Das könnte etwa sein, dass der Dorfälteste einen Teil des Geldes aller anderen beansprucht. Manchmal ist es aber auch die Skepsis. So wurde vereinzelt befürchtet, dass die Transfers ein Trick seien, um an das Land der Menschen zu bekommen. "Für all das gibt es eine große Versammlung."

Ein Zettel mit Ideen für alle Teilnehmer. Viele hatten nie zuvor so viel Geld in der Hand. Ihnen sollen Ratschläge helfen.
Foto: Standard / Sator

Dann geht es an die Umsetzung. Mitarbeiter von Give Directly registrieren die Haushalte, überprüfen, ob sich nicht manche Paare als einzelne Haushalte ausgeben, um zweimal an das Geld zu kommen. Es wird auch überprüft, ob die Leute hier schon länger leben und nicht andere, die vielleicht von der Aktion erfahren haben, noch schnell hierher "gezogen" sind. Dafür gibt es insgesamt drei voneinander unabhängige Teams, die das checken.

"Dann bekommen die Teilnehmer, die keines haben, Handys", sagt Knapp. "Fast niemand hat schon eines." Dafür werden ihnen 20 Dollar abgezogen. Über das Handy wird nun ein Konto eingerichtet, auf das das Geld fließt. Auf das Geld hat man Zugriff, in dem man *165* am Handy wählt. Abheben kann man es bei quasi jedem Kiosk, der auch auf dem Land nicht weit entfernt ist. Dafür braucht es eine fünfstellige PIN, die nur sie kennen.

Mitarbeiterinnen rufen nach jeder Auszahlung die Teilnehmer an.
Foto: Standard / Sator

Das ist auch der Grund, warum es kaum Probleme mit den Transfers gibt. Die meisten geben das Geld rasch aus, für Land, Vieh, das Haus oder die Kinder. Das lässt sich schwer stehlen. Was nicht ausgegeben wurde, liegt auf dem Konto. In Bukedea wurde das Geld in zwei Raten überwiesen. Nach der ersten gibt es einen Anruf, ob alles okay war. Hat es geklappt, kommt die zweite Rate zwei Monate später. Wieder folgt ein Anruf.

Das lokale NGO-Büro in Bukedea.
Foto: Standard / Sator

Wir kommen in Kachede an, einem Dorf mit etwa 2.000 Bewohnerinnen und Bewohnern. Es ist heiß, ein Schwein läuft an uns vorbei, die meisten hier sind Bauern. Ihre Häuser sind so groß wie ein durchschnittliches Zimmer in Österreich, der Boden bei den Ärmsten aus getrockneten Kuhfladen. Die meisten Dächer sind aus Stroh, manche aus Blech. Die meisten hier haben die zweite Rate vor zwei Monaten erhalten. Bei manchen fehlen Papiere – oder es wird noch überprüft, bevor das Geld kommt.

Stephen Eroni, 81, der Dorfälteste, groß, fester Händedruck, weiße Haare und Schnauzer, begrüßt mich. Er ist so etwas wie der informelle Bürgermeister. Wenn es Konflikte gibt, versucht er zu vermitteln. Sehr glücklich, sehr dankbar sei man über das Geld, sagt er. Das Leben hier sei gut, aber es fehle der Strom, fließendes Wasser und Medikamente.

Stephen Eroni, der Dorfälteste.
Foto: Standard/Sator

Eroni war Hürdenläufer, ist viel herumgekommen, nach Jamaika, Australien, hat in einem Gefängnis gearbeitet und später einen kleinen Shop in der Hauptstadt Ugandas geleitet. Dort sei er aber davongejagt worden, er zog zurück aufs Land, nach Kachede, hatte kaum mehr Geld und baut jetzt Melonen an. Seine Söhne und Töchter wohnen um ihn herum, 18 Kinder habe er, sagt er, vor seinem Haus sind sechs davon begraben. Das sei hier so üblich.

Die knapp 800 Euro hat er schon ganz ausgegeben, wie die meisten, mit denen man spricht. Viele im Westen sorgen sich darum, dass die Menschen das Geld einfach verjubeln. Doch die Gespräche mit den Menschen hier zeigen genau wie Studien zum Thema, dass viele der Ärmsten ziemlich genau wissen, was sie damit machen wollen. Eroni renovierte eine Fassade, besserte Wände aus, kaufte sich eine Solaranlage, damit er abends lesen kann, und gab den Rest für seine Melonenfelder und Medikamente aus.

Der Mangobaum, unter dem früher gebetet wurde. Links daneben: Ziegel, mit denen die neue Kirche gebaut wird.
Foto: Standard / Sator

Einen Teil seines Geldes hat er in die neue Kirche gesteckt. Das habe man im Dorf hier so vereinbart. Jeder gab ein bisschen ab. Bis vor kurzem wurde gemeinsam unter dem Schatten des riesigen Mangobaums gebetet. Jetzt gibt es dafür ein schlichtes Gebetshaus für alle.

Ein Mitarbeiter von Give Directly erzählt, rein äußerlich habe sich hier vieles verändert, es wurde viel gebaut, es gebe mehr Vieh und weniger Hunger. Eroni sagt, es wäre manchmal besser, würde man das Geld den Frauen geben. Manche Männer würden es bloß für Alkohol ausgeben. Die Forschung zum Thema bestätigt das nicht. Ob es nicht doch noch etwas mehr Geld gebe, fragt Eroni dann Mark Knapp, den operativen Manager von Give Directly.

Der lacht und schüttelt den Kopf. Die Frage kennt er. In Kenia hat Give Directly ein Experiment über zwölf Jahre laufen, dort bekommen 4.500 Menschen etwa 22 Dollar im Monat. Wissenschafter begleiten das Projekt und wollen wichtige Erkenntnisse über ein bedingungsloses Grundeinkommen sammeln. Überall sonst gibt es die Geldtransfers aber nur einmalig.

Wenn Ihnen der Beitrag gefallen hat, melden Sie sich für den Newsletter an. Ich schreibe Ihnen, wenn im Rahmen der Serie ein neuer erscheint. (Andreas Sator, 17.1.2021)