Jeden Tag Bildschirm und kaum Bewegung: Das wirkt sich kurzfristig und langfristig aus, warnen Kindergesundheitsexperten.

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In der Corona-Pandemie wird die Verbindung zwischen den Generationen besonders deutlich. Es geht um die Infektionsketten und die Frage, inwiefern sich das Virus über die unterschiedlichen Altersstufen verbreitet. Konkret geht es um die Übertragung von jungen auf ältere und alte Menschen. Diese Fragen spielen bei Schulöffnungen eine Rolle.

"Derzeit gibt es keine Daten, die überzeugend darauf schließen lassen, dass die jüngeren Altersgruppen von der neuen britischen Virusvariante stärker betroffen sind als die anderen Altersgruppen", sagt Daniela Schmid, Infektionsepidemiologin in der Gesundheitsagentur Ages. Die anfängliche in diese Richtung gehende Annahme wurde mittlerweile von den Forschern wieder revidiert. "Neue Untersuchungen zeigen, dass sich die neue Virusvariante in allen Altersgruppen gleich ausgebreitet hat, es gibt bisher keinen Hinweis für eine stärkere Ausbreitung bei Kindern und Jugendlichen", sagt auch Virologin Judith Aberle von der Med-Uni Wien.

Langfristig denken

Auf Basis dieser Erkenntnis sei die Fortführung der Schulschließungen als Maßnahme zur Prävention der Verbreitung dieser neuen Variante und der Pandemie allgemein nicht mit den gegenwärtig zur Verfügung stehenden epidemiologische Daten begründbar, sind sich die Expertinnen einig.

"Die meisten Ansteckungen finden zu Hause statt", sagt auch auch der Leobner Kinderarzt Reinhold Kerbl, Generalsekretär der Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde. Die Anzahl der positiv getesteten Kinder sei gestiegen, doch das spiegle die Gesamtepidemiologie wider. "Je stärker das Virus kursiert, umso höher die positiven Testungen in allen Altersgruppen", sagt er und bezieht sich dabei auf die Ergebnisse der beiden Gurgelstudien. Zu Beginn der Pandemie waren 0,36 Prozent der Kinder positiv, in der zweiten Phase im Herbst 1,4 Prozent. "Wir können nicht nachvollziehen, auf welcher Basis man die Politik der Schulschließungen rechtfertigt", so Kerbl.

Vor den nachhaltigen Schäden für Kinder und Jugendliche warnt auch der Public-Health-Experte Martin Sprenger, der nicht müde wird, zu betonen, dass Bildung eine wichtige Determinante für die lebenslange Gesundheit ist. Ist eine Unterrichtspause von ein paar Monaten tatsächlich entscheidend? "Ja, die Datenlage ist eindeutig", ist er überzeugt. Besonders beeinträchtigt sind all jene Kinder und Jugendliche, die es aus sozialen, gesellschaftlichen oder psychischen Gründen ohnehin nicht leicht haben und sich schwer tun, mithalten zu können. "Ihre Chancen im Leben werden durch Schulschließungen und die damit verbundenen Unsicherheiten noch stärker beeinträchtigt", so Sprenger. Es sind Folgen, die sich statistisch zum Teil erst in zwei Jahrzehnten niederschlagen werden, etwa durch den Anstieg psychischer Erkrankungen, aber auch durch Bildungsdefizite, die den gesellschaftlichen Status, Arbeitsverhältnis und Einkommen bestimmen.

Ungleichheit gegensteuern

Schon jetzt sei ersichtlich, dass Corona in vielen Lebensbereichen Ungleichheiten verschärft. "Kinder, die in stabilen Lebensbereichen aufwachsen, werden weniger beeinträchtigt sein als solche aus einem belasteten Umfeld", sagt Sprenger. Es seien Folgen, die für die Politik in 20 Jahren relevant sein werden.

Wie sehr die Schule das Leben nachhaltig prägt, ist gut untersucht. Doch Kinderärzte sehen bereits auch nach einem Jahr Veränderungen. Etwa einen Anstieg der Kurzsichtigkeit durch die vielen Stunden vor zu kleinen Bildschirmen und Handys. Auch Bewegungsmangel sieht Kerbl als Problem: "Übergewicht und seine Folgen sind auch schon vor der Corona-Pandemie eine große Sorge gewesen", sagt er und befürchtet, dass sich das beträchtlich verstärken werde.

Klar ist, dass Kinder und Jugendliche auch die psychischen Belastungen der Corona-Krise erfahren und etwa die Angst der Eltern vor Ansteckungen als sehr eindrücklich erleben. "Das ist nicht trivial", sagt Kerbl und hofft, dass auch solche Folgen bei politischen Entscheidungen zu Schulschließungen berücksichtigt werden. "Defizite in der Kindheit akkumulieren sich", sagt Sprenger. Für Kerbl sind Länder wie Schweden, die Schweiz oder Dänemark gute Beispiele dafür, dass die Pandemie auch ohne langfristige und wiederholte Schulschließungen gemanagt werden kann. (Karin Pollack, 12.1.2021)