Bundeskanzler Sebastian Kurz dominierte 2020 mit seinen Auftritten die wichtigsten Nachrichtensendungen des ORF – nicht immer nur zu seinem Gefallen.

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Wien – Die durchgeschaltete "Zeit im Bild 1" in ORF 1 und ORF 2 trägt ihren Teil dazu bei, dass die ORF-Nachrichtensendungen in Corona-Zeiten zu Höhenflügen ansetzen. Dazu kommt noch das Informationsbedürfnis der Bevölkerung, das in der Pandemie besonders groß ist. Vom enormen Interesse – so erreichte etwa die "ZiB 1" um 19.30 Uhr im Dezember 2020 pro Sendung im Schnitt 1,67 Millionen Zuseher und die "ZiB 2" um 22 Uhr durchschnittlich 805.000* – profitieren auch Österreichs Politiker. Sie können ihre Botschaften an ein noch größeres Publikum adressieren, auch wenn sie nicht immer erfreulich sind.

Hauptprofiteur der guten ORF-Quoten war im Jahr 2020 Bundeskanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz. Er kam in der "ZiB 1" und der "ZiB 2" von allen Parteichefs mit Rekordvorsprung am längsten zu Wort. Kurz lag mit insgesamt 15.203 Sekunden "ZiB"-Redezeit deutlich vor Vizekanzler und Grünen-Chef Werner Kogler, der es auf 8.229 Sekunden in den zwei weitaus meistgesehenen Nachrichtensendungen des Landes brachte, sowie SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner mit 6.524 Sekunden. Neos-Parteivorsitzende Beate Meinl-Reisinger durfte 3.122 Sekunden reden und FPÖ-Chef Norbert Hofer 2.919.

Von der gesamten Regierungsriege kam Kurz 2020 nur Gesundheitsminister Rudolf Anschober von den Grünen mit einer Redezeit von fast 14.000 Sekunden recht nahe. Er hatte allerdings – ebenso wie Kurz – nicht immer nur gute Nachrichten zu verkünden.

Um so viele Sekunden länger als die Nummer zwei in der Regierung war noch kein anderer Parteichef in den wichtigsten "ZiBs" am Wort, analysieren die Experten der APA-DeFacto in ihrer Auswertung und mit Blick auf die Vergleichsdaten seit dem Jahr 2012.

2018 lag Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) beispielsweise in der "ZiB 1" und "ZiB 2" mit 5.902 Sekunden Redezeit vor Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) mit insgesamt 2.864 Sekunden Redezeit – eine Differenz von 3.038 Sekunden. 2019 brachte der Ibiza-Skandal die Regierung zum Implodieren.

Der Kanzlerbonus wächst also im ORF, der im August 2021 einen neuen Generaldirektor wählt oder den alten bestätigt. Für ORF-Chef Alexander Wrabetz wäre es bereits die dritte Wiederwahl beziehungsweise vierte Amtszeit. Gewählt wird der Generaldirektor vom ORF-Stiftungsrat, in dem derzeit die ÖVP-nahen Räte eine Mehrheit bilden.

Dass 2020 ein besonderes Jahr war, sieht man auch, wenn man die Redezeit der Regierungsspitze herunterbricht. Kurz hat sich da seit 2018 immerhin von 19 Sekunden "ZiB"-Redezeit pro Amtstag auf 41 Sekunden hochgeschraubt, und auch der Vizekanzler bekommt im Schnitt pro Tag doppelt so viel Redezeit. Zum Vergleich sei noch Gesundheitsminister Rudolf Anschober angeführt, der mit 39 Sekunden pro Tag knapp hinter dem Bundeskanzler bleibt.

Das Verhältnis der "ZiB"-Sekunden zwischen Regierung und Opposition betrug 2020 in der "ZiB 1" 77 zu 23 Prozent, in der "ZiB 2" lag es bei 80 zu 20 Prozent. In der "Zeit im Bild 1" konnte die ÖVP 44 Prozent der Redezeit für sich verbuchen, die Grünen kommen auf 26, die SPÖ auf 16, die Neos auf sieben und die FPÖ auf sechs Prozent der Originaltöne.

Ein neues Allzeithoch, wenngleich auf niedrigem Niveau, brachte 2020 das Geschlechterverhältnis. So entfielen 26 Prozent der Originaltöne in der "ZiB 1" auf Politikerinnen, während ihre Kollegen auf 74 Prozent kamen. Rechnet man die "ZiB 2" dazu, sind es insgesamt 27 versus 73 Prozent.

Inhaltlich dominiert bei allen Parteien die Corona-Krise. Bei den Grünen bestimmt sie mit 62 Prozent das Themenspektrum am stärksten, sie stellen auch den Gesundheitsminister. Bei den anderen Parteien ist dieser Wert etwas niedriger. Bei der SPÖ und der FPÖ spielen Parteinterna mit neun beziehungsweise fünf Prozent auch eine Rolle. Der Ibiza-Skandal kam zwar bereits im Mai 2019 ins Rollen, allerdings drehten sich auch 2020 noch zehn Prozent der "ZiB"-Originaltöne aus den Reihen der FPÖ um das Thema.

(Oliver Mark, Harald Fidler, Sebastian Kienzl, Daniela Yeoh, 15.1.2021)