Eine Frau zeigt auf zwei Begriffe: "Green Needle" und "Brainstorm". Darüber steht die Erklärung: "You will only hear the word you’re reading". Danach spricht eine offenkundig computergenerierte Stimme einen Begriff. Nur welchen von beiden hört man? Ein Rechtsanwalt aus Schottland hat am 8. Jänner das kurze Video auf Twitter geteilt, tags darauf landete es dank Journalisten in der heimischen Twitter-Community. Das Video, mittlerweile 3,3 Millionen Mal aufgerufen, regt offenbar zu Diskussion an. Wer hört das eine, wer das andere? Wer hört richtig? Wer nicht? Gibt es überhaupt ein richtig oder falsch?

Die Frage ist vielmehr: Was steckt dahinter? Viele Menschen hören das, was sie erwarten. Sie klammern sich an akustische Muster, die ihnen bekannt sind. In der Neurowissenschaft nennt man das Priming – die Beeinflussung der Verarbeitung von Sinnesreizen. Das zuerst gelesene Wort überlagert in dem Fall im Kopf das anschließend gehörte. Ähnliche Videos kursieren mit schöner Regelmäßigkeit auf diversen Plattformen, immer wieder kommentieren Nutzer wie "Falter"-Chefredakteur Florian Klenk: "Das ist das Verrückteste, das ich seit langem auf Twitter gesehen habe."

Auf den Kontext kommt es an

Auch "Green Needle" und "Brainstorm" gingen schon einmal viral, nämlich Mitte 2018. Damals mit der TikTok-Userin @emilysophie.m als Protagonistin, fünf Millionen User und Userinnen haben das Video in kürzester Zeit gesehen. Sogar dem ehrwürdigen "Time"-Magazine war das damals ein Bericht wert. Und vor mehr als zwei Jahren wurde das Spielzeug, das nach dem Einschalten die merkwürdig blecherne, computergesteuerte Stimme von sich gibt, in einem Video präsentiert.

Grundsätzlich hängt das, was wir hören, immer vom Kontext ab, in dem wir es hören. Es ist auch nicht weiter überraschend, dass mehrere Menschen Töne unterschiedlich interpretieren. Auch die Frequenz beeinflusst das Gehörte. Hinlänglich bekannt ist das Agathe-Bauer-Spiel vieler Popsender: Der Songtitel "I’ve Got the Power" (Snap!, 1989) wird genauso deutsch gehört wie "I Believe in Miracles" (Hot Chocolate, 1975) als "Alle lieben Mirco" – allerdings muss man durch Moderatoren schon darauf hingewiesen werden. Wie bei "Green Needle" und "Brainstorm". (Peter Illetschko, 11.1.2021)