Als Napoleon auf seinem Ägypten-Feldzug die Pyramiden von Gizeh erblickte, gab es dort rundherum nur Wüste. Heute sind diese Weltwunder von rasch wachsenden Stadtvierteln des urbanen Molochs Kairo umringt.

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Im Sudan findet man mehr Pyramiden als in Ägypten vor.
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Wer Pyramiden wie einst der französische Feldherr erleben möchte, der muss das rund 2.000 Kilometer weiter südlich suchen, in Ägyptens Nachbarland Sudan. Die dortigen Bauwerke sind rund 3.000 Jahre jünger, viel kleiner, spitzer und zahlreicher als ihre großen Brüder im Norden. Der Besuch dieser mysteriösen Grabmäler und anderer antiker Stätten entlang des Nils bieten ein Reiseerlebnis, wie man es sonst in der Welt selten findet. Denn anders als in Ägypten vor der Corona-Pandemie hat ein Besucher diese Stätten fast für sich allein.

Der Welt öffnen

Der Tourismus hat zwar in vergangenen Jahren zugenommen, ist aber noch immer spärlich. Zu unsicher, zu gewalttätig war bis vor kurzem der Ruf des zweitgrößten Staates in Afrika. Dabei gelten die Sudanesen, die arabische und afrikanische Kultur miteinander verbinden, zu Recht als ganz besonders freundlich. Und seit dem Sturz des Langzeitdiktators Umar al-Baschir 2019 macht das Land mit seiner neuen Zivilregierung große Anstrengungen, sich der Welt zu öffnen.

Die Reiseroute folgt dem Nil
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Es gibt zwar kaum Hotels und Restaurants, Kreditkarten funktionieren nicht, und es fehlt sogar an Treibstoff. Aber da der Sudan nun von der Terrorliste der USA gestrichen wurde und damit auch an das internationale Finanzsystem wieder angeschlossen werden kann, ist das Land für die Zeit nach Corona ein vielversprechender Tipp. Auch jetzt kann man mit einem negativen PCR-Test einreisen. Ganz individuelles Reisen ist mühsam, aber Auto, Guide und Unterkunft lassen sich gut von einem der Reisebüros vor Ort organisieren. Das taten auch wir bei unserem Besuch kurz vor Ausbruch der Pandemie.

"Schwarze Pharaonen"

Wir folgten dabei dem Nil von der Hauptstadt Khartum nach Norden bis knapp vor der Grenze zu Ägypten – die traditionelle rund zehntägige Reiseroute, die aus Ägypten kommend auch umgedreht werden kann. Dabei werden rund 4.000 Jahre Geschichte durchquert. Die Ägypter kontrollierten Jahrhunderte Nubien und prägten Kultur und Architektur. Aber immer wieder wurde das ägyptische Joch abgeworfen; im 7. Jahrhundert vor Chr. beherrschten die "schwarzen Pharaonen" als 25. Dynastie Ägypten, der legendäre Taharqa drang sogar bis nach Assyrien vor.

Eine riesige Taharqa-Statue dominiert das Nationalmuseum in Khartum, ein unscheinbarer Bau aus den 1960er-Jahren mit einer großartigen Sammlung. Im Park wurden mehrere ägyptische Tempel, die vor den Fluten des Assuan-Stausees gerettet worden waren, wieder aufgebaut; im Gebäude selbst finden sich unzählige nubische Statuen und Kunstwerke sowie christliche Fresken aus einer frühmittelalterlichen Kathedrale. Dass der Sudan bis zum Jahr 1400 noch vornehmlich christlich war, wird angesichts der heute so starken islamischen Prägung gern vergessen.

Khartum
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Khartum ist eine entspannte, aber eher gesichtslose Großstadt mit einem alten Flughafen mitten im Zentrum. Sie wurde von den britischen Kolonialherren an jener Stelle gegründet, an der sich der Blaue und der Weiße Nil vereinen. Auf einer Bootsfahrt lassen sich die besten Fotos davon einfangen. Wir besuchten den pittoresken Souk in der alten Hauptstadt Omdurman auf der anderen Nilseite und einen Kamelmarkt außerhalb der Stadt, bevor wir im Jeep einen Tag lang auf einer gut ausgebauten Fernstraße Richtung Norden fuhren, stets auf der Suche nach Tankstellen, wo etwas Benzin zu ergattern war. Als Verpflegung gab es auf den staubigen Stationen meist nur Brot, Linsen und Eier. Angesichts der oft sehr spartanischen Gästehäuser übernachten viele Tourgruppen lieber in der Wüste in Zelten.

Ausgegraben

Den fehlenden Komfort machen die Ausgrabungen wett. Rund um den dritten Nil-Katarakt – eine jener Stromschnellen, die den Fluss im Sudan nicht schiffbar machen – stehen die Festung Kerma aus dem 2. Jahrtausend v. Chr. und der Steinbruch von Tombos, wo wir mit einem amerikanischen Archäologen, der mit seinem Team gerade eine alte Stadtmauer vermaß, ins Gespräch kamen. Von der kleinen Siedlung Wawa überquerten wir am nächsten Morgen per Boot den Nil, um zu den Ruinen des altägyptischen Tempels von Soleb zu gelangen – ein pharaonischer Monumentalbau aus der Blütezeit des Neuen Reichs, den wir ganz für uns allein hatten. Der einzige Bezug zur Zivilisation war der Wächter, der Eintritt in Dollar verlangte und die Tickets mit seinem Gerät auch gleich ausdruckte.

Sonnenuntergang über der historischen Landschaft
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Eine halbe Tagesreise Richtung Süden gelangten wir zu einem der beiden großen archäologischen Stätten des Sudans, der Stadt Karima mit ihren Tempeln und Pyramiden aus der Zeit des Königreichs von Meroe oder Kusch, das von 400 v. bis 300 n. Chr existierte und das ägyptische Erbe erhielt. Sie stehen am Fuße eines heiligen Berges, des Jebel Barkal, der am frühen Abend bestiegen werden sollte, um den Sonnenuntergang über der historischen Landschaft zu erleben.

Bedroht

Wer unterhalb der acht Pyramiden – die Grabkammern sind tief unter der Erde angelegt – begraben ist, bleibt unbekannt. Anders als in Gizeh wurden hier die Außenmauern errichtet und dann der Hohlraum mit Schutt und Erde gefüllt. Wenn die Außenmauern bröckeln, quillt die Füllung heraus. Der Innenraum eines Grabes mit gut erhaltenen Wandmalereien und Hieroglyphen lässt sich auf dem Friedhof von al-Kurru besichtigen, wo unter vielen anderen Taharqas Vater Tanotamun begraben ist.

Tarhaqa, der legendäre Pharao, ließ sich als erster Herrscher eine Pyramide errichten; sie steht auf dem weitläufigen Gräberfeld von Nuri und ist wie die anderen dortigen Bauten vom Verfall bedroht. Nicht nur der Wüstenwind, auch das Nilwasser, das wegen eines nahegelegenen Staudamms steigt, setzt ihnen zu. Selbst für die einfachsten Schutzmaßnahmen fehlt das Geld.

Beduinen, keine Touristen

Auf dem halben Weg zurück nach Khartum liegt inmitten einer surrealen Wüstenlandschaft die größte Sehenswürdigkeit des Landes, die schwarzen Pyramiden von Meroe, von denen an die hundert noch zu sehen und einige trotz der Zerstörungen durch Natur und Mensch gut erhalten sind. 600 Jahre lang ließen sich die nubischen Könige und Adelige hier begraben. Vor den Pyramiden stehen kleine Totentempel mit Reliefs von ägyptischen und eigenen Gottheiten und einem auffallend realistischen Stil. Dass vielen von den Pyramiden die Spitze fehlt, ist die Schuld des italienischen Abenteurers Giuseppe Ferlini, der 1834 in ihnen nach Schätzen suchte – und leider auch welche fand. Das kostete dank Nachahmern weiteren Pyramiden den Kopf.

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Im Norden des Sudan tauchen die Pyramiden von Meroe ohne Spuren der Moderne in der Wüste auf. Die Spitzen vieler Pyramiden von Meroe hat ein italienischer Schatzsucher zerstört.
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Danach sollte man auf dem Rückweg noch unbedingt auf die Rumpelpfade abbiegen, die zu den antiken Stätten Naqa und al-Musawwarat as-sufra führen – mit ihren prachtvollen Löwentempeln, deren Außenmauern Szenen aus dem Leben des nubischen Kriegsgotts Apedemak schmücken. Andere Touristen sahen wir dort nicht, nur Beduinen, die mühsam Wasser aus einem tiefen Brunnen schöpften.

Dem Sudan wäre zu wünschen, dass in den kommenden Jahren endlich mehr Gäste ins Land kommen – und dass das Erlebnis für Besucher dennoch so bleibt, wie es ist. (Eric Frey, RONDO, 17.1.2021)