Es sollte die goldene Regel jeder Debatte sein: Ziehe keine Vergleiche zur NS-Zeit. Dennoch ist die Versuchung groß, aktuelle Ereignisse in einem Atemzug mit den Schrecken des Naziregimes zu nennen, und wie so viele vor ihm ist ihr auch Kaliforniens Ex-Gouverneur Arnold Schwarzenegger erlegen. Er verglich den Sturm auf das Kapitol mit dem Novemberpogrom von 1938 und erinnerte an seine Kindheit unter Ex-Nazis in der Steiermark.

Schwarzeneggers persönlich gehaltenes Video war in dieser Hinsicht verfehlt. Aber dem Austroamerikaner ging es weniger um eine präzise historische Analyse als um die eindringliche Warnung vor den Gefahren, denen Amerikas Demokratie durch Donald Trumps Hetze und Lügen ausgesetzt ist. Damit schließt sich der moderate Republikaner einem Chor öffentlicher Stimmen an, der in den Bildern der vergangenen Woche mehr sieht als nur eine schändliche Episode einer katastrophalen Präsidentschaft – sondern die ersten Symptome eines gescheiterten Staates.

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Droht die US-Demokratie in Flammen aufzugehen? Die Bilder der letzten Woche zeigen deutlich die Verwundbarkeit des Systems.
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Wissenschaft und Medien ringen derzeit intensiv um die Interpretation der Ereignisse. Manche orten einen Staatsstreich, der nur durch den Widerstand einiger Personen – vor allem des Vizepräsidenten Mike Pence – gescheitert ist. Tatsächlich hat Trump seit seiner Niederlage am 3. November mit allen Mitteln versucht, das demokratische Wahlergebnis auszuhebeln, und er hat dafür in seiner Partei erschreckend viel Unterstützung erhalten.

Aber bei aller Radikalität der Beteiligten fällt es schwer, den Sturm auf das Kapitol als Teil eines ausgeklügelten Masterplans zu sehen. Was am 6. Jänner in Washington geschah, erinnert trotz des Blutzolls eher an Groucho Marx als an Lenin. Trump ist – zum Glück – ein Narziss ohne feste Ideologie, strategische Denkfähigkeit und kompetente Berater. Er kann seine Anhänger zwar aufhetzen, aber nicht kontrollieren.

Historische Parallelen

Wenn man schon historische Vergleiche sucht, dann bietet sich der gescheiterte Hitler-Ludendorff-Putsch von 1923 an. Tatsächlich gibt es Parallelen zwischen der Weimarer Republik und den USA von heute: Millionen von Bürgerinnen und Bürgern, die sich durch gesellschaftliche Veränderungen bedroht fühlen und den Lügen mehr glauben als den Fakten; rassistische Milizen, die bereit sind, die Demokratie mit Gewalt zu bekämpfen; und rechte Politiker, die in der Verteidigung ihrer Macht und Privilegien keine Skrupel kennen.

Die deutsche Demokratie ist im folgenden Jahrzehnt am Kollaps der Wirtschaft und der Schwäche der nichttotalitären Parteien gescheitert. Könnte den USA etwas Ähnliches drohen?

Die vergangenen Wochen haben die Resilienz, aber auch die Verwundbarkeit des politischen Systems aufgezeigt. Die Institutionen waren gerade noch stark genug, um mit Trump und seinen Anhängern fertig zu werden. Aber es war ein knappes Entkommen: Trump hätte die Wahl mit einigen Tausend Stimmen mehr gewinnen, Lokalpolitiker und Gerichte Joe Bidens legitimen Wahlsieg in den Wochen danach umdrehen können.

Der Sturm auf das Kapitol war das letzte Aufbäumen in einer verlorenen Schlacht. Aber die Geschichte hat gelehrt, dass solche Niederlagen nie endgültig sind. Für demokratisch gesinnte Politiker aus beiden Parteien und die Institutionen der Zivilgesellschaft beginnt die Herausforderung erst. Die Person Trump ist dabei gar nicht die größte Gefahr. (Eric Frey, 11.1.2021)