Die Larven von Seepocken siedeln sich bevorzugt dort an, wo schon andere Seepocken sitzen – egal ob es sich dabei um Schiffsrümpfe, Steine, Muscheln oder Buckelwale handelt.

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Dass Seepocken das Vorankommen von Schiffen massiv behindern können, ist Bootseignern und Seeleuten auf der ganzen Welt bekannt. Dass sie auch imstande sind, politische Karrieren zum Stillstand zu bringen, ist hingegen neu und dürfte eine in Österreich endemische Erscheinung sein. Charles Darwin widmete ihnen akribische Untersuchungen und acht Jahre seines Lebens.

Auf den ersten Blick sehen Seepocken eher wie Muscheln aus, und tatsächlich hielt man sie noch 1832 für Weichtiere. Tatsächlich handelt es sich aber um Krebse. Als solche beginnen sie ihr Leben als frei schwimmende Larven, setzen sich dann aber auf einem geeigneten Untergrund fest und bleiben dort den Rest ihrer Tage angeklebt.

Gemeinsam mit den ebenfalls sessilen Entenmuscheln gehören sie zur Gruppe der Rankenfüßer (Cirripedia). Letztere haben allerdings einen Stiel, während die Seepocken mit einer Grundplatte direkt dem Untergrund aufsitzen. In Deutschland gibt es sieben Seepockenarten; im Binnenland Österreich kommen sie außerhalb der Literatur nicht vor, da sie reine Meerestiere sind.

Das erste Larvenstadium ist eine für Krebse typische Nauplius-Larve: Diese hat drei Beinpaare und ein mittiges Auge und ernährt sich von Plankton. Bei den Rankenfüßern entwickelt sich daraus im Lauf der Zeit eine sogenannte Cypris-Larve, die eine zweiklappige Schale und rückgebildete Mundwerkzeuge aufweist. Sie nimmt dementsprechend auch keine Nahrung auf.

Suche nach Untergrund

In diesem Stadium suchen sich die Tiere einen geeigneten Untergrund, auf dem sie den Rest ihres Lebens verbringen werden. Die meisten Seepocken leben in der Gezeitenzone an Küsten, wo sie Felsen, Steine und Pfähle besiedeln. Sie kleben aber auch auf Muscheln – häufig findet man sie an Miesmuscheln –, Schnecken, anderen Krebsen und sogar auf Buckelwalen.

Ebenso setzen sie sich gern an Schiffsrümpfen und -propellern fest. Dabei können sie riesige Ansammlungen bilden, die das Gewicht und den Strömungswiderstand der Fahrzeuge massiv erhöhen. In der Folge werden die Schiffe merklich langsamer und brauchen mehr Treibstoff, weshalb Seepocken und andere Bewuchs-Organismen in der Schifffahrt auch als "Fouling" bekannt sind.

Zementdrüse

Hat sie einen geeigneten Untergrund gefunden, heftet sich die Cypris-Larve mithilfe einer Zementdrüse am Kopf daran fest. Danach beginnt eine komplizierte Metamorphose, in deren Verlauf sie je nach Art vier bis acht Kalkplatten ausbildet, die fix miteinander verbunden sind und oben eine kleine Öffnung freilassen, die bei Gefahr oder Trockenheit mit beweglichen Platten verschlossen werden kann.

Auch auf einigen Bartenwalen wie diesem Südkaper (Eubalaena australis) siedeln sich häufig Seepocken an.
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Aus dieser Öffnung ragen sonst die namensgebenden Rankenfüße heraus: Das sind die durch seitliche Borsten kammartig verbreiterten Beine, die fächerartig nebeneinanderliegen und eine Art Korb bilden, mit dem die Tiere Plankton aus dem Meerwasser filtern (im Zuge der Umwandlung haben sie auch wieder Mundwerkzeuge ausgebildet). Die Tiere liegen also auf dem Rücken und strecken ihre Beine durch die Kalkplatten in die Höhe.

Die Larven siedeln sich bevorzugt dort an, wo schon andere Seepocken sitzen: So erwies sich ein mit Seepocken-Extrakt beschmierter Felsen im Experiment gegenüber einem unbehandelten Stein als deutlich attraktiver. Die große Nähe zu anderen Seepocken löst auch ein prinzipielles Problem der Fortpflanzung, nämlich die Erreichbarkeit von Sexualpartnern.

Gegenseitige Begattung

Die Tiere sind Zwitter und begatten sich gegenseitig. Zu diesem Zweck haben sie einen der längsten Penisse des Tierreichs: Damit tasten sie die Umgebung ab, und wenn sie eine benachbarte Seepocke gefunden haben, befruchten sie damit deren Eier. Daraus schlüpfen dann die Nauplius-Larven.

Eine folgenschwere Begegnung mit einer Seepocke hatte Charles Darwin auf seiner Reise auf der Beagle: Auf einer Muschelschale entdeckte er ein winziges Exemplar, dessen nähere Untersuchung dazu führte, dass Darwin sich von 1846 bis 1854 intensiv mit der Gruppe beschäftigte, über die damals wenig bekannt war: Acht Jahre lang sezierte und klassifizierte er sämtliche Seepockenarten – inklusive fossiler Spezies –, die ihm von Museen und privaten Sammlern zur Verfügung gestellt wurden.

"Ich hasse Seepocken"

Leicht war die Arbeit nicht: "Ich hasse Seepocken mehr als jeder andere Mensch zuvor", schrieb er 1852 an seinen Cousin, "sogar mehr als ein Seemann auf einem langsamen Schiff." Nichtsdestoweniger brachten seine minutiösen Arbeiten vier Monografien über die Cirripedia hervor, die ihn zu einer der führenden Persönlichkeiten in der britischen Zoologie-Community machten.

Auch in seiner 1859 veröffentlichten Theorie zur Entstehung der Arten spielten Seepocken eine wichtige Rolle: Das akribische Studium einer kompletten Organismengruppe inklusive ihrer Fossilien half nicht nur ihm selbst dabei, die Vielfalt nahe verwandter Arten und die Möglichkeiten ihrer Entstehung zu sehen, sondern bewirkte auch, dass viele Leser seines "On the Origin of Species" eher bereit waren, sich mit seinen Ideen auseinanderzusetzen. (Susanne Strnadl, 13. 1. 2021)