München – Bis vor rund 10.000 Jahren lebten in Nord- und Teilen Südamerikas "schreckliche Hunde". Die deutsche Übersetzung der lateinischen Bezeichnung Canis dirus charakterisiert das mächtige hundeartige Raubtier angemessen: In Form und Proportion glich es einem Wolf unserer Tage, allerdings war Canis dirus mit einer Schulterhöhe von etwa einem Meter und einem Gewicht von annähernd 70 Kilogramm deutlich größer. Der Dire Wolf, wie er im Englischen genannt wird, besaß außerdem gedrungenere Gliedmaßen, sein Kopf war im Verhältnis größer als bei einem Wolf und sein Gebiss war kräftiger als das aller anderen Arten der Gattung Canis. Die Merkmale weisen eher auf einen Aaasfresser als auf einen Jäger hin.

Kein Wunder also, dass die großen Räuber als Vorlage für Fantasy-Kreaturen wie den "Schattenwolf" aus der Fernsehserie Game of Thrones dienten. Weil ihre körperlichen Merkmale einander ähneln, gingen Forscher bisher davon aus, dass Canis dirus nahe mit den heutigen Wölfen verwandt ist. Ein Team um den Paläogenomiker Laurent Frantz von der Ludwig-Maximilians-Universität München analysierte nun gemeinsam mit internationalen Kollegen das Erbgut des Tiere und kam zu gänzlich anderen Schlüssen: Zum Erstaunen der Forscher unterscheidet sich Canis dirus genetisch so stark von anderen Hundeartigen wie Kojoten und Wölfen, dass er sich nicht mit diesen fortpflanzen konnte.

Während der heutige Wolf im Rudel auf die Jagd geht, dürfte Canis dirus sich vor allem von Aas ernährt haben.
Foto: Imago/John Hyde

Keine Hinweise auf Kreuzungen

Für ihre Genanalysen untersuchten die Wissenschafter fünf teilweise mehr als 50.000 Jahre alte Canis-dirus-Überreste. "Möglich wurde dies mithilfe moderner molekularbiologischer Methoden für stark degradierte Materialien", erklärt Koautorin Alice Mouton (University of California Los Angeles). Anschließend verglich das Team diese Genome mit denen zahlreicher weiterer wolfsähnlicher Caniden.

"Auf diese Weise haben wir entdeckt, dass die Geschichte von Canis dirus tatsächlich viel komplizierter ist, als wir bisher dachten", sagt Koautorin Angela Perri (University of Durham). Die Resultate der Wissenschafter deuten darauf hin, dass die Tiere im Gegensatz zu anderen Caniden nicht zwischen Nordamerika und Eurasien hin- und herwanderten, sondern sich über Millionen von Jahren ausschließlich in Nordamerika entwickelten. Obwohl sich das Verbreitungsgebiet der Tiere in Nordamerika mindestens 10.000 Jahre lang mit demjenigen von Kojoten und Wölfen überschnitt, fanden sich keine Hinweise auf Kreuzungen.

Canis Dirus (rechts) war ein Stück größer als der moderne Wolf (links) und nur weitschichtig mit ihm verwandt.
Illustr.: Mariomassone & Momotarou

Getrennte Wege seit sechs Millionen Jahren

"Unsere genetischen Ergebnisse zeigen stattdessen, dass Canis dirus und heute lebende Wölfe sehr entfernte Cousins sind", sagt Koautor Kieren Mitchell (University of Adelaide). Wie die Forscher berichten, ist Canis dirus das letzte Mitglied einer ausgestorbenen Abstammungslinie, die sich vor rund sechs Millionen Jahren abgespalten hat und sich von allen lebenden Hunden unterscheidet. Laurent Frantz fügt hinzu: "Als wir mit dieser Studie begannen, dachten wir, dass Canis dirus nur ein vergrößerter Wolf ist. Dass die genetischen Unterschiede so groß sind, dass sie sich wahrscheinlich nicht gekreuzt haben können, hat uns sehr überrascht. Man geht eigentlich davon aus, dass Hybridisierung zwischen Caniden sehr häufig vorkommt.

Um sich genetisch so stark zu unterscheiden, muss Canis dirus in Nordamerika wohl sehr lange isoliert gewesen sein. Die Forscher vermuten, dass der Dire Wolf durch diese tiefgreifenden evolutionären Unterschiede und die reproduktive Isolation schlecht gerüstet war, um sich an die veränderten Umweltbedingungen am Ende der Eiszeit anzupassen – möglicherweise ein Grund, warum die Tiere ausgestorben sind. (red, 12.1.2021)