Im Gastkommentar fordert Bildungswissenschafter Josef Christian Aigner angesichts der Affäre um die zurückgetretene Arbeitsministerin Christine Aschbacher Konsequenzen im Uni-Betrieb ein.

Angesichts der erdrückenden Belege für die offenbar unseriöse Erlangung akademischer Abschlüsse konnten Kanzler Sebastian Kurz und Arbeits- und Familienministerin Christine Aschbacher nicht anders, als deren Rücktritt bekanntzugeben. Die wenigen Stellen, die von der Plagiatsprüfung durch Stefan Weber öffentlich wurden, zeigen derart umfangreiche Abschreibereien und sprachliche oder Sorgfaltsmängel, dass einem schwindelig wird. Allein die "Conclusio" aus der Dissertation Aschbachers, wonach etwa "Vertrauen in die Mitarbeiter ein zentraler Wert (ist), den die innovativen Führungskräfte beherzigen sollen", strotzt geradezu von peinlichen Selbstverständlichkeiten, die in Diplom- oder Doktorarbeiten nichts verloren haben.

Bei der Plagiatsprüfung durchgefallen: Ministerin Christine Aschbacher (ÖVP) musste gehen.
Foto: APA/Neubauer

Allerdings tut sich Aschbacher keinen Gefallen, wenn sie jetzt den Druck auf ihre Familie, der natürlich nicht akzeptabel ist, sowie unfaire Behandlung durch Medien und Opposition als Grund für ihren Rückzug anführt. Dass sie die erworbenen akademischen Grade durch Arbeiten erreicht habe, die sie nach "bestem Wissen und Gewissen" angefertigt habe, ist eher eine Peinlichkeit – allerdings nicht nur für sie. Wenn sie nicht einfach eine unverfrorene Schwindlerin ist, dann muss das ja jemand durchgehen haben lassen, anstatt sie anzuweisen, wie man wissenschaftliche Arbeiten seriös gestaltet und verfasst.

Dies verweist auf eine "Mitschuld" der verantwortlichen Hochschulen, titelverleihenden Institutionen und auch der betreuenden Professorenschaft, die nun ebenfalls zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Wer betreut die Studierenden an der Fachhochschule (FH) Wiener Neustadt, und zwar nicht erst bei der Diplomarbeit, sondern vom ersten Semester an? Wer schult und führt sie ins wissenschaftliche Denken und Schreiben ein? Wie ist es möglich, dass ein Stil und Umgang mit geistigem Eigentum anderer, wie er in jeder gut betreuten Vorwissenschaftlichen Arbeit zur AHS-Matura verlangt ist, an einer Fachhochschule (und wohl auch an einzelnen Universitäten) bis zum Abschluss offenbar nicht gelernt wird? Hat der Betreuer, scheinbar ein international bekannter FH-Professor, die Arbeit gelesen, geschweige denn korrigiert?

Warum studiert man eigentlich überhaupt in Bratislava?

Dasselbe gilt für den PhD-Abschluss in Bratislava: Welcher Dissertationsbetreuer hat hier mit welchem Aufwand die Doktorandin begleitet? Warum studiert man eigentlich überhaupt in Bratislava? Gibt es nicht auch dort vor und während des Dissertierens ein mehrsemestriges Studium, bei dem man mit derlei Methoden, mit abgekupferten und mittels Google schlecht übersetzten Zitaten von vornherein nie erfolgreich zu einem Abschluss käme?

Das sind Probleme, für die Frau Aschbacher wahrlich nicht allein verantwortlich zu machen ist. Liegt es etwa auch an der Betreuungsintensität: Ich erinnere mich an meine belastetsten Zeiten als Professor, wo ich zugleich mehr als 40 Diplomandinnen und Diplomanden und zusätzlich ein paar Dissertationen zu betreuen hatte, weil die von Politik und Wirtschaft wenig geschätzten sozialwissenschaftlichen Studienrichtungen einfach krass unterbesetzt waren (ich erinnere die Zahl von 1:169 von Lehrenden zu Studierenden). Ich hatte zwar alle Arbeiten wenigstens quergelesen, ja korrigiert (wenn das Deutsch zu fehlerhaft war, verlangte ich eine Vorkorrektur); aber eine detaillierte Überprüfung der "Echtheit" war kaum möglich (weil ja überlastete Professoren auch keine Plagiatsjäger sind). Freilich habe ich für manche auffällige Passagen einfach Google benutzt und bin auch auf die eine oder andere "Abkupferung" gestoßen – was später dann eine Plagiatssoftware erledigte.

Blass vor Neid

All das scheinen die Kollegen in Wiener Neustadt und Bratislava nicht gemacht zu haben. Allerdings trifft zumindest auf die FH Wiener Neustadt nicht zu, dass sie von Studierendenmassen wegen Personalknappheit überfordert gewesen wäre. Ein Blick auf das Personal dieser FH zeigt eine Mitarbeiterinnen- und Mitarbeiterliste, angesichts deren so manche Universität blass vor Neid würde. Aber vielleicht war es etwas anderes: Schon bei meiner Promotionsrede 1981 habe ich – was mir fast ein Verfahren zur Aberkennung des akademischen Grades eingebracht hätte – beklagt, dass manche Professoren (damals keine Frauen) sich offenbar mehr um lukrative Nebengeschäfte kümmern als um ihre Studierenden. Vielleicht gibt es das ja auch heute noch?

Ohne jemandem unrecht tun zu wollen, fallen doch die oft weitreichenden internationalen Verbindungen auf, die gerade auch in Wirtschaftsfächern gepflogen werden, wo Lehrende internationale Geschäfts- und Beratungsverbindungen haben, gleich mehrere Institute, auch im Ausland, leiten usw. Bleibt da immer genügend Zeit für Diplomandinnen wie Frau Christine Kowald (Aschbacher)?

Zu wenig Wert auf Lehre?

Zudem herrscht an Hochschulen und Universitäten heute oft eine einseitige Ausrichtung auf Forschung (die in Form fragwürdiger Leistungsvereinbarungen mit dem Bund und hochdotierter Projekte auch belohnt wird), neben der die Lehre und Arbeit mit Studierenden oft viel zu kurz kommt (und im Vergleich auch so gut wie nicht belohnt wird). Dabei bestünden etwa 40 Prozent der Dienstpflichten an Universitäten in der Lehre, ebenso viel wie für Forschung – und der Rest Verwaltung. Freilich exkulpiert das keine Vorkommnisse wie die hier aufgedeckten. Aber dass diese möglich sind, ist auch für einzelne Hochschulen, Universitäten und Studien wenig ehrenvoll. (Josef Christian Aigner, 12.1.2021)