Friedrich Merz setzt auf Sieg, nicht auf Platz. Beim zweiten Anlauf will er am Samstag auf dem digitalen Parteitag der CDU zum Vorsitzenden gewählt werden.

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Ein "Ichling" sei er. Ein Egomane. Nicht teamfähig. Das wird Friedrich Merz vorgeworfen. Offenbar ist es zu ihm durchgedrungen. Denn als er dieser Tage, zum letzten Mal vor dem digitalen Parteitag, in der CDU-Zentrale steht, um vor einer einschläfernd mausgrauen Wand für seine Wahl zu werben, da ist durchaus vom "Wir" die Rede.

"Wir stehen vor großen Aufgaben", sagt er freundlich. Und: "Mein Team wird der gewählte Bundesvorstand der CDU Deutschlands sein." Es klingt fast bescheiden – zumindest für Friedrich Merz.

Von ihm kennt man auch ganz andere Töne. "Ich setze auf Sieg, nicht auf Platz", tönte er noch im Herbst selbstsicher. Als der für Dezember geplante CDU-Parteitag wegen Corona erneut verschoben werden musste, tobte er, beim CDU "Establishment" laufe gerade die "Aktion Merz verhindern".

In Umfragen nämlich lief es für den 65-Jährigen lange Zeit recht gut. Scheinbar uneinholbar lag er im Rennen um die Nachfolge der glücklosen Annegret Kramp-Karrenbauer vorne. Die Konkurrenten – der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet und Ex-Umweltminister Norbert Röttgen – folgten mit deutlichem Abstand.

Nun steht der bereits zweimal wegen Corona verschobene CDU-Parteitag unmittelbar bevor. Zwar ist Merz’ Vorsprung in der letzten großen Umfrage, dem ARD-Deutschlandtrend, geschmolzen. Doch Merz geht am Samstag immer noch als Favorit in die entscheidende Abstimmung. 29 Prozent der CDU-Anhänger stehen hinter ihm, Laschet und Röttgen kommen auf je 25 Prozent.

Vermögender Pensionist

Die beiden sind mit 55 und 59 Jahren auch nicht jene frischen Gesichter, nach denen sich eine Partei sehnt, wenn sie Aufbruch signalisieren will. Merz aber ist 65, eigentlich im Pensionsalter, und er hat sich zuletzt als Aufsichtsratsvorsitzender des Vermögensverwalters Blackrock ja auch abseits der Politik ganz gut eingerichtet.

Wie konnte er, wenn nun von einer neuen Ära und einem neuen Kapitel bei der CDU die Rede ist, zum Hoffnungsträger werden? Natürlich, er bringt vieles mit, was einem in der Politik Punkte verschafft: Selbstsicherheit, Eloquenz, rhetorische Schärfe, großes (Detail-) Wissen und den unbedingten Drang zur Macht. Gelangweilt erlebt man Merz nie. Stets wirkt er hellwach und zugewandt, immer bereit, seine Analyse mitzuteilen. Doch Merz, der 2009 den Bundestag verließ und dann 2018 wieder in der Politik auftauchte, um CDU-Vorsitzender zu werden, kommt bei vielen nicht nur als reale Person gut an.

Merz als Projektionsfläche

Er ist auch zu einer riesigen Projektionsfläche geworden. "Es gibt eine unionsinterne Nostalgie nach jemandem, der der CDU wieder ein klares Profil gibt und mit der Ära Merkel bricht", sagt Herfried Münkler, Politologe an der Humboldt-Uni Berlin. Diese Nostalgie bedient von allen drei Kandidaten nur Merz.

Den Konservativen in der Union gilt er als das Bindeglied zu jener Zeit, in der nur Männer und Frauen heiraten durften, Atomkraft etwas war, auf das man stolz sein konnte, die Wehrpflicht ebenso. Und in der nicht "alle Welt" einfach nach Deutschland einwandern konnte.

Es ist ein bisschen die Welt, wie sie auch die AfD gerne wieder hätte. Natürlich weiß Merz, dass nicht mal er die CDU wieder in dieses Gestern mit 45-Prozent-Wahlergebnissen zurückführen kann. Aber er sendet deutliche Signale, dass mit ihm vieles anders laufen würde.

Nicht alle nach Deutschland

So hat er sich kürzlich gegen die Aufnahme von Flüchtlingen aus griechischen oder bosnischen Lagern ausgesprochen: "Diese humanitäre Katastrophe lässt sich nicht dadurch lösen, dass wir sagen: Kommt alle nach Deutschland. Dieser Weg ist nicht mehr geöffnet."

Er weiß auch, wen er anspricht, wenn er – ausgerechnet nach dem Rücktritt von Annegret Kramp-Karrenbauer – darauf hinweist, dass Sturmtiefs in Deutschland ja Frauennamen haben. Oder erklärt, er habe nichts gegen Homosexuelle, solange sie nicht pädophil seien. Das US-Magazin "Politico" hat Merz gar als "deutschen Trump" bezeichnet. "An mir ist nichts retro", wehrt sich Merz in der "Financial Times". Im Gegenteil: Er hält sich für den "modernsten" unter den drei Kandidaten.

Das sehen aber nicht nur Teile der CDU und viele Frauen anders, sondern auch Grüne und SPD. Merz aber, sollte er CDU-Chef und auch noch Unionskanzlerkandidat werden, braucht ja einen Koalitionspartner, um der Union die Macht zu erhalten.

Mit Merz nicht – das sagen jedoch viele bei den Grünen und in der SPD. Man träumt dort schon von einer richtigen Kampagne gegen Merz, um das linke Lager zu mobilisieren, was natürlich auch in der CDU registriert wird. Und so könnte so mancher, dessen Herz eigentlich für den Favoriten schlägt, letztendlich am Samstag doch von seiner Wahl absehen und sich für die Konkurrenz entscheiden. (Birgit Baumann aus Berlin, 13.1.2021)