Ratas im Oktober nach einem Gespräch mit seinem französischen Amtskollegen Emmanuel Macron in Paris.

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Talinn – Estlands Ministerpräsident Jüri Ratas ist nach Korruptionsvorwürfen gegen seine Partei zurückgetreten. Staatspräsidentin Kersti Kaljulaid nahm am Mittwoch in Tallinn das Rücktrittsgesuch an. Der 42-jährige Regierungschef des baltischen EU- und NATO-Landes hatte zuvor seinen Posten nach über vierjähriger Amtszeit niedergelegt. Er wolle damit die politische Verantwortung übernehmen und die Möglichkeit geben, die Vorwürfe aufklären zu können, sagte Ratas.

Die estnischen Justizbehörden hatten wegen eines staatlichen Hilfskredits an ein Immobilienprojekt Ermittlungen gegen Ratas' linksgerichtete Zentrumspartei eingeleitet. Ratas' Schritt führt gemäß estnischer Verfassung automatisch zum Rücktritt der gesamten Regierung. Staatschefin Kaljulaid muss nun binnen zwei Wochen einen Kandidaten für das Amt des Regierungschefs benennen. Sie kündigte an, die Oppositionsführerin Kaja Kallas mit der Regierungsbildung beauftragen zu wollen. Die Regierung bleibt so lange geschäftsführend im Amt, bis ein neues Kabinett steht.

Corona-Hilfskredit

Hintergrund der Ermittlungen ist ein Hilfskredit in der Corona-Krise: Das staatliche Finanzierungsinstitut Kredex hat im Sommer 2020 für die Entwicklung eines groß angelegten Immobilienprojekts in Tallinn ein Darlehen in Höhe von knapp 40 Millionen Euro gewährt. Der Entscheidung sollen unerlaubte Absprachen vorausgegangen sein. Unter den Verdächtigen sind Zentrumspartei-Generalsekretär Mihhail Korb, die Partei selbst wird als juristische Person verdächtigt. Am Dienstag wurden außerdem vier Personen vorläufig festgenommen.

Ratas betonte, der Verdacht der Staatsanwaltschaft bedeute nicht, dass jemand bereits endgültig schuldig sei. Der Verdacht werfe aber unweigerlich einen sehr ernsthaften Schatten auf alle Beteiligten. Er selbst beteuerte, nicht über die Finanzierungsmodalitäten des umstrittenen Darlehens informiert gewesen zu sein.

Ratas regiert in Estland seit April 2019 mit seiner Zentrumspartei in einem Dreierbündnis mit der rechtspopulistischen Estnischen Konservativen Volkspartei (EKRE) und der konservativen Partei Isamaa. Er amtierte zuvor bereits seit Ende 2016 als Regierungschef. (APA, 13.1.2021)