"Ob Corona, Rechtsextremismus oder Verschwörungsmythen: Abstandhalten hilft" stand am Samstag auf einem Transparent der Kommunistischen Jugend am Hauptplatz in Graz, wo Demonstranten dem Redner der Identitären zujubelten.

Foto: KJÖ

Nur wenige Tage ist es her, dass das Innenministerium eine neue Richtlinie für den Umgang mit Corona-Demos präsentiert hat – DER STANDARD berichtete. Seither gab es in Wien, der Steiermark und Oberösterreich wieder mehrere Protestaktionen gegen die Corona-Maßnahmen.

In Wien wurden gleich drei Demos, die für den vergangenen Samstag angemeldet waren, im Vorfeld untersagt. Zumindest eine fand trotzdem statt. Rund hundert Personen spazierten ohne Maske und ohne Abstand durch die Wiener Innenstadt, die Veranstalterin wurde angezeigt. Auch am Sonntag fand eine Demo statt.

In der Steiermark wurde im Vorfeld keine Kundgebung untersagt, in Graz, Leoben, Judenburg und Leibnitz fand jeweils eine statt.

Identitäre nutzen Corona-Proteste

Jene in Graz war eigentlich eine Demo der rechtsextremen Identitären, auch wenn diese ihr Logo nicht mehr herzeigen. Der Titel der Demonstration: "The Great Reset" – der Nachfolge-Slogan von "The Great Replacement", also der Verschwörungstheorie vom großen "Bevölkerungsaustausch". Seitdem sich auch der Attentäter von Christchurch, der mit Identitären-Chef Martin Sellner in Kontakt war, auf diese Verschwörungserzählung berief, erfanden die Identitären ihre Begriffe neu.

"Wir sind mehr", brüllte ein Identitärer den "kritischen Bürgern" auf dem Grazer Hauptplatz zu. Mehr als 200 bis 250, wie der steirische Polizeisprecher Fritz Grundig schätzt, waren es aber nicht. Auf der Bühne wurde Österreich mit der DDR gleichgesetzt, man skandierte aufgeheizt: "Kurz muss weg" – eine Parole, die auf allen "Querdenker"-Demos zu hören ist und bereits von der FPÖ übernommen wurde.

Journalisten behindert

Wenige Tage davor hatte sich Sellner in seinem Blog darüber alteriert, dass die Behörden ihn als einen der Strippenzieher hinter den Demos bezeichneten – um dann gleich folgende "Ratschläge" an die Demonstranten auszugeben: "Nehmt euch am besten nur Österreich-Fahnen mit", riet er, da die Symbole der Identitären verboten werden sollen. Zudem sollten sich die Demonstranten "von jeder Form der Gewalt und des verbalen Extremismus fernhalten". Denn die "Lügenpresse" lese in allen Telegram-Kanälen mit.

Tatsächlich wurden fast ausschließlich Österreich-Fahnen auf der Demo geschwenkt. Ein spezieller, schwarz gekleideter Trupp der Identitären drängte Fotografen mit aufgespannten Schirmen ab, damit diese keine Fotos von der Demo machen konnten.

Linke Gegendemo aufgelöst

"Es mag sein, dass die Demonstranten von der rechten Seite kamen", so Polizeisprecher Fritz Grundnig zum STANDARD, "aber das ist für die Polizei kein Grund, eine Demo im Vorfeld abzusagen." Es sei "alles ordnungsgemäß" abgelaufen. Zwar hätten die meisten keine Masken getragen, doch die Gesundheitsbehörde habe das aufgrund der eingehaltenen Abstände nicht beanstandet.

Und doch sollte die Polizei an diesem Tag mit äußerster Härte einschreiten. Aber nicht gegen die Demo der Identitären, sondern gegen eine Gegendemo von rund 50 Menschen. Betroffen waren einerseits Personen aus der autonomen Szene in Graz sowie Fotografen, die die Versammlung der Rechten dokumentieren wollten.

Die Teilnehmer dieser "nicht angemeldeten Störversammlung", wie es in einer Aussendung der Polizei heißt, wurden in kürzester Zeit von der Einsatzleitung aufgefordert, sich zu entfernen. Nicht, weil die Demo nicht angemeldet war – denn auch spontane Kundgebungen sind in Österreich erlaubt –, sondern weil die Demonstranten "pyrotechnische Artikel in Richtung der Versammlungsteilnehmer" und unter ein Polizeiauto geworfen hätten, sagt Grundnig. Zudem sei der Sicherheitsbereich von 50 Metern zur anderen Demo nicht eingehalten worden. Nach fünf Minuten habe man die Gegendemo eingekesselt und vom Platz gedrängt.

Vorwürfe gegen Polizei

In welcher Form das geschah, ist nicht nur auf einigen Videos zu sehen, die dem STANDARD vorliegen, auch eine Passantin, die zur Augenzeugin wurde, schreibt in einem E-Mail an Medien: "Einige bekamen Schläge ab. Immer wieder sagte die Polizei 'Haltet die Fresse!' zu uns Passanten und versperrte die Sicht. Einige Passantinnen wurden von Identitären sogar bespuckt! Die Polizei unternahm nichts." Grundnig bestätigt, dass der Behörde ein Misshandlungsvorwurf vorliege: "Das wird von unabhängiger Stelle geprüft."

Der Vorwurf stammt von einem 19-jährigen Fotografen, der verhaftet und angezeigt wurde, weil er einen Beamten in diesem Tumult tätlich angegriffen haben soll. Der 19-Jährige kontaktierte die KJÖ über Instagram, als er aus der Haft entlassen wurde, und bat sie, seine Sicht der Dinge auszusenden. Als die Aufforderung zur Auflösung kam, habe er sich entfernen wollen. Als die Polizei "Einkesseln!" rief, sei er in "Panik" geraten. Im Gedrängel wurde er von Beamten zu Boden gebracht und hörte einen Beamten sagen, "dass er mir meine Arme, wenn ich sie nicht hinter den Rücken gebe, brechen wird". Der Fotograf verfiel in Panik, seine Hilferufe, dass er keine Luft bekomme, sollen ignoriert worden sein. Mehrere Videos, die dem STANDARD zugesendet wurden, zeigen ein äußerst hartes Vorgehen gegen den Mann. Zudem trug ein Beamter, der ihm sehr nahe kam, keine Maske.

Auch das werde geprüft, so Grundnig, grundsätzlich müsse bei jeder Amtshandlung eine Maske getragen werden. Die Einheit, die den Mann am Boden fixierte, "wird aber auf solche Einsätze trainiert".

"Unschöne Bilder"

Gefragt, ob sich durch die Richtlinie, die Versammlungen der "Querdenker" bereits im Vorfeld genauer zu untersuchen, etwas ändere, meint Grundnig: "Nicht wirklich, weil wir alles, was die Richtlinie fordert, eh schon immer gemacht haben. Aber gut, dass es eine Regelung gibt, die österreichweit gilt." Es sei klar, dass es bei "Anwendung von Körperkraft zu unschönen Bildern" käme.

Auch Menschenrechtsexperte Philipp Sonderegger kennt die nun in der Richtlinie angekündigte Vorgehensweise der Polizei, zum Beispiel von den Protesten gegen den Wiener Akademikerball. Bereits damals wurden die Veranstalter einer Demo im Vorfeld durchleuchtet.

Verfassungsschutz beobachtet "Querdenker"

Die neue Richtlinie für die Polizisten beruht auf Erkenntnissen des BVT, dass die Proteste von Rechtsextremen organisiert und unterwandert sind.

In einem Situationsbericht des BVT, der einer der Gründe für die Richtlinie war, heißt es, dass die Proteste der Corona-Kritiker und Leugner von gewaltbereiten Rechtsextremen bewusst "für ihre Zwecke genutzt werden". Laut Richtlinie sollte daher auch das "verbale Eskalationspotenzial" einer Organisation Grund für eine Absage im Vorfeld sein können.

Polizei vor Herausforderung

Trotzdem wurden die meisten Demos bisher aus Gesundheitsgründen untersagt. Für die Polizei ein schwieriges Unterfangen, sagt dazu Sonderegger, denn im Grunde müsse sie beantworten, wie viele Pandemie-Tote die Gesellschaft in Kauf nehmen wolle, um das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit zu gewährleisten. Die Polizei sei in dieser komplexen Abwägung großteils auf sich alleine gestellt.

Dass die Polizei die Demos trotz Untersagung laufen lässt, findet Sonderegger nachvollziehbar. Das Versammlungsrecht sei "ein denkbar ungünstiges Mittel", um Extremismus zu bekämpfen, sagt Sonderegger, der auch das Innenministerium als NGO-Vertreter in Grundrechtsfragen berät. Allerdings könnte man mit "weniger grundrechtsinvasiven Mitteln" gegen die Szene vorgehen. So sei es in anderen Ländern durchaus üblich, dass mutmaßliche Rädelsführer oder Demo-Teilnehmer, die zu Gewalt oder Gesetzesbrüchen aufrufen, isoliert und beamtshandelt werden. Auch bei den "Querdenker"-Demos wird regelmäßig auf der Bühne dazu aufgerufen, Demo-Auflagen und Aufforderungen der Polizei zu missachten.

Spielraum für Prävention "eng"

Ähnlich argumentiert der Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk: Alle untersagten Veranstaltungen sofort mit Gewalt zu verhindern, wäre laut Funk ein "polizeistaatliches Vorgehen". Jedoch hätte die Polizei genügend Möglichkeiten, Versammlungen aufzulösen, zum Beispiel, wenn in deren Rahmen dazu aufgefordert wird, sich nicht an die Auflagen wie Maske und Abstand zu halten. Auch die Aufrufe, bestimmte Anweisungen der Behörden nicht zu befolgen, seien ein "klassischer Auflösungsgrund".

Dass durch die Richtlinie die Polizei angehalten werde, auch im Vorfeld von Versammlungen durchzugreifen, sei "mit großer Vorsicht" zu sehen, so Funk. In letzter Konsequenz gehe es immer um die Meinungsfreiheit und den Einzelfall. Das Versammlungsgesetz könne nur konkrete Rechtsbrüche unterbinden, diene aber nicht dazu, gegen Extremismus präventiv vorzugehen. Der Spielraum sei hier "sehr eng", so Funk.

Linzer Wirtin öffnete trotz Lockdowns

In Linz kündigte eine Wirtin sogar im Vorfeld ihren Gesetzesbruch öffentlich an: Um nicht obdachlos zu werden, müsse sie – just am 11. Jänner – ihr Café aufsperren. Medial unterstützt wurde die Unternehmerin vom rechten Medium "Wochenblick". Mit der Initiative "Wir sperren auf" waren für 11. Jänner ähnliche Aktionen aus der "Querdenker"-Szene im ganzen Land befeuert worden. Die Wirtin öffnete dann Montagabend wirklich ihr Café. Ein einstündiges Video auf Facebook zeigt dicht gedrängte maskenlose Gäste, die sich in die Arme fallen, Bier trinken und den Aufstand proben.

Als die Polizei kam, zogen einige schnell Masken oder Schals ins Gesicht, ein Mann stammelte, sie hätten nur Essen "to go" holen wollen, wieder andere begannen Kampfesparolen zu skandieren. Die Polizei zog nach einigen Identitätsfeststellungen wieder ab.

Corona-Leugner-Szene vor Ort

Unter den Gästen im Video sieht man allerdings nicht irgendwelche Linzer Bürger, denen der Lokalbesuch abging, sondern die Crème de la Crème der lokalen Corona-Leugner-Szene, darunter ein Anwalt und eine Ärztin der Gruppe "Österreich ist frei". Gegen 20 Uhr ließ Bürgermeister Klaus Luger (SPÖ) das Lokal dann doch sperren.

David Furtner, Sprecher der oberösterreichischen Polizei, zieht Bilanz: 37 Gäste und die Wirtin bekamen insgesamt 96 Anzeigen. "Das war eine wohlüberlegte PR-Aktion", glaubt auch Furtner im Gespräch mit dem STANDARD: "Sie stellt sich dar als Mutter, die sonst verhungern müsste." Der Polizei war sie schon von einigen plakativen Aktionen bekannt. "Für die Polizei ist das alles sehr unbefriedigend", resümiert Furtner. (Laurin Lorenz, Colette M. Schmidt, 13.1.2021)