Sektionschef Christian Pilnacek soll laut einem Ex-Kabinettsmitarbeiter den U-Ausschuss falsch informiert haben

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Ein langjähriger Ex-Kabinettsmitarbeiter im Justizministerium hat sich mit brisanten Vorwürfen an die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gewendet. Er vermutet, dass die Weisungskette im Justizministerium dem Ibiza-Untersuchungsausschuss wichtige E-Mails und Memos vorenthalten habe. Diese Nachrichten übermittelte er im November der WKStA, sie gelangten nun über Umwege in den U-Ausschuss.

Dort wurden schon im Sommer Johann Fuchs, der Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Wien, und Sektionschef Christian Pilnacek befragt. Ihre Aussagen stehen für den Hinweisgeber im scharfen Widerspruch zu den Inhalten der E-Mails. "Nach nunmehriger Einsicht in die mittlerweile auf der Parlamentshomepage veröffentlichten Protokolle (...) habe ich qualifizierte Anhaltspunkte dafür festgestellt, dass dem Untersuchungsausschuss nicht alle abstrakt relevanten Dokumente vorgelegt wurden", heißt es in seiner E-Mail an die WKStA.

Ministerium prüft Vorhabensbericht

Die Staatsanwaltschaft Innsbruck hat nun eine Prüfung des Verdachts auf Falschaussage gegen Fuchs und Pilnacek begonnen, es gilt die Unschuldsvermutung. Ein Vorhabensbericht wurde aus Innsbruck ans Justizministerium übermittelt. "Zu diesem Zweck wurden zwei Generalanwälte der Generalprokuratur dienstzugeteilt, um jeden Anschein der Befangenheit zu vermeiden", heißt es auf Anfrage.

In den justizinternen Dokumenten, die STANDARD, "Profil" und ORF-"ZiB 2" vorliegen, geht es einerseits um die unmittelbare Reaktion auf die Veröffentlichung des Ibiza-Videos, andererseits um die Hausdurchsuchung bei Öbag-Chef Thomas Schmid.

In den Stunden nach der Veröffentlichung des Ibiza-Videos am 17. Mai 2019 durch "Süddeutsche Zeitung" und "Spiegel" herrschte im Justizministerium rege Betriebsamkeit. In der wohl am schnellsten erteilten Weisung der Zweiten Republik wurde die WKStA beauftragt, das Ibiza-Video zu finden. Außerdem wurde entschieden, dass die Medienarbeit zentral von der Oberstaatsanwaltschaft Wien zu erledigen sei.

"Der WKStA keine aktive Rolle zukommen lassen"

Ob es sonst "Wünsche, Aufträge, Priorisierungen?" durch den Justizminister Josef Moser gegeben habe, fragte Neos-Abgeordnete Stephanie Krisper den damals zuständigen Sektionschef Pilnacek im U-Ausschuss. "Habe ich beantwortet. Er hat gefragt, was zu tun ist, was wir zu tun haben. Er wollte die Medienarbeit zu Beginn jedenfalls zentralisiert haben, und das ist so gemacht worden", antwortete dieser. Eine Weisung an die Oberstaatsanwaltschaft Wien sei außerdem "mündlich" getätigt worden. Auch deren Leiter Fuchs gab vor dem U-Ausschuss an, abgesehen von der Medienarbeit keine Wahrnehmung über Wünsche des Bundesministers gehabt zu zu haben.

Die übermittelten Informationen des Justizinsiders enthalten jedoch eine Nachricht von Pilnacek an Fuchs von Samstag, 18. Mai, 20:50 Uhr: "Lieber Hans! Ich denke, dass du den Auftrag aktiv stellen solltest; HBM (Herr Bundesminister; gemeint ist der damalige Justizminister Josef Moser, Anm.) möchte WKStA keine aktive Rolle zukommen lassen." Die WKStA hatte zu diesem Zeitpunkt freilich schon einen Zusammenhang zwischen einem laufenden Verfahren und Aussagen des damaligen FPÖ-Chefs Heinz-Christian Strache im Ibiza-Video bezüglich Spenden über Vereine "am Rechnungshof vorbei" entdeckt gehabt.

Moser: "Absoluter Blödsinn"

Wollte die Weisungskette des damals türkisen Ministeriums also die Kontrolle über die Ermittlungen behalten und verhindern, dass die WKStA die Ermittlungen an ein laufendes Verfahren hängt? "Nach unserem Wissensstand bezog sich das Ersuchen von HBM Dr. Moser, dass die WKStA 'keine aktive Rolle' haben solle, auf das mediale Auftreten der WKStA an diesem Wochenende", heißt es aus dem Justizministerium. Die Oberstaatsanwaltschaft äußerte sich dazu nicht.

Ex-Justizminister Josef Moser bestreitet vehement, dass er die WKStA außen vor lassen wollte. Das sei "absoluter Blödsinn", sagt er auf Anfrage. Er habe vielmehr beauftragt, dass die Justiz raschest ermitteln sollte.

Einen weiteren Widerspruch kann man in der Frage entdecken, wann Pilnacek von der Hausdurchsuchung bei Öbag-Chef Thomas Schmid erfahren hat. Schmid und Pilnacek pflegten zu ihrer Zeit als türkis-blaue Generalsekretäre ein kollegial-freundschaftliches Verhältnis: Finanz-Generalsekretär Schmid hatte Justiz-Generalsekretär Pilnacek beispielsweise zu einem Fernsehauftritt gratuliert; man lud einander zu Geburtstagsfeiern ein. Auch deshalb ortete die WKStA Befangenheit bei Pilnacek.

Wer wusste wann von der Hausdurchsuchung?

Eine Ansicht, die Justizministerin Alma Zadić (Grüne) in dieser Sache nicht teilte – im Sommer 2020 entfernte sie Pilnacek jedenfalls von der Spitze der Weisungskette, er ist jetzt nur noch für Legistik zuständig, nicht mehr für die Fachaufsicht. Vor dem U-Ausschuss hat Pilnacek behauptet, er sei erst nach der Durchführung der Razzia bei Schmid von der Oberstaatsanwaltschaft Wien informiert worden. Das hat das Justizministerium erst vergangene Woche auf Anfrage des STANDARD wiederholt. Doch auch hier existiert ein Schriftstück, das Widersprüche aufzeigt: Laut einem Memo an die damalige Vize-Kabinettschefin im Justizministerium sagte Pilnacek, dass ihn Fuchs am 8. November – also vier Tage vor der Hausdurchsuchung bei Schmid – "fernmündlich über das (...) geplante Vorhaben informiert" habe.

Dazu sagt das Justizministerium auf Anfrage von STANDARD, "Profil" und ORF-"ZiB 2" gar nichts. Als die Ermittler bei Schmid auftauchten, hatte dieser seine Chatverläufe komplett gelöscht. Das muss aber nicht auf eine undichte Stelle in der Justiz hinweisen, gab es doch zuvor schon durch das Ibiza-Video mitausgelöste Hausdurchsuchungen in der Causa Casinos, beispielsweise bei Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ). Und: Durch ein Back-up konnten die Ermittler bei Schmid eine Vielzahl von Chatnachrichten rekonstruieren, die seither vor allem türkise Politiker in Bedrängnis gebracht haben.

Politisch aufgeladen

Die gesamte Causa Casinos hatte von Beginn an für erheblichen Unmut bei der ÖVP gesorgt. In einem Hintergrundgespräch Anfang Jänner 2020 hatte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) das Gebaren der WKStA deutlich kritisiert, vor allem die Ermittlungen gegen Ex-Finanzminister Hartwig Löger störten ihn. Auch im U-Ausschuss schießt sich die ÖVP regelmäßig auf die WKStA ein.

Eine noch längere Geschichte hat der justizinterne Streit zwischen Pilnacek und Fuchs auf der einen und der WKStA auf der anderen Seite. Sie entzündete sich unter anderem an der Causa Eurofighter: In einer Dienstbesprechung wurde Pilnacek heimlich aufgenommen, es folgten gegenseitige erfolglose Anzeigen. Später überlegten Pilnacek und Fuchs in spätnächtlichen E-Mails, wie man der WKStA medial schaden könnte. Eine von Justizminister Moser vorgeschlagene Mediation konnte die Wogen oberflächlich glätten – der U-Ausschuss brachte den Konflikt jedoch zurück in die Öffentlichkeit. (Fabian Schmid, Renate Graber, 13.1.2020)