Hochspannung in Rom: Seit Tagen, ja seit Wochen droht Matteo Renzi, der Koalitionsregierung des parteilosen Ministerpräsidenten die Unterstützung seiner Kleinpartei Italia Viva zu entziehen und seine beiden Ministerinnen Teresa Bellanova (Landwirtschaft) und Elena Bonetti (Familie) aus der Regierung abzuziehen. Der Grund ist ein Streit um die Verwendung der von der EU in Aussicht gestellten Finanzhilfen des Recovery Fund in der Höhe von 209 Milliarden Euro für Italien und um einen Kredit aus dem europäischen Rettungsfonds ESM.

Heute will der 46-jährige Renzi den Nervenkrieg beenden und die Katze endlich aus dem Sack lassen: Um 17.30 Uhr wird er im Senat vor die Medien treten. Die meisten italienischen Beobachter gehen davon aus, dass Renzi der Regierung Conte "den Stecker ziehen wird", wie es in Rom heißt.

Mehrheitsbeschaffer

Das würde bedeuten: Italien stürzt mitten in der zweiten Welle der Covid-Pandemie mit täglich Hunderten von Toten und einem Teil-Lockdown in eine Regierungskrise. Renzis Partei Italia Viva mag klein sein, aber ohne sie haben die verbleibenden Regierungsparteien – die Fünf-Sterne-Bewegung, der sozialdemokratische PD und die linke Partei Liberi e Uguali (LEU) – im Senat keine Mehrheit mehr.

Ein Sturz der Regierung wäre umso unverständlicher, als Conte der Kritik Renzis Rechnung getragen hat und diesem bei den EU-Wiederaufbauhilfen weit entgegengekommen ist. Dass Renzi trotzdem nicht lockerlässt, ist ein klares Indiz dafür, dass es dem als arrogant und dickköpfig geltenden Toskaner nicht nur um die Sache, sondern auch um eine persönliche Abrechnung mit Conte geht. Die beiden konnten sich noch nie leiden.

Matteo Renzi ist mit der Verteilung der EU-Gelder unzufrieden.
Foto: EPA/Carconi

Die Koalitionspartner Renzis hatten in den vergangenen Wochen mit Zuckerbrot und Peitsche versucht, den Ex-Premier von seinem ziemlich durchsichtigen Plan, Conte als Regierungschef abzuservieren, noch abzubringen. PD-Chef Nicola Zingaretti hatte am Dienstag betont, dass das Lostreten einer Regierungskrise in der aktuellen Situation "ein schwerer politischer Fehler wäre, der Italien schaden würde und den die Italiener und auch das Ausland nicht verstehen würden". Zingaretti rief Renzi öffentlich zur Rückkehr "zum gesunden Menschenverstand und zu Gesprächen" auf. Aus dem Regierungssitz sickerte derweil die unverhohlene Drohung Contes durch, dass es niemals mehr eine Koalition mit Renzi geben werde, wenn dieser nun die eigene Regierung stürze. Gefruchtet hat es bisher nichts.

Falls Renzi heute Ernst macht, wird – wie immer bei Regierungskrisen – der Ball bei Staatspräsident Sergio Mattarella liegen. Conte hatte bereits am Wochenende angekündigt, dass er im Fall eines Ausscheidens von Italia Viva aus der Regierungskoalition mit dem Staatsoberhaupt das weitere Vorgehen besprechen werde, am Mittwoch traf er den Präsidenten, Es liegen diverse Möglichkeiten auf dem Tisch: Mattarella könnte Conte auffordern, mit anderen Parteien die Möglichkeit einer neuen Koalition auszuloten, die Renzi-Ministerinnen bei einer Regierungsumbildung zu ersetzen und sich anschließend mit der neuen Regierungsmannschaft im Parlament einer Vertrauensabstimmung zu stellen.

Einheitsregierung

Möglich wäre aber auch die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit mit einem anderen Premier an der Spitze. Das würde genau dem Szenario entsprechen, das Renzi mit seinem Manöver letztlich bezwecken will. Als Kandidatin für die Führung einer neuen Regierung gehandelt wird die Rechtsprofessorin und ehemalige Präsidentin des Verfassungsgerichts Marta Cartabia – sie wäre die erste Frau an der Spitze einer italienischen Regierung. Als weiterer Kandidat gilt der frühere EZB-Chef Mario Draghi. Sollten sich diese "parlamentarischen" Lösungen als nicht praktikabel erweisen, müsste Staatspräsident Mattarella das Parlament auflösen und vorgezogene Neuwahlen anordnen. Offiziell würde die Legislaturperiode noch bis März 2023 dauern.

Neuwahlen als letzter Ausweg

Angesichts der Pandemie und der riesigen wirtschaftlichen und sozialen Probleme, mit denen sich Italien derzeit konfrontiert sieht, werden Neuwahlen für Mattarella aber nur als Ultima Ratio in Betracht kommen. Und auch die allermeisten Parlamentarier wollen keinen neuen Urnengang: Seit den letzten Wahlen im März 2018 ist die Zahl der Sitze in den beiden Parlamentskammern von zuvor über 900 auf 600 verkleinert worden. Viele Volksvertreter müssten um die Wiederwahl und damit um ihre üppigen Parlamentariergehälter und Privilegien fürchten. Am meisten zittern die Fünf Sterne: Sie waren 2018 stärkste Partei mit über 300 Abgeordneten und Senatoren geworden und sind inzwischen in den Umfragen völlig abgestürzt. Bei Neuwahlen würden wohl zwei von drei "Grillini" abgewählt – im besten Fall. Auch der inzwischen äußerst unpopuläre Renzi – in Umfrage kommt seine Partei noch auf drei Prozent – hätte bei Neuwahlen viel zu verlieren. (Dominik Straub aus Rom, 13.1.2021)