Talstation der Patscherkofelbahn am Patscherkofel, Tirol, am 26. Dezember 2020.

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Seit dem ersten Lockdown hören wir diesen Satz sehr oft. Vom Lokalpolitiker bis zum Papst betonen Entscheidungsträger und moralische Instanzen, dass wir alle gleichermaßen von dieser Pandemie und ihren Begleiterscheinungen betroffen sind. "Wir sitzen alle im selben Boot", heißt es. Doch diese Beschwörung ist irreführend, auch wenn sie gut gemeint ist.

Unterschiedliche Risiken

Wir haben nicht alle die gleichen Voraussetzungen, um uns und unsere Mitmenschen vor der Krankheit zu schützen. Das eigene Ansteckungsrisiko ist leichter unter Kontrolle zu halten, wenn man den Lebensunterhalt auch im Homeoffice verdienen kann und nicht etwa in der Pflege oder an der Supermarktkasse arbeitet. Die Zeit der Kurzarbeit ist finanziell weniger belastend, wenn man davor ein höheres Einkommen hatte. Jene, die ihre Arbeitsstelle verloren haben, haben derzeit überhaupt wenig Hoffnung und Chancen auf die rasche Verbesserung ihrer finanziellen Situation. Menschen mit Betreuungspflichten sind in der Krise mehr gefordert – und Alleinerziehende dann noch ein wenig mehr.

Wir sitzen also leider tatsächlich in unterschiedlichen Booten, die uns mal mehr und mal weniger sicher durch die Gefahren dieser Pandemie bringen.

Der Verzicht der anderen

Und dieser Unterschied zeigt sich deutlich auch in unserem Umgang mit den Lockdown-Maßnahmen. Lockdowns, Ausgangsbeschränkungen, die Einschränkung der sozialen Kontakte, "das bedeutet für uns alle Verzicht", erklärte Bundeskanzler Kurz bei einer der vielen Pressekonferenzen. Und natürlich ist es wahr, wir verzichten auf vieles, aber natürlich nicht alle gleichermaßen.

Der Lockdown oder gar eine Quarantäne ist in einem Haus mit Garten oder gar einer Villa mit Pool etwas leichter zu verkraften als in einer kleinen Wohnung ohne Balkon. Ist man alt und gebrechlich, und mit den neuesten Kommunikationstechnologien nicht betraut, kann man den Verlust der sozialen Kontakte auch nicht durch Zoom-Partys kompensieren.

"Kreativer" Umgang mit Verboten

Und dann wären da natürlich die einzelne Maßnahmen und die Ausnahmen davon, die auch den verständlichsten Bürgern und kühlsten Köpfen ein wenig ungerecht oder zumindest schwer nachvollziehbar erscheinen: Die Skilifte werden geöffnet, aber zu Silvester darf niemand raus; an Weihnachten wird der Lockdown unterbrochen und man darf zehn Personen aus zehn Haushalten treffen – das ist übrigens eine solide Party. Es scheint also, als würde hier Klientelpolitik betrieben und die Entscheidungen basierten weniger auf neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen.

Und nun kommen wir zu einer sehr unangenehmen und schmerzhaften Erkenntnis: Auch während einer Pandemie gibt es natürlich jene Teile der Gesellschaft, "die es sich richten können". "Corona-Pandemie: So kreativ gehen Deutsche aus Südafrika mit dem Beförderungsverbot um" lautete vor wenigen Woche eine Schlagzeile im "Spiegel". Beschrieben wurde dann ein regelrechter Skandal, den kaum jemand als solchen kommentierte. Deutsche, die in Südafrika leben, konnten trotz des Einreiseverbotes doch noch nach Deutschland fliegen. Sie buchten einfach ihre Fernflüge um und flogen über Länder, die vom Verbot ausgenommen waren, etwa auch über Österreich. "Kreativ" gehen anscheinend auch viele Tiroler Hoteliers und ihre Gäste mit dem Beherbergungsverbot um: Wie Ö1 berichtet, nehmen Hotels trotz Lockdowns Buchungen an und prüfen nicht, ob es sich dabei um die erlaubten, geschäftlichen Reisen handelt.

Für jene, die sich weder den Skiurlaub leisten können noch die Lockdown-Regeln brechen wollen, bleiben dann noch erlaubte Rodelausflüge auf den Semmering. Doch dort sind auch nicht alle gleichermaßen willkommen, wie die Aussagen des örtlichen Bürgermeisters in einem "Kurier"-Bericht erahnen lassen.

Wir sitzen in dieser Pandemie mitnichten alle im selben Boot. Vielmehr bleibt diese Krise weiterhin ein Vergrößerungsglas für allerlei Missstände in der Gesellschaft: sei es die ungleiche Verteilung von Ressourcen und politischem Mitspracherecht oder die feindliche, von populistischer Politik befeuerte Stimmung gegenüber allen, die als Migranten gelten. (Olivera Stajić, 14.1.2020)