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Bereits seit Anfang November lernen tausende Schüler von zu Hause aus. Das ist nicht nur für die Kinder und Jugendlichen eine Herausforderung, sondern auch für die Eltern. Schließlich sind sie es, die neben ihren Jobs meist nun auch die Rolle der Lehrerin oder des Lehrers übernehmen müssen.

Nun wurde der Fernunterricht wieder verlängert, die Schulen bleiben zumindest noch bis zum Ende des Lockdowns am 8. Februar geschlossen. Ob das mit dem Schuljahr dann noch was wird? Viele Eltern und Lehrer sind kritisch. Schließlich ist es bei vielen Schülern zu Lerndefiziten gekommen. Nicht alle haben zu Hause einen ruhigen Platz zum Lernen und engagierte Eltern, die sie dabei unterstützen. Schüler jetzt regulär zu beurteilen sei angesichts der Umstände unfair.

DER STANDARD hat mit Menschen gesprochen, die tagtäglich mit den Herausforderungen des Distance-Learnings konfrontiert sind. Welche Erfahrungen haben sie gemacht? Wie geht es den Kindern und Jugendlichen? Und wie schaffen es Eltern weiterhin, die Sprösslinge für die Schule zu motivieren (und dabei nicht völlig durchzudrehen)?


"Viele haben keinen Arbeitsplatz, keine Ruhe und keine Eltern, die helfen."

Daniela Huber-Peter aus Graz ist Lehrerin, Unternehmerin und Mutter von zwei Kindern (9 und 5 Jahre)

Ich betreue ehrenamtlich Kinder, die lernschwach sind. Da sehe ich, wie viele Familien mit Distance-Learning strudeln. Mich ärgert es total, wenn sich Politiker hinstellen und sagen: "Die Kinder brauchen einen ruhigen Arbeitsplatz." Es gibt Kinder, die sind in dieser Krise völlig verloren, die haben keine Eltern, die sich kümmern. Ich habe in Graz und Wien viele ehemalige Kollegen aus Brennpunktschulen, die erreichen die Kinder teilweise seit Wochen gar nicht mehr. Die Politiker wissen gar nicht, was da draußen abgeht. Wie viele Kinder durch die Schulschließungen auf der Strecke bleiben – und welche Chancenungleichheit dadurch entsteht.

Distance-Learning ist auf Dauer keine Alternative zum Präsenzunterricht, und wir müssen endlich anfangen, kreativ zu werden und andere Konzepte auszuprobieren.

Ein gutes Beispiel, wie Schule funktionieren kann: Meine Tante ist Lehrerin in der Schweiz. Die Klassen der Grundschule wurden in Kleingruppen mit vier bis fünf Kindern unterteilt. Jeden Tag waren die Kinder bei einer anderen Familie zu Hause. Innerhalb dieser Kleingruppen bekamen die Kinder Wochenaufträge und lernten zusammen. Die Lehrerin besuchte jeden Tag eine andere Gruppe und könnte sich intensiv Zeit für die wenigen Kinder nehmen. Natürlich werden die Lehrerinnen und Lehrer dabei regelmäßig getestet und tragen FFP2-Masken. Das Beste an diesem Konzept: Die Kleingruppen wurden mit stärkeren und schwächeren Schülern vermischt. Durch die heterogene Gruppe hat sich das Konzept selbst getragen, die Schüler haben sich gegenseitig unterstützt – kein Schüler bleibt auf diese Weise auf der Strecke.

Abgesehen davon brauchen Kinder soziale Kontakte. Man kann sie nicht dauerhaft einsperren und ihnen den Umgang mit Gleichaltrigen verbieten. Das Infektionsgeschehen ist in so kleinen Gruppen auch überschaubar.

Ich glaube, auch in den Oberstufen sind Gruppenformationen sinnvoll. Viele Teenager sind schon müde und unmotiviert. Wenn man ihnen sagt, ihr dürft ganz gewiss in zwei bis drei Wochen wieder zurück in den Präsenzunterricht, dann käme vielleicht auch die Motivation zurück. Dann sollen die Klassen eben gesplittet werden.

Außerdem ist ein Perspektivenwechsel angebracht: Der Fokus sollte längst nicht mehr darauf gerichtet sein, einen Lehrplan einzuhalten oder möglichst gute Noten zu erzielen. Ehrlich gesagt müssen wir von dem Gedanken wegkommen, dass in diesem Jahr überhaupt sinnvoll Noten verteilt werden. Wie soll man Kinder und Jugendliche über die Distanz beurteilen? Man muss sich ja vorstellen, dass Familie A ganz andere Umstände zu Hause hat als Familie B. Viele haben keinen Arbeitsplatz, keine Ruhe und keine Eltern, die helfen. Wie gerecht ist das dem Kind gegenüber dann noch?

Ich finde, alle Beteiligten müssen sich mehr entspannen. Vor allem die Eltern sollten nicht zusätzlich Sorgen mit den Noten haben. Dieses Jahr ist anders. Schule ist anders. Wenn die Leistung der Schüler abfällt, dann ist das normal. Ich persönlich sehe bei meinem Sohn, der sonst nur Einser hat, dass er müde wird, keine Lust mehr hat. Das ist normal, denn die Krise setzt den Kindern zu. Viele Kollegen können nicht nachvollziehen, wie es den Kindern geht, sie haben selbst keine. Und deswegen fordern sie weiterhin Leistung und halten stupide den Lehrplan ein. Ich möchte den Lehrern dabei aber nicht mal Vorwürfe machen, denn sie selbst bekommen den Druck von der Schulleitung, und die Schulleitung bekommt den Druck von der Bildungsdirektion usw.

Mein Appell geht deswegen direkt an die Politiker: Bitte achten wir alle gemeinsam darauf, dass es den Kindern psychisch gut geht, dass sie nicht verzweifeln oder anfangen, an sich zu zweifeln. Nehmen wir den Druck weg! Finden wir ein Konzept, das individuelle Förderung ermöglicht, etwa in Kleingruppen und an der frischen Luft.


"Meine Schüler sind am Limit. Distance-Learning haben sie mittlerweile satt."

Christopher Spörk aus Baden ist Mathematik-Nachhilfelehrer und Youtuber

Durch Corona wurde das Bildungssystem zu außergewöhnlichen Maßnahmen veranlasst, die durchwegs auch positiv zu sehen sind. Unser Schulsystem wurde in eine Digitalisierung gezwungen, die es aus meiner Sicht dringend notwendig hatte. Nun ist es aber so, dass Schüler und auch Lehrer damit oft im Stich gelassen werden. Es fehlt weiterhin an Struktur und technischem Know-how. Gerade im Fach Mathematik ist es wichtig, Rechnungen und Skizzen zu visualisieren und Schritt für Schritt zu erarbeiten. Doch dafür gibt es kein geeignetes Tool, und die Schüler sollen es dann dennoch verstehen.

Schon vor Corona hatten viele Schüler in Mathematik Probleme. Was daran liegt, dass sich die Mathematik in der Schule immer mehr von einer anwendungsorientierten und nachvollziehbaren Mathematik hin zur Theorie entwickelt. Es geht oft nicht mehr darum, Beispiele rechnen zu können, sondern darum, komplizierte Theoriefragen zu beantworten. Und ich glaube, gerade damit tun sich Schüler nun im Distance-Learning noch schwerer als in der Schule. Wenn bei einer Rechnung ein falsches Ergebnis rauskommt, muss man auf "Fehlersuche" gehen, kontrolliert seine Rechenwege usw., aber bei Theoriefragen ist der Fehler oft nicht so eindeutig auszumachen, und die Selbsthilfe-Kompetenz von Schülern wird immer kleiner.

Schüler sind im Distance-Learning damit konfrontiert, selbstständig Stoff zu erlernen, aber es wurde und wird ihnen leider nicht gezeigt, wie das eigentlich geht. Corona zeigt uns so gesehen gnadenlos die Probleme und Fehler des Schulsystems. Deswegen kann ich Eltern nur raten, dass sie den Druck von den Kindern nehmen. Es ist nicht die Schuld der Kinder, wenn sie sich mit dem Lernen zu Hause schwer tun. Und eine negative Note ist in dieser Krise das kleinste Problem.

Ich glaube, dass die Schüler wieder mehr Struktur und Sicherheit brauchen. Klare Vorgaben, wann welche Prüfung abgehalten werden. Wenn verkündet wird: "Bis Weihnachten gibt es keine Schularbeiten", und plötzlich gibt es dann welche, oder wenn die Öffnung der Schulen immer wieder verschoben wird, dann leiden die Kinder auch psychisch.

Ich würde mir von der Regierung einen Plan bis Ende des Schuljahrs wünschen, an dem sich die Schüler orientieren können und der dann auch so gut wie möglich durchgesetzt wird. Als Mathematiker ist mir klar, dass wir uns mit Corona in einer sehr dynamischen Situation befinden und das Vorhersagen oft nur schwer möglich sind, aber gerade dann ist es wichtig, den Schülern beizustehen, und ich habe nicht das Gefühl, dass das gerade passiert.

Schüler sollten sich für Mathematik regelmäßige Online-Lerngruppen organisieren. Der Stoff lässt sich zusammen meist viel leichter erarbeiten. Wenn es einmal überhaupt nicht mehr geht, fragt bei Nachhilfelehrern nach günstigen Online-Gruppenkursen. Ich selbst biete individuelle Kleingruppenkurse bereits ab zehn Euro pro Person und Stunde an. Aber auch im Internet und auf Youtube findet man viele nützliche Videos mit Erklärungen und Tipps und Tricks.

Ich selbst habe Ende letzten Jahres einen Youtube-Channel gestartet, um möglichst viele Schüler in dieser Krise zu unterstützen. Oft lernt es sich leichter, wenn man Mathematik mittels Video erklärt bekommt. Ich verwende diese Videos auch für meine Nachhilfeschüler. Oft schicke ich ihnen Videos, damit sie sich die schon vor der Stunde anschauen oder für danach, um den Stoff zu wiederholen. Schüler können mir ab jetzt auch kostenfrei Fragen schicken, ich wähle möglichst viele davon aus und werde sie in Videos auf YouTube erklären.


"Ein gut strukturierter Alltag ist das A und O für Kinder."

Birgit Satke, Leiterin von Rat auf Draht und Lebens- und Sozialberaterin

Wir Berater von Rat auf Draht bemerken, dass die Stimmung bei den Kindern und Jugendlichen sehr angespannt ist. Das Ganze dauert einfach schon sehr lange. Klarerweise sind damit auch viele Ängste verbunden: Wird die Schule jemals wieder öffnen? Komme ich im Unterricht überhaupt noch mit? Werden wir eine Schularbeit schreiben? Wie bekomme ich eine Note? Wie sieht meine Zukunft überhaupt aus?

Immer wieder äußern Kinder und Jugendliche, dass sie mit Distance-Learning überfordert sind und dass sie sich den Regelunterricht wünschen. Abgesehen davon fehlt ihnen der Kontakt zu Gleichaltrigen, der Austausch – darunter leiden sie sehr. Nicht immer ist das Verhältnis zu den Eltern rosig. Es gibt genug Erwachsene, die selbst überfordert sind, Sorge und Ängste haben und ihren Kindern schlichtweg im Distance-Learning nicht helfen können. Jenen Kindern fehlt der persönliche Austausch mit den Lehrern am meisten. Da sind Lehrer oft einfach eine wichtige Bezugsperson.

Aber auch in sozial starken Familien sind die Eltern mit ihren eigenen Themen beschäftigt, müssen arbeiten und können sich nicht so umfangend um die Kinder kümmern wie sonst. Wenn dann zu wenig Zeit bleibt, dann plagt sie das schlechtes Gewissen. Was wir bei den Eltern dann beobachten, ist, dass sie die Schulaufgaben von den Kindern übernehmen, wenn diese keine Lust haben. Das ist vielleicht lieb gemeint, aber völlig kontraproduktiv. Dann lieber gemeinsam hinsetzen und herausfinden, wo das Problem ist.

Ein gut strukturierter Alltag ist das A und O für Kinder. Wenn das fehlt, kommt es häufiger zu Schwierigkeiten. Gerade bei Jugendlichen ist der Rhythmus in der Corona-Krise total durcheinandergekommen, sie gehen später schlafen und sind dann morgens müde und finden keine Motivation für die Schule. Eltern sollten deswegen einen Blick darauf haben, wann die Kinder ins Bett gehen und ob sie untertags beim Lernen genug Pausen machen. Vielleicht erarbeitet man sich als Familie gemeinsam einen Tages- oder Wochenplan, der dann auch eingehalten wird. Das gibt Halt und Sicherheit!

Besonders wichtig ist für Kinder derzeit auch der Fokus auf das Positive. Wenn sie etwas gut geschafft haben, sollten sie gelobt werden. Die Leistung sollte von den Eltern anerkannt werden. Freuen Sie sich zusammen mit Ihren Kindern und verbringen Sie gemeinsam Zeiten, die nichts mit der Schule zu tun haben.

Nicht vergessen: Auch Eltern brauchen Pausen. Wenn die Eltern keine Auszeiten haben, dann können sie gar nicht entspannt und gut für die Kinder da sein. Ein Bad nehmen, mal alleine einen Film schauen und eine Runde spazieren gehen. Die Kinder verstehen das meistens sehr gut!


"Für Eltern ist es enorm wichtig, mit den eigenen Ressourcen gut umzugehen und auf sich selbst zu achten."

Andrea Prettenhofer aus Wien ist Psychologin, Bloggerin und Mutter von zwei Kindern (3 und 7 Jahre)

Unsere Familie befindet sich einer sehr privilegierten Situation: Mein Partner ist seit der Geburt der Kinder nur Teilzeit tätig, und ich habe mich gerade selbstständig gemacht, weshalb wir uns den Alltag gut einteilen und aufteilen können.

Unser Sohn hat im Herbst mit der ersten Klasse Volksschule begonnen. Das ist natürlich alles komisch für ihn, aber grundsätzlich klappt das Distance-Learning ganz gut. Die Lehrerin ist sehr nett und immer erreichbar und das Kind sehr interessiert am Lernen.

Ich merke aber in meinen Coachings, dass das keineswegs die Regel ist. Ganz viele Eltern sind mit der Situation Homeoffice und Kinderbetreuung bzw. Distance-Learning überfordert. Es ist enorm schwierig, all das unter einen Hut zu bringen und dann auch noch Partner und Mensch zu sein mit seinen eigenen Bedürfnissen. Seit einiger Zeit biete ich deswegen spezielle Online-Coachings für Eltern an. In den Sitzungen sprechen wir über all diese Schwierigkeiten im Familienalltag und versuchen mit verschiedenen Tools, etwa aus der Positiven Psychologie, Lösungen zu finden.

Für Eltern ist es enorm wichtig, mit den eigenen Ressourcen gut umzugehen und auf sich selbst zu achten. Sonst brennt man irgendwann aus – und davon hat keiner was. Letzte Woche haben mein Partner und ich zum Beispiel beide Kinder zum ersten Mal für zwei Vormittage in den Kindergarten und in die Schule geschickt. Das wäre jetzt auch anders zu schaffen gewesen, aber ganz ehrlich: Diese "Pause" hat sehr geholfen.

Wir alle wissen nicht, wie lange die aktuelle Situation noch anhalten wird. Deswegen sollten wir spätestens jetzt damit beginnen, zu Hause Routinen einzuführen, wie es in einem normalen Alltag auch der Fall ist. Am besten erstellt man einen Tagesplan, denn durch die Vorhersehbarkeit der Tagesaktivitäten entsteht ein Sicherheitsgefühl, sowohl für Kinder als auch für uns Erwachsene, und das kann Beklemmungs- und Angstgefühle mindern. Schließlich weiß man zumindest zu Hause, was als Nächstes zu tun ist.

Wir haben zusätzlich einen Familienvertrag aufgesetzt, in dem die Herausforderungen, Rollen und Stärken der einzelnen Familienmitglieder stehen. Wer ist für das Mittagessen verantwortlich? Wer geht mit dem Hund raus? Wer kontrolliert die Schulaufgaben? Dabei können auch schon Kinder Aufgaben übernehmen, etwa beim Aufräumen helfen oder den Geschirrspüler ausräumen.

Ich weiß, nicht jeder hat eine große Wohnung und viel Platz, aber kleine Zonen für den individuellen Rückzug sind ganz wichtig. Dann ist es vielleicht kein eigener Raum, aber eine Arbeitszone für Eltern am Küchentisch. Für die Kinder muss es innerhalb dieser Zone heißen: nicht stören! Aber natürlich kann man den Kindern am selben Tisch eine eigenen Kinder-Arbeitsplatz einrichten mit Malstiften, Rätselheften oder Bastelmaterial.

Vor allem bei Kleinkindern finde ich es besonders wichtig, dass jeder Elternteil für sich selbst überlegt, wo er/sie Wünsche und Bedürfnisse nach Rückzug von der Familie hat (sowohl für Homeoffice als auch für Freizeitaktivitäten).