Auch nach Corona soll der digitale Unterricht verstärkt angewendet werden. Ein vollständiger Ersatz für den Präsenzunterricht darf er nicht sein.

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AHS-Lehrer Georg Platzer schreibt in seinem Gastkommentar über die Notwendigkeit auch in Zeiten des digitalen Lernens auf analoge Formen zu setzen.

Jüngst verlautbarte das Bildungsministerium, auch nach Corona verstärkt auf den digitalen Unterricht setzen zu wollen. Das kommt wenig überraschend – gilt doch, unabhängig von der aktuellen Situation, die Digitalisierung längst als der Inbegriff vieler Wunschvorstellungen, die mit der Schule der Zukunft einhergehen. Das Lernen ließe sich unter dem Einsatz elektronischer Medien spielerisch arrangieren, die Schülerinnen und Schüler würden in ihrer Lebenswelt abgeholt, und obendrein wären sie Verfügende über nahezu unbegrenzte Wissensbestände – und all das ohne die zwingende physische Anwesenheit in den Klassenzimmern. So die Stimmen der digitalen Utopie. Aber – könnten sie irren?

Ohne Zweifel, wir leben in einer hochtechnisierten Welt. Einer Welt, in der digitale Endgeräte beinahe sämtliche Bereiche menschlichen Tuns durchdrungen haben und den Alltag weitgehend (mit)bestimmen. Soziale Netzwerke, Mail-Clients und Web-Portale geben den Takt an, nach dem die Nutzer ihre routinehaften Wisch- und Scroll-Gesten vollziehen, um im Informationszeitalter nur ja nichts zu verpassen. Ständig online zu sein gilt dabei als die ultimative Maxime.

Unerwünschte Nebenwirkungen

Gut erforscht ist mittlerweile aber auch, welche Nebenwirkungen der übermäßige Konsum digitaler Inhalte mit sich bringt. Wer sich immerwährend auf der Suche nach neuen Informationen befindet, der zwingt sein Gehirn zur Anpassung: Die rasche Abfolge an Eindrücken, die der Bildschirm liefert, wird zum Maßstab der Wahrnehmung, der Nutzer zum ständigen Jäger nach dem nächsten Reiz, und letztlich wird die Informationsflut zur unangenehmen Norm. Diesen Zustand kennen wohl viele Menschen aus eigener Erfahrung, ebenso wie Lehrende aus ihrer täglichen Arbeit mit Smartphone-liebenden Schülerinnen und Schülern.

Anstatt sich nun diesem Diktat elektronischer Medien und ihrer Wirkungsmechanismen auch im Bildungsbereich zu unterwerfen, könnte man in der Schule – insbesondere nach den Mühen des sogenannten Distance-Learning – bewusst analoge Bezugspunkte entgegensetzen: Gespräche, Dialoge, Vorträge, Textarbeit – allesamt Tätigkeiten, die es verlangen, sich ihnen uneingeschränkt zuzuwenden, sich darauf einzulassen und womöglich sogar darin zu versinken.

Lehrer als Erzählender

Statt des Tablets oder Laptops könnte es in alter Tradition der Lehrer sein, der als Erzählender durch Inhalte führt, ganz analog und ohne Bildschirm. Diese Form des Lernens könnte in Vergessenheit geratene Lerntugenden wie Beharrlichkeit und Aufmerksamkeit wieder erstarken lassen und einen Raum der Entschleunigung bieten. Die Schule würde so zum Ort des Ausgleichs für die Zerstreuungserlebnisse des digitalen Alltags. Natürlich ist damit nicht gesagt, dass Bildschirme keinen Platz in der Schule haben sollten, ganz im Gegenteil: Wer die digitale Technik völlig aus dem Klassenraum verbannt, verschließt die Augen vor dem Fortschritt. Das wäre fatal.

Es gilt, einen vernünftigen und maßvollen Rahmen für die Anwendung zu schaffen: Informatikkurse, punktuelle Einsätze oder Medienworkshops. Als durchgängiges Unterrichtsprinzip aber könnte sich die Digitalisierung als folgenschwerer Irrtum erweisen (Georg Platzer, 15.1.2021)