Die verfallende Pracht von Bad Gastein steht unverkennbar Pate für "Bad Regina". Bloß hat es David Schalkos Ort härter erwischt.

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Nie um einen Schmäh verlegen: der Autor David Schalko (47).

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Bad Regina darf man sich vorstellen wie einen Abklatsch von Bad Gastein. Einst von imperialem Glanz, ist das pittoreske Alpennest später dem Jetset zugefallen, bis der ab den 1980ern lieber woandershin fuhr. Es ging bergab. Während Bad Gastein sich dank Hotelinvestoren aus Berlin zum Bobotreffpunkt gemausert hat, geht es Bad Regina aber nur schlecht. Denn der Tourismusneustart hat dort bisher nicht geklappt. Andererseits sind die Bad Gasteiner bei weitem nicht so flirrend und flackernd wie die Bewohner des fiktiven Parallelörtchens. Was daran liegt, dass David Schalko Bad Regina für sein gleichnamiges Buch ersonnen hat.

Der Serienerfinder (Braunschlag, Altes Geld), Regisseur und TV-Produzent legt damit nach Schwere Knochen (2018) über die Wiener Unterwelt nach dem Krieg seinen fünften Roman vor. Er fügt sich nahtlos in sein bisheriges Schaffen ein. Seine Hauptfigur ist ein Mann mit dem klingenden Namen Othmar. Der hatte in Bad Regina vor dem Niedergang den Kraken betrieben, den "berühmtesten Klub der Alpen". 20 Jahre später hat er Gicht, einen Spitzbauch, und weil all seine Elektrogeräte kaputt sind und er sie seit der Jahrtausendwende nicht mehr ersetzt oder repariert, trinkt er immer warmes Bier. Außer im Winter.

46 Bewohner, fast so viele Geschichten

Dass Othmar sich ungern wäscht, macht seiner altlinken Freundin Selma praktischerweise nichts aus. "Sie spielten Liebe. Weil kein anderer verfügbar war", heißt es zu der Beziehung. Selmas Tochter Charlotte lebt ein ähnliches Schicksal und schläft heimlich mit Joschi, dem Sohn des rechten Bürgermeisters Zesch. Sie hat ja nicht viel Auswahl.

Über dreihundert Bewohner gab es hier noch vor drei Jahren, erfahren wir. Inzwischen rauscht einzig noch der Wasserfall. Denn der Chinese Chen kauft alle Häuser, verfallenden Schlösser und Hotels auf. Abschiedslos verschwinden die Nachbarn still und schuldbewusst. 46 Bewohner gibt es in Bad Regina noch, als die Geschichte einsetzt, und Schalko hat offensichtlich den Eifer, von ihnen allen zu erzählen. Das macht das Buch weniger zum Roman als zum Wimmelbild.

Neben Othmar gibt es etwa Alpha, früher DJ, aber seit einem Skiunfall im Rollstuhl. Othmar ist mitschuldig, pflegt Alpha seit 20 Jahren (eher schlecht) und lebt vom Versicherungsgeld, das Alpha kassiert.

Als Frau nervt der Peter mehr

Dann ist da der Kraftwerksdirektor Peter, der eines Tages aus einer Karenz als Petra zurückgekehrt war: "Othmar fragte sich, ob er mit Petzi schlafen würde, wenn sie die Letzte im Ort wäre. Nein, würde er nicht. Allerdings nicht wegen der Geschlechtsumwandlung. Im Gegenteil. Wie alle Männer machte ihn das eher geil. Sondern weil ihm Petzi als Frau auf die Nerven ging. Als Mann war dem nicht so gewesen." Die Lehrerin Grün hat sich hingegen von einem Schüler schwängern lassen.

Es gibt noch den schönen Pfarrer Helge, der früher im Knast war, und den Zahnarzt, der auch gesunde Zähne zieht, um über die Runden zu kommen, aber nie mehr als ein Drittel, damit es nicht verdächtig wird!

Die ausgeschmückten Biografien sind selten nötig für den Fortschritt der Handlung, tatsächlich hemmen sie ihn eher. Vielleicht hatte Schalko ein paar zu viele lose Ideenfragmente und Skizzen herumliegen.

Vergangenheit schläft nicht

Näher kommen wir dem Kern der Geschichte mit Bürgermeister Heimo Zesch. Das Nazitum stecke seiner Familie im Blut wie Herpes, erklärt Schalko: beim einen breche es aus, beim anderen nicht. Als der Boutiquehotelier Moschinger also vor Jahren den syrischen Flüchtling Achmed aufnahm, husste Zesch prompt gegen diese "Islamisierung". Moschinger reagiert auf dieses Klima, indem er Thomas Bernhard verehrt und in dessen Manier zetert: "Der Deutsche hat es nur satt, als Langeweiler dazustehen. In Österreich hingegen kommt man als Nazi zur Welt." All das zeitigt aber keine tieferen gesellschaftspolitischen Debatten. Es dominiert der Wille zu Witz, Schmäh und Kuriosität. Psychologie, Innensicht und Figurenentwicklung gibt es praktisch nicht.

In der zweiten Hälfte hält Schalko diese Fülle an Dekor nicht mehr durch. Das ist nicht schlecht, weil dadurch der Plot anzieht: Die Männer kidnappen Chen. Hat der ein zweites Hallstatt im Sinn? Einen Erlebnispark? Die Auflösung überrascht und steht im Licht von Vergangenheitsbewältigung. Nicht nur originell, auch schön ist dabei der Satz: "Aber es war einfach zu spät, um ein neues Ende zu beginnen."

Man kann sich das prima im TV vorstellen. Wer so viel geballten Humor aber nicht aushält: Finger weg. (Michael Wurmitzer, 15.1.2021)