Acht bis zehn Manuskriptseiten täglich hat sie getippt; daraus sind 22 Romane hervorgegangen und unzählige Kurzgeschichten. Von allen US-Autoren und -Autorinnen erreichte sie in Europa, wo sie fast ihre komplette zweite Lebenshälfte verbrachte, die höchsten Auflagen. Privat mied sie die Öffentlichkeit. Zuletzt lebte Patricia Highsmith, umzingelt von Bergen, im Tessin. Ihr Bungalow in Tegna war eher ein Bunker als ein Wohnhaus. Besuch kam selten.

Highsmith hat sich nie um Konventionen geschert. Sie lebte offen lesbisch, hatte zahlreiche Beziehungen und noch mehr Affären, manche davon, es ließ sich kaum vermeiden, parallel. Gelegentlich ging sie auch mit Männern ins Bett. Es war – neben dem Platz vor der Schreibmaschine – der einzige Ort, an dem sie zufrieden war.

Tragische Vorbilder

Dennoch keine schlechte Bilanz für ein Mädchen, das ohne Vater aufwuchs und hin- und hergerissen wurde – zwischen ihrer liberalen Heimatstadt New York und einem zunehmend prüden, minderheitenfeindlichen Amerika, das im ersten Nachkriegsjahrzehnt innenpolitisch vom ultrakonservativen Senator Joseph McCarthy geprägt wurde. Es gab andere Schicksale, die wesentlich unglücklicher verliefen wie jenes eines ihrer literarischen Vorbilder: Sylvia Plath, von der ein gerahmtes Porträt in Highsmiths Arbeitszimmer hing, brachte sich mit 30 um.

Highsmith mochte Frauen. Andererseits bestand die Hälfte ihrer Leserschaft aus Männern. Die Verlage, für die sie schrieb, wurden von Männern geführt. Und auch die Riege der für den Verkauf ihrer Bücher so wichtigen Kritiker war in erster Linie maskulin.

Erst morden

Der Spagat zwischen weiblicher Wunsch- und realer Männerwelt erwies sich als doch extrem schwierig. Ähnlich Mark Twains Figur Huckleberry Finn, der zuverlässig dann unglücklich ist, wenn er der spießigen Gesellschaft gefallen will, verleugnete sich Highsmith ein Stück weit selbst, wenn sie Männern zu gefallen und dadurch auf auch noch mehr schriftstellerische Anerkennung hoffte.

Am Schreibtisch war Highsmith durchaus etwas ungezügelter. In ihren Büchern durfte sie Frauen verachten, weil sie die unterwürfige Weibchenrolle einnahmen und sich in Abhängigkeit begaben. Und sie ließ Männer scheitern, auch die sympathischen.

Fast alle Highsmith-Romane haben männliche Protagonisten. Erst morden sie, dann werden sie selbst zum Opfer – eines fiesen Konkurrenten, einer verständnislosen Gesellschaft oder eines skrupellosen, rachsüchtigen Polizisten. Nur selten überleben ihre gebrochenen Helden das Ende der Handlung.

Frauenhass

Einzig Highsmiths Lieblingscharakter Tom Ripley, ein sympathischer Mörder, durfte in mehreren Romanen die Hauptrolle spielen und sich trotz seiner kriminellen Ader sogar zu einer moralisch beinahe integren Figur entwickeln. Gesetzesbrecher waren der Autorin generell lieber als Gesetzeshüter.

Schreiben war für Highsmith immer auch Therapie. Wenn es ihr schlechtging, lief sie schöpferisch zur Hochform auf. In ihren Werken ließ sie einem Frauenhass seinen Lauf, der es locker mit den misogynen Aversionen Sigmund Freuds aufnehmen konnte.

Laut Highsmith-Biografin Joan Schenkar waren Highsmiths weibliche literarische Wesen "so nah an einer Comickarikatur, wie ein ernsthafter Schriftsteller sie nur schreiben kann. Sie sind rachsüchtige Miststücke wie Nickie in Der Schrei der Eule; instinktgesteuerte Flittchen wie Melinda in Tiefe Wasser; nichtsahnende Unschuldige wie Annabelle in Der süße Wahn; nörgelnde Ehefrauen wie Clara in Der Stümper; männliche bzw. weibliche Projektionsfiguren wie Elsie in Elsies Lebenslust; oder passive Nichts nutze wie Alicia in Der Geschichtenerzähler."

Happy End

Eine Ausnahme bilden die beiden Protagonistinnen Therese und Carol in Salz und sein Preis, einem Roman, den Highsmith bereits im Jahre 1952, in der Hochzeit des McCarthyismus verfasst und – Homosexualität war strafbar – nur unter einem Pseudonym (Claire Morgan) zu veröffentlichen gewagt hatte. Erst Jahrzehnte später bekannte sich die Autorin deutlich zu ihrer Urheberschaft. Es ist das einzige längere Werk Highsmiths, das ohne Mord daherkommt und dessen Handlung glücklich endet.

Für ihr eigenes Leben lässt sich dies nur bedingt sagen. Das Schreiben war nicht Highsmiths einzige Methode, gewisse Defizite zu verarbeiten. Sie griff zum Alkohol und rauchte Kette. Ursprünglich von robuster Natur, häuften sich im Alter die Wehwehchen. Sie starb mit 74, ihren Nachlass bewahrt das Schweizer Literaturarchiv in Bern auf.

Handkes Würdigung

Als Autorin war Highsmith kommerziell überaus erfolgreich. Mindestens drei Dutzend Verfilmungen ihrer Romane sind entstanden. Anders als in ihrer Heimat, wo sie als Krimiautorin galt, wurde ihr in Europa der Rang einer "großen Schriftstellerin" verliehen, etwa von Peter Handke in einem eigens verfassten Essay. Ihre Biografin Joan Schenkar bescheinigt Highsmith, "fünf oder sechs der verstörendsten Romane des 20. Jahrhunderts" geschrieben zu haben.

Einer davon, Die zwei Gesichter des Januars, beginnt damit, wie ein Mann einen anderen Mann bei dessen Versuch, eine Leiche verschwinden zu lassen, beobachtet. Was macht jemand also in einem solch seltsamen Moment? Um Hilfe rufen? Vielleicht lieber wegschauen? Oder doch eher zur Polizei gehen? Highsmiths Lösung: dem Mann bei der Beseitigung des Corpus Delicti helfen! (Ralf Höller, 15.1.2021)