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Fernsehteams vor dem Palazzo Chigi, dem Sitz des italienischen Regierungschefs. Seit dem Koalitionsbruch durch Matteo Renzi ist die Anspannung groß.

Foto: AP / Mauro Scrobogna

Eines steht fest: Mit dem Abzug seiner beiden Ministerinnen aus der Regierung von Giuseppe Conte hat Italiens Ex-Premier Matteo Renzi seine Position als unbeliebtester Politiker des Landes weiter gefestigt. Das Lostreten einer Regierungskrise mitten in der Covid-Pandemie hat parteiübergreifend Kopfschütteln und Entrüstung ausgelöst.

Regierungschef Giuseppe Conte bezeichnete den Koalitionsbruch als "gravierenden Fehler, der dem Land erheblichen Schaden zufügen wird". Der Mailänder Corriere della Sera versuchte es mit Ironie: "Dass es dem ‚Capo‘ einer Zwei-Prozent-Partei gelingt, in einer derartigen Situation die Regierung zu Fall zu bringen, ist eines der italienischen Wunderdinge, für die wir auf der ganzen Welt berühmt sind."

Allein Renzi scheint nicht anders zu können: Seine politische Karriere war von Beginn an gepflastert mit – im übertragenen Sinn – Kadavern politischer Weggefährten. Die Granden seiner damaligen Partei, des sozialdemokratischen PD, waren die Ersten, die Renzi, wie er es ausdrückte, "verschrottete". Ein Jahr später servierte er seinen Parteifreund Enrico Letta als Regierungschef ab, um sich an dessen Stelle zu setzen. 2016 verschrottete Renzi sich selbst, indem er die Abstimmung über die von seiner Regierung vorgelegte Verfassungsreform zu einem Referendum über seine Person machte: Für den Fall einer Niederlage hatte er unvorsichtigerweise seinen Rücktritt angekündigt. In der Folge schrieben 60 Prozent der Italiener ein Nein auf den Stimmzettel – viele von ihnen nicht, weil sie die Reform schlecht fanden, sondern um den unbeliebt gewordenen Toskaner loszuwerden.

Renzis Hintertürchen

Nun also kam Giuseppe Conte an die Reihe. Zwar hat Renzi die Türe einen Spalt offengelassen, indem er sagte, er könnte mit seiner Partei ins Kabinett zurückkehren, wenn die Regierung endlich sinnvolle Projekte und Reformen anpacke. Er könnte sogar, versicherte er treuherzig, damit leben, wenn Conte in einer Neuauflage der alten Koalition Regierungschef bliebe. Doch das glaubt ihm kein Mensch: Renzi hat zu oft erklärt, dass er Conte für unfähig halte, das Land aus der Krise zu führen. Bei der Ankündigung des Bruchs am Mittwochabend bezeichnete Renzi den parteilosen Premier als "Populisten", der die "Politik mit einer Story auf Instagram" verwechsle und sich "mehr für seine Umfragewerte als für die Arbeitslosenzahlen" interessiere. "Der König ist nackt", ätzte Renzi.

Matteo Renzi ist eigentlich nur Chef einer Kleinpartei.
Foto: Imago Images / Xinhua

Eine Rückkehr Renzis in die alte Koalition und damit ein schnelles Ende der Regierungskrise scheint daher praktisch ausgeschlossen – zumal der beleidigte Conte laut Medienberichten geschworen haben soll, sich nie wieder mit Renzi an einen Tisch zu setzen.

Auch Außenminister Luigi Di Maio, der starke Mann in der größten Regierungspartei, der Fünf-Sterne-Bewegung, schloss eine erneute Zusammenarbeit mit dem Ex-Premier aus. Renzis frühere Partei, der PD, rückte ebenfalls von ihrem Ex-Chef ab. PD-Führer Nicola Zingaretti ließ durchblicken, dass er Conte nicht opfern werde, um Renzi den roten Teppich für eine Rückkehr in die Koalition auszurollen.

Suche nach Ersatz

Conte müsste nun also, um im Amt bleiben zu können, in der bisherigen Opposition eine oder mehrere Parteien finden, die Renzis Italia Viva in seiner Koalition ersetzen könnten. Am Montag werde er der Abgeordnetenkammer über die Entwicklung berichten, hieß es am Donnerstag in Parlamentskreisen. Der Premier könnte laut Insidern die Vertrauensfrage stellen und sich am Dienstag dafür neue Unterstützer im Senat suchen. Damit könnte er versuchen, sein drittes Kabinett aufzubauen.

Entsprechende Sondierungen waren bisher nicht von Erfolg gekrönt. Und so könnte "der andere Matteo", Lega-Chef Matteo Salvini, zum lachenden Dritten der vom "Verschrotter" angezettelten Regierungskrise werden. Denn: Lässt sich im alten Parlament keine neue Regierungsmehrheit zimmern, wird Staatspräsident Sergio Mattarella nichts anderes übrig bleiben, als Neuwahlen im Juni auszuschreiben.

Genau dies haben Salvini und die Anführerin der postfaschistischen Partei Fratelli d’Italia, Giorgia Meloni, gestern mit Nachdruck gefordert. Wen wundert’s: Laut sämtlichen Umfragen der letzten Wochen würden die Rechtsparteien, im Verbund mit der Forza Italia von Silvio Berlusconi, der gestern wegen Herzproblemen in ein Krankenhaus eingeliefert wurde, bei Neuwahlen einen klaren Sieg davontragen.

Viele bangen um Mandat

Kommt es zu diesem Szenario, wäre es Renzi gelungen, nicht nur Conte und zum zweiten Mal sich selber, sondern auch gleich noch das Land zu verschrotten – zumindest aus Sicht moderater und europafreundlicher Italiener, die Salvinis aggressive Anti-EU-Rhetorik, seine fremdenfeindlichen Ausfälle und seine Begeisterung für Donald Trump nicht teilen.

Vorerst gelten aber Neuwahlen als eher unwahrscheinlich: Wegen der beschlossenen Verkleinerung des Parlaments von über 900 auf 600 Sitze müssten hunderte Abgeordnete und Senatoren um die Wiederwahl bangen. Ein gutes Dutzend Sesselkleber aus der Opposition würde reichen, um Renzis Truppe im Senat zu ersetzen und Conte – oder einem anderen Regierungschef – die Mehrheit zu sichern. (Dominik Straub aus Rom, APA, 14.1.2021)