Die Politik wird die Wirtschaft nach der Corona-Krise nicht wieder gänzlich den Kräften des Marktes überlassen können, sagt Walter Osztovics vom Beratungsunternehmen Kovar & Partners im Gastkommentar.

Bild nicht mehr verfügbar.

"Ja, Zuckererbsen für jedermann, sobald die Schoten platzen!", träumt Heinrich Heine in seinem Wintermärchen.
Foto: Getty Images

Zu den ersten Opfern der Corona-Pandemie gehörte das Vertrauen in die Marktwirtschaft. Kaum hatte die Regierung Geschäfte und Restaurants geschlossen und Betriebe in Kurzarbeit geschickt, tauchten auch schon Vorschläge auf, wie man jetzt den Kapitalismus und die Globalisierung zu Grabe tragen könnte. Dass sie nichts taugten, zeige sich ja allein schon darin, dass der Staat bereits zum zweiten Mal in zehn Jahren die Wirtschaft vor dem Untergang retten müsse. Außerdem wünschten sich die Menschen sowieso etwas ganz anderes, ein Ende von Wachstum und Wettbewerb, stattdessen eine solidarische Gemeinschaft der regionalen Netzwerke.

Für Österreich wären das allerdings keine guten Aussichten. Ohne kräftiges Wachstum würde der Abbau der aktuellen Neuverschuldung zu einer mühsamen Aufgabe. Zudem gehört das Land zu den am stärksten globalisierten Volkswirtschaften Europas, in normalen Zeiten werden rund 60 Prozent der Wertschöpfung im Außenhandel erzielt.

Aber zum Glück geht die Entwicklung tatsächlich in eine etwas andere Richtung. Neoliberale Kälte einerseits und fröhliche Armut andererseits sind nicht unsere einzigen Optionen. Wir erleben nämlich sehr wohl einen dauerhaften Paradigmenwechsel, bei dem die Rollenverteilung zwischen Staat und Wirtschaft neu definiert wird. Doch der Umbruch wird mit einiger Wahrscheinlichkeit in eine Form der stärker regulierten Marktwirtschaft münden, wo ein Gerüst an rigiden Vorschriften die Voraussetzung für freies Wachstum bildet.

Auf Distanz

So lautet jedenfalls der zentrale Befund der "Arena Analyse 2021 – Marktwirtschaft neu starten". Demnach haben die Unternehmen ein paar gute Gründe, sich einen aktiven Staat zu wünschen. Einer davon ist natürlich die aktuelle Wirtschaftskrise, die ihren Tiefpunkt noch bei weitem nicht erreicht hat. Ihr Wesen bestand zwar ursprünglich nur darin, dass Angebot und Nachfrage – wiewohl beides vorhanden – im wahrsten Sinn des Wortes voneinander Distanz halten mussten. Doch inzwischen hat sich dieser Rückstau längst zu dauerhaftem Schaden ausgewachsen. Firmen gehen in Konkurs, die Arbeitslosigkeit steigt. Die Wirtschaft wird nicht einfach wieder anspringen, wenn die Beschränkungen aufgehoben werden. Deshalb hat Finanzminister Gernot Blümel auch 51 Milliarden Euro an Hilfsgeldern im Budget eingeplant, was nichts anderes heißt, als dass der Staat heuer rund zwölf Prozent des Bruttoinlandsprodukts künstlich erzeugen muss. Das EU-weite Konjunkturpaket von rund 750 Milliarden Euro ist dabei gar nicht eingerechnet.

Aber selbst wenn sich die Wirtschaft bald erholt, wird die Politik sie nicht wieder gänzlich den Kräften des Marktes überlassen können, weil die Herausforderungen von Klimaschutz und Digitalisierung gemeistert werden müssen. In beiden Fällen wollen die EU-Staaten eine Transformation in Gang bringen, die Wachstum und neue Jobs verspricht. Allerdings langfristig, zwischenzeitlich müssen Nachteile im globalen Wettbewerb verdaut werden. Denn klimafreundliche Betriebe, die faire Löhne zahlen, produzieren nun einmal um einiges teurer als Sweatshops in Guatemala oder Zwangsarbeiter in China. Ein grüner Markt kann erst funktionieren, wenn Ressourcenverbrauch, Umweltbelastung und dergleichen eingepreist werden können, zum Beispiel durch CO2-Steuern, gesetzliche MindestStandards und ähnliche Eingriffe.

Kein Erfüllungsgehilfe

Die Digitalisierung hat den von ihr geschaffenen Markt gewissermaßen von innen heraus zerstört. Ursprünglich war das Internet der Extremfall völliger Deregulierung, ein globaler Handelsplatz, der sich jeglicher Kontrolle entzog. Prompt entstand so eine Plattformökonomie, die weniger durch ihre Wirtschaftsleistung auffiel als durch Betrügereien, Ausbeutung, Steuervermeidung und Kapitalvernichtung mittels Spekulationsblasen. Vor allem aber bildeten sich globale Quasimonopole, die dann schließlich doch noch die staatlichen Ordnungshüter auf den Plan riefen, wobei aber internationale Kraftanstrengungen wie die europäische Datenschutzverordnung DSGVO oder Kartellstrafen in Milliardenhöhe nötig wurden.

"In Brüssel wird massiv in den Markt hineinregiert."

Diese Diskussion hat erst begonnen, mit dem Digital Markets Act und dem Digital Services Act stehen zwei Vorhaben auf der Agenda der EU-Kommission, die womöglich bis zur Zerschlagung der Internetgiganten führen könnten. Wer Brüssel bisher als neoliberalen Erfüllungsgehilfen von Konzerninteressen sah, darf erstaunt feststellen: Hier wird im Gegenteil massiv in einen Markt hineinregiert, dessen Player das gar nicht gern sehen. Wenn die Übung gelingt, kann die Datenwirtschaft zu einer Branche werden, in der auch mittelständische Unternehmen im Wettbewerb um die besten Innovationen mitmischen können.

Eine Utopie?

Klingt das ein bisschen allzu naiv utopisch? Staat und Markt marschieren Hand in Hand und erschaffen eine Wirtschaft voll friedlicher Fairness, die "Zuckererbsen für jedermann" produziert – wie es Heinrich Heine 1844 in seiner Utopie für ein neues Deutschland ironisch formulierte?

Das vergangene Jahr hat gezeigt, dass eine solche Entwicklung nicht zwangsläufig eintreten muss, sehr wohl aber von einer inneren Logik getrieben wird. Wenn die Unternehmen frei wirtschaften wollen, brauchen sie einen aktiven Staat. Und wenn der Staat seine Aufgaben finanzieren will, muss er den angeschlagenen Markt neu erfinden. (Walter Osztovics, 15.1.2021)