Patrice Lumumba war Kongos erster Premier.

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Die Unterschrift zur Unabhängigkeit des Kongo.

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Vor einem Jahr wurden im Zuge der Black-Lives-Matter-Proteste auch in Belgien Kolonialdenkmäler beschmiert.

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Bis heute gilt Patrice Lumumba als einer der wichtigsten Freiheitshelden der Dekolonialisierung der 60er-Jahre. Nach fast acht Jahrzehnten brutaler Kolonialherrschaft Belgiens wurde er zum ersten Premierminister des freien Kongo gewählt. Vor 60 Jahren, in der Nacht zum 17. Jänner 1961, wurde Lumumba durch Truppen, die unter dem Schutz Belgiens standen, ermordet.

Geboren am 2. Juli 1925 in der Provinz Kasai, war Lumumba zunächst Postbeamter und Gewerkschafter. Schnell machte er sich als talentierter und charismatischer Redner einen Namen. Im Jahr 1958 gründete er die Partei MNC, das Mouvement National Congolais, und setzte sich zum Ziel, ethnische Barrieren zu überwinden.

Geschichtsträchtige Rede

Am Tag der Unabhängigkeit, dem 30. Juni 1960, hielt Lumumba eine Rede, die in die Geschichte einging. Er rechnete mit Belgien ab und macht allen klar, dass er der schrankenlosen Ausbeutung der Reichtümer des Landes ein Ende bereiten werde. Ein Schreckensszenario für die ehemalige Kolonialmacht, für die mächtige Bergbauunion Union Minière und die Konzessionäre.

Die Unabhängigkeitsrede Patrice Lumumbas.
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Belgien schickte Truppen

Dann überschlugen sich die Ereignisse: Belgien reagierte und unterstützte die folgenschwere Sezession des rohstoffreichen Landesteils Katanga. Der Handlungsspielraum Lumumbas wurde immer enger. Die belgische Presse goss Öl ins Feuer: Er sei ein Kommunist, der das Land ins Chaos stürzen werde. Ohne die Erlaubnis der Regierung landeten belgische Truppen im Kongo. Im September wurde Lumumba zu Hausarrest verurteilt. Er floh, wurde festgesetzt und in die abtrünnige Provinz Katanga gebracht.

Im Beisein von vier belgischen Polizisten wurden Lumumba und zwei seiner Mitstreiter erschossen. Um alle Spuren zu beseitigen, grub ein belgischer Polizist die Leichen kurze Zeit später wieder aus, zerstückelte sie mit einer Säge und löste sie in Säure auf. So unbeschreiblich diese Taten sind, so klar ist auch: Der Mord an Lumumba wurde vom CIA, von belgischen Militärs und Beratern und vom belgischen König gebilligt, gefördert und organisiert.

Brutaler Bürgerkrieg

Lumumbas Tod löste wütende Proteste rund um den Globus aus. In Belgrad, Warschau und Kairo wurden sogar die belgischen Botschaften gestürmt. Währenddessen glitt der Kongo in einen brutalen Bürgerkrieg ab. Weiße, rassistische Milizen strebten von Südafrika und Rhodesien aus eine Ausweitung der Apartheid an. Berüchtigt war Siegfried Müller, ein ehemaliger Soldat der deutschen Wehrmacht, der im Kongo furchtbare Massaker beging.

Die Anhänger Lumumbas setzten dessen Erbe indes entschlossen fort. Der Schweizer Soziologe Jean Ziegler erlebte als junger UN-Mitarbeiter die Kongokrise aus nächster Nähe und widmete seinen bisher einzigen Roman "Das Gold von Maniema" dem lumumbistischen Widerstand. Eine Zeit lang kämpfte auch Che Guevara an der Seite der Aufständischen. Doch im Jahr 1965 sicherte sich der Armeechef und spätere Langzeitdiktator Mobutu mit der Hilfe des Westens die alleinige Macht. Jeglicher Widerstand wurde gebrochen.

Das Gerücht vom sowjetischen Programm

Nicht selten wird behauptet, es sei utopisch gewesen, die wirtschaftliche Unabhängigkeit durchsetzen zu wollen. Lumumba habe sich unbotmäßig verhalten und US-Präsident Eisenhower vor den Kopf gestoßen. Diese Annahme vertritt auch David Van Reybrouck in seinem Buch "Kongo. Eine Geschichte".

Oft wird auch ins Feld geführt, Lumumba habe ein sowjetisches Wirtschaftsprogramm verfolgt. Das entspricht nicht den Tatsachen, wie auch der US-amerikanische Politikwissenschafter Stephen Weissman festhielt – Lumumbas Wirtschaftsprogramm war nach heutigen Maßstäben eher keynesianisch und sozialdemokratisch inspiriert. Und wenn schon: Keine ausländische Macht hatte nach der Unabhängigkeit das Recht, eigenmächtig militärisch einzugreifen. Lumumba wollte die Schlüsselindustrien verstaatlichen. Doch das war auch in vielen westeuropäischen Ländern gang und gäbe.

Demonstrationen halten an

Im Juni vergangenen Jahres, zum 60. Jahrestag der Unabhängigkeit, wurden im Zuge der Black-Lives-Matter-Demonstrationen in Brüssel erneut Kolonialdenkmäler beschädigt und Straßenschilder übermalt. Die Vergangenheit reicht bis in die Gegenwart und greift nach der Zukunft. Denn an der Ausbeutung des Kongo hat sich kaum etwas geändert. Das Erbe Lumumbas lebt indes fort – und zwar bei weitem nicht nur in afrikanischen Debatten, sondern letztlich als globale, universalistische Gerechtigkeitsperspektive, die nichts an Aktualität eingebüßt hat. (Alexander Behr, 17.1.2021)