Auf Instagram nimmt der Autor Helmut Spudich die Follower zu seinen schönsten Reiseerinnerungen mit.

Foto: Helmut Spudich

Vom Stadtstrand von Tel Aviv ...

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... über die Milonga-Bars in Buenos Aires ...

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... an Bord eines Frachtschiffs auf dem Tanganjikasee ...

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... nach Peru ...

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... bis zur Notfallberghütte im isländischen Stefansbud.

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Oder zu den Elefantenbäumen im Regenwald ...

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... nach Indien ...

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... Zhujiajiao, ins "Venedig Schanghais".

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Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen mit dem Programm der letzten Wochen und Monate gegangen ist. Als im Frühjahr vergangenen Jahres die erste Staffel von Lockdown auf den Spielplan gesetzt wurde, konnte ich der Serie noch einige spannende Aspekte abgewinnen. Wien, Hallstatt, Salzburg etc. ohne Touristen, leere Straßen, wo ist das beste ja panische Take-away, Babyelefanten und geschlossene Tiergärten, wie viel Nähe wird beim Spazierengehen von der Polizei toleriert?

Und dann der tägliche Aufmarsch des virologischen Quartetts und die Cliffhanger: Warum sind die Bundesgärten zu? Wann geht der Lockdown zu Ende? Dürfen wir wieder ins Kino, am Abend zum Italiener? Wird es Maturaprüfungen geben? Finden die Salzburger Festspiele statt? HÄTTE DAS ALLES NICHT SCHON VIEL FRÜHER BEENDET WERDEN KÖNNEN?

Weltreise als Alternativprogramm

Die zweite Staffel Lockdown im November war schon langweiliger. Eine Zeitlang schaute ich mir das an, dann schaltete ich auf das Alternativprogramm um: Ich ging einfach auf Weltreise. Am 22. November zog ich von Rom aus los, über Athen, Istanbul, Tel Aviv und Dubai bis hinunter ins südliche Afrika. Dann immer westwärts, Weihnachten verbrachte ich in der etwas heruntergekommenen Bar "Le Happy" in Portland, Silvester in Chicago, sogar mit Feuerwerk, dort gab es ja das Ende von vier schrecklichen Jahren zu feiern. Wussten Sie, dass die Antarktis bis vor Weihnachten der einzige offiziell Corona-freie Kontinent war?

Von dort kam ich vor einer Woche zurück nach Europa, es war die Entdeckungsreise eines Lebens.

Ach ja, Corona. Sie fragen sich, wie das alles geht, mit Einreisequarantäne und FFP2-Masken im Flieger und so. Habe ich wohl vergessen zu erwähnen: Ich reise im Kopf. Und in meinem Fotoarchiv. In 80 Bildern um die Welt, ein Stück können Sie noch mitreisen auf Instagram oder Facebook, je nachdem, womit Sie lieber unterwegs sind. Wenn die Flugzeuge in die Wüste geschickt werden und die Grenzen dicht sind, muss man auf das zurückgreifen, was wir als Kinder gelernt haben: unsere Fantasie, angereichert durch die fernen und fremden Orte, die wir tatsächlich erlebt haben.

In 80 Tagen um die Welt

Die ersten Weltreisen meines Lebens fanden im Kopf statt, ich bin mit Magellan um die Welt gesegelt, mit Karl May durch den Wilden Westen und den Orient geritten, mit Jules Verne in 80 Tagen um die Welt gereist. Eigentlich waren es doppelte Kopfgeburten, aus der Feder von Autoren, die diese Orte selbst nur aus den Berichten anderer kannten, direkt in die lebhafte Fantasie ihrer jugendlichen Leserinnen und Leser. So entstanden meine ersten Sehnsuchtsorte, inklusive der Villa Shatterhand in Radebeul bei Dresden, die sich Karl May auf seine alten Tage errichtete. Heutige Generationen sind dank TV und Internet längst in die entlegensten Winkel unserer Erde gereist, noch ehe sie selbstständig den Weg zu ihren Großeltern zurücklegen können.

Overtourism, Flugscham, Umweltbelastung, jetzt noch Corona: Reisen – "richtiges" Reisen – ist seit geraumer Zeit in Verschiss geraten.

Symptom der Entwertung

Die Entwertung von Reisen zur Erkundung unbekannter Orte, um andere Lebensweisen kennenzulernen, hat schon vor langer Zeit begonnen. Jumbojets mussten gefüllt, Hotels und Ferienanlagen ausgelastet werden. Last-Minute-Börsen als Symptom der Entwertung: Der Aufwand sinkt gegen null, die Destination wird zweitrangig, Vorbereitung und Vorfreude reduzieren sich auf einen Prospekt und die wenigen Stunden zwischen Auswahl und Abflug. Bei Udo Jürgens "Ich war noch niemals in New York" mitsingen ist einfach gelogen: Wer war – sagen wir, ab einem Alter von 30 Jahren – schon wirklich niemals in New York?

Schuldig im Sinne der Anklage: Auch ich war schon in New York. In San Francisco. (In Hawaii übrigens noch nicht, Zufall.) Fast überall, oft nur auf ein verlängertes Wochenende, ohne dass der Trip besondere Spuren im Gedächtnis hinterlassen hätte. Handyschnappschüsse und aufgehobene Ticketabschnitte müssen als Belege für "vielgereist" herhalten. Selbst das geht uns jetzt mit digitalen Ticketsystemen verloren, und die Fotos womöglich mit dem nächsten Handywechsel. Sind wir eigentlich noch wirklich gereist, wenn wir unterwegs waren?

Die große Verschwendung

Und so merken wir, von einem klitzekleinen Virus plötzlich auf unsere vier Wände und ein paar Ausnahmegründe für das Durchbrechen der Ausgangssperren zurückgeworfen, wie verschwenderisch wir über all die Jahre mit dieser wunderbaren geistigen, körperlichen und seelischen Ressource "Reisen" umgegangen sind. Schauen plötzlich Universum statt Krimis und kramen in Fotoschachteln und Ordnern auf unseren Computern auf der Suche nach der verlorenen Freiheit. Freunde erzählten uns begeistert von Ausflügen in das von Touristen fast leere Venedig im vergangenen kurzen Sommer, als ob wir "noch niemals" in Venedig gewesen wären.

So ging ich also anstelle der zweiten und dritten Staffel Lockdown und stündlichen Doomscrollings auf meine Erdumrundung, von Jules Verne inspiriert "in 80 Bildern um die Welt". Pflichtgemäß bereitete ich mich durch die Lektüre des Klassikers "In 80 Tagen um die Welt" vor, entdeckte beim neuerlichen Lesen eine bemerkenswerte Parallele zu unserem heruntergekommenen Reiseverhalten. Im Buch ist es eine industrielle Triebfeder, die den Gentleman Phileas Fogg zum Aufbruch veranlasst: die Wette, dass es mit den Verkehrsmitteln von 1873 möglich sei, in dieser Zeit die Erde zu umrunden. Einzig sein mitreisender Diener Passepartout erlebt mit offenen Augen staunend die Wunder ihrer Fahrt, während Phileas Fogg davon unberührt ein Sklave der Zeit ist, dem modernen Jetsetter und Last-Minute-Traveller nicht unähnlich.

Rahmen der Erinnerung

So wurden schließlich meine Reise durch das Fotoarchiv und die Auswahl der Reiseroute in 80 Bildern passepartoutgleich zum Rahmen meiner Erinnerungen. Fotos bekamen neuen Sinn, Erinnerungen mussten aufgefrischt, Begebenheiten recherchiert, Texte zu den Bildern verfasst werden. Dabei erfuhr ich manches über die Orte, das ich beim Besuch selbst nicht wahrgenommen, im Lonely Planet Guide überlesen, beim örtlichen Reiseführer überhört habe, in Gedanken schon bei der nächsten Destination oder auch der Arbeit, die nach der Rückkehr wartete.

Wie oft auf Reisen lernt man Leute kennen, die ähnliche Interessen haben. Manche schreiben Kommentare mit ihren Erinnerungen dazu, posten vielleicht eigene Bilder am einen oder anderen Ort.

Sommerfrische reloaded

Werden wir je wieder richtig reisen können, "wenn das alles vorbei ist"? Nicht so bald, und das ist gut so. Viel wird derzeit über die Zukunft unserer Büros, Schulen, Universitäten, den Alltag "nach Corona" geschrieben, und was bleibt, wenn Corona geht. Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern offerierte ihren Landsleuten in der Krise geschlossener Restaurants, Hotels und Geschäfte in ihrem abgeschotteten Land vor einigen Monaten eine schöne Vision: die Vier-Tage-Woche, um weniger Arbeit besser zu verteilen. Mit der gewonnenen Zeit sollten die Neuseeländer ihr Land bereisen und besser kennenlernen.

Österreich lebte im Sommer 2020 eine Variante dieses Gedankens: Die Sommerfrische – bürgerliches Ideal einer längst verflossenen Zeit – wurde wiederentdeckt.

Suche und Entdeckung

Plötzlich schienen die heimischen Berge höher, die Seen wärmer, die Wälder romantischer, die Wiesen grüner als in den Jahren und Jahrzehnten davor, als ein Sommer ohne Ibiza und Mallorca keiner war. Es wäre schon viel gewonnen, wenn wir es in den Ferienzeiten ein wenig bescheidener, ein wenig näher geben würden, mit weniger Flugverkehr und mehr Bahnfahrten (und zunehmend elektrisierten Automobilen).

Jedoch betrifft dies mehr den Tapetenwechsel, den wir für ein paar Wochen im Jahr brauchen. Richtiges Reisen ist anderes: Es ist Suche und Entdeckung, ist Fernweh und freiwilliges Exil, ist sich neu erfinden, wenn auch nur für begrenzte Dauer. Es braucht Zeit, damit es wirkt: in der Vorbereitung, im Unterwegssein, im Nachklingen nach der Rückkehr in den Alltag. Wenn an der Erfahrung eingeschränkter Mobilität und des Lockdowns etwas Positives sein soll, dann ist es ein Übermaß an Zeit, die wir nicht mit Geschäftigkeit vertun.

Die letzte Reise

Nicht Verzicht, sondern langsames Reisen ist die Antwort auf Flugscham und Overtourism: Die Vielfalt der Welt muss weiterhin erfahren werden, damit wir ihre Kostbarkeit begreifen. Nur so verstehen Menschen auch, was getan werden muss, damit sie für uns und unsere Kinder lebenswert bleibt.

Erfahrungen werden intensiver, heißt es, wenn uns ihre Endlichkeit bewusst ist. Im Film "The Freshman", in dem Marlon Brando eine Persiflage auf den "Paten" spielt, zahlen dekadente Reiche ein Vermögen dafür, dass sie ein Exemplar einer gefährdeten Art auf den Teller bekommen – eine Million Dollar, wenn es das letzte seiner Spezies ist. Es ist natürlich ein Schwindel, aber er wirkt: Die Teilnehmer des illegalen Gourmetklubs genießen ihren getürkten Truthahn wie noch nie zuvor.

So sollten wir auch mit Reisen nach Corona umgehen: als ob jede Reise, die wir antreten, unsere letzte mögliche ist. Wer weiß, wie oft wir noch in den Genuss dieses Luxus kommen werden. (Helmut Spudich, 19.1.2021)

Link: "Reisen im Kopf: In 80 Bildern um die Welt": instagram.com/ojour/