Mit dem Albumcover "Nevermind" kritisierte die Rockband Nirvana den Kapitalismus und die Konsumgesellschaft. Aber wer wäre nicht gern eine Million Euro reicher?

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Stellen Sie sich vor, jemand hätte bei Ihrer Geburt 10.000 Euro beiseitegelegt und dieses Geld für Sie investiert. Nicht in ein einzelnes Unternehmen, sondern in einen Indexfonds, damit das Geld auf dutzende oder hunderte der weltweit größten Unternehmen verteilt ist. Nehmen wir an, Sie wurden im Jahr 1970 geboren und die durchschnittliche Rendite, also der Ertrag des Fonds, betrug acht Prozent pro Jahr. Heute, also nach 51 Jahren, hätten Sie – Steuern und andere Kosten ausgenommen – rund 500.000 Euro zur Verfügung. Wenn sie noch bis 2030 warten, wären es bei gleicher Rendite mehr als eine Million Euro.

So weit das Szenario des amerikanischen Fondsmanager Bill Ackman zur Bekämpfung der Ungleichheit. Der 53-Jährige ist in den letzten Jahrzehnten mit einer Hedgefonds-Gesellschaft zum Milliardär und Philanthropen aufgestiegen – nun kritisiert er ausgerechnet das System, auf dem sein eigener Reichtum aufbaut: die Vermögensungleichheit, die der Kapitalismus geschaffen hat, zwischen den Wohlhabenden, die ihr Kapital immer mehr vermehren, und jener großen Gruppe an Menschen mit vergleichsweise niedrigen Gehältern, denen das Geld für Investitionen fehlt.

Geburtsrechtsfonds

Sein Vorschlag: Jedes Kind sollte einen vom Staat ausbezahlten steuerbefreiten "Geburtsrechtsfonds" bekommen, der in einem Indexfonds investiert ist. Sein Besitzer soll erst in der Pension darauf zugreifen können. Würde jeder bei der Geburt 6.750 Dollar (umgerechnet rund 5.500 Euro) als Anlage erhalten, würde der Person bei einer durchschnittlichen jährlichen Rendite von acht Prozent nach 65 Jahren mehr als eine Million Dollar gehören, rechnet Ackman in einem Beitrag für die New York Times vor.

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Dem Starinvestor Bill Ackman wurde in der Vergangenheit immer wieder der Vorwurf gemacht, er wolle mit öffentlichen Aussagen Aktienkurse in die gewünschte Richtung lenken.
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Jeder Mensch hätte – zumindest ab der Pension – ein sattes Vermögen und könnte einen Teil des Geldes an die nächste Generation weitervererben. Die Ungleichheit ließe sich so zumindest ein gutes Stück weit reduzieren, ist Ackman überzeugt.

Eine neue Idee?

Ganz neu ist die Idee Ackmans nicht, jeden Menschen unabhängig von Herkunft oder Leistung finanziell zu unterstützen. Schon seit Jahren wird über Modelle für ein bedingungsloses Grundeinkommen diskutiert, seit der Corona-Pandemie experimentieren immer mehr Länder mit dem Konzept. Im Unterschied zu Ackmans Idee soll bei einem bedingungslosen Grundeinkommen das Geld aber meist in Form einer fixen monatlichen Geldsumme an alle Bürger überwiesen werden.

Noch näher dran an dem Konzept Ackmans ist die von den US-Ökonomen William Darity und Darrik Hamilton entworfene Idee der "Baby-Bonds": Neugeborene sollen ein öffentlich finanziertes und von den Bundesstaaten geführtes Treuhandkonto erhalten, das mit umso mehr Geld ausgestattet ist, je ärmer die Familie des Kindes ist. Sobald die Kinder über 18 Jahre alt sind, sollen sie auf das Geld zugreifen können. Eine Studie in den USA, die die Idee theoretisch untersuchte, kam zu dem Schluss, dass sich dadurch die Vermögensungleichheit zwischen weißen und schwarzen Amerikanern um ein Vielfaches reduzieren ließe.

Geht die Rechnung auf?

Der Geburtsrechtsfonds von Ackman wäre hingegen erst in der Pension verfügbar und würde Jugendlichen vorerst wenig nützen. Dafür hätte er aber mehr Zeit, sich zu "vermehren", so die Überlegung des Fondsmanagers. Das Grundprinzip ist das des exponentiellen Wachstums: Solange genug Zeit vorhanden ist, kann sich auch ein kleiner Betrag zu einem riesigen Vermögen auswachsen. Ein Cent, dessen Wert sich jeden Tag verdoppelt, ist nach einem Monat mehr als fünf Millionen Euro wert. Bei einer Rendite von acht Prozent verdoppelt sich das Kapital alle neun Jahre. Nach 65 Jahren wäre eine 6.750 Dollar starke Investition eine Million Dollar wert.

So zumindest die Theorie. Denn in der Praxis spielt laut Experten eine entscheidende Rolle, wie hoch die Inflation im Land ist, weil Menschen das so angesparte Geld auch wieder für Konsumgüter ausgeben. Österreich hatte laut Wirtschaftskammer von 1970 bis 2019 eine durchschnittliche Inflationsrate von 3,2 Prozent. Die von Ökonomen als "real" oder inflationsbereinigt bezeichnete jährliche Rendite würde also nicht bei acht, sondern nur bei rund 5,8 Prozent liegen.

Somit bräuchte jemand mit dem gleichen vom Staat zur Verfügung gestellten Kapital von 6.750 Dollar nicht 65, sondern 90 Jahre für die erste Million. Oder er müsste schon mit 30.000 Dollar ab der Geburt starten, um als Pensionist Millionär zu sein. Basierend auf den durchschnittlichen jährlichen Geburten in Österreich müsste der Staat jedes Jahr rund zwei Milliarden Euro für das Programm in die Hand nehmen.

Wie groß kann das Vermögen werden?

Auch bei jenen acht Prozent Rendite, von denen Ackman für seine Theorie ausgeht, kommt bei vielen Finanzexperten Skepsis auf. Diese beziehen sich auf die historischen Renditen europäischer und amerikanischer Indexfonds. Tatsächlich erzielten Indexfonds, die etwa den MSCI World abbilden – jenen internationalen Index, der die Entwicklung von mehr als 1.600 Aktien aus 23 Industrieländern abbildet –, seit 1970 eine durchschnittliche jährliche Rendite von rund acht Prozent.

Doch nicht einmal die klügsten Finanzexperten wissen, wie es in Zukunft weitergeht. "Ganz sicher ist es aber völlig illusorisch, historische Raten der Nachkriegsjahrzehnte als Vergleichswert einfach in die Zukunft zu extrapolieren", sagt der Ökonom und Pensionsexperte Bernd Marin. "Für die nächste Generation wird sich das nicht ausgehen." Das prognostizieren auch andere Studien: Laut der Unternehmensberatung McKinsey werden reale Renditen sowohl für US-amerikanische als auch westeuropäische Aktien auf vier Prozent in den nächsten zwanzig Jahren zurückfallen. Damit wären auch die hohen Renditen der vergangenen Jahrzehnte und der Traum vom großen Vermögen in der Pension dahin.

Was passiert mit dem Geld?

Selbst wenn das Modell eingeführt wird und die Renditen hoch bleiben sollten, stellen sich für einige Experten viele weitere Fragen: Wer genau wäre für die Verwaltung des Geldes zuständig? Welche Kinder sollten das Geld bekommen – nur Staatsbürger oder alle in einem Land? Was machen Menschen, die in der Pension plötzlich eine Million Euro bekommen, mit dem Geld? Wären sie in der Lage, das Vermögen sinnvoll einzusetzen, oder sollte es lieber in monatlichen Raten ausgezahlt werden?

Nicht zuletzt befürchten einige Experten, dass das Modell andere Absicherungen wie etwa Sozial- und Pensionsversicherung schwächen könnte. "Die Fonds und Sozialversicherungen sollten jedenfalls dem kurzfristigen politischen Einfluss entzogen werden", so Marin.

Der Wirtschaftsexperte hält die Idee der Geburtsrechtsfonds und anderer Formen der "Bürgerkapitalbeteiligung" trotz der Haken für durchaus überlegenswert. Bis zu einem politischen Projekt und einer möglichen Implementierung bräuchte es aber noch viele Tests und Studien. "Da rinnt noch viel Wasser die Donau hinunter." (Jakob Pallinger, 18.1.2021)