Was für eine steile Karriere man als Superheldin doch machen kann. Vor nicht allzu langer Zeit bekommt man vom Oberbösewicht auf dem Schlachtfeld noch ein "Ich weiß nicht mal, wer du bist" um die Ohren, schon hat man seine eigene Serie auf Disney+. Die Rede ist natürlich von Wanda Maximoff (Elizabeth Olson), die "Scarlet Witch" des Marvel Cinematic Universe (MCU).

Die ist, trotz ihrer selbst für das MCU außergewöhnlichen Kräfte, in den Filmen bisher eher als Nebenfigur aufgetreten, genau wie ihr Lebensgefährte Vision (Paul Bettany), die von Tony Stark und Bruce Banner erschaffene künstliche Intelligenz. So richtig hat es sich eben nie angeboten, beide Figuren in den Mittelpunkt zu rücken. Das wird mit WandaVision jetzt geändert.

Bitte was?!

Besonders für jüngere Zuschauer dürfte die Serie auf den ersten Blick ein echter Schock sein. Schwarz-weiße Optik, 4:3 als Bildschirmformat, der lächerlich laute Laugh-Track im Hintergrund. WandaVision ist, zumindest in den ersten beiden Folgen, eine Sechzigerjahre-Sitcom-Hommage mit viel Liebe zum Detail. Das Pärchen zieht gemeinsam in das vorstädtliche Westview, um dort ein friedliches Leben, fernab der alltäglichen Superhelden-Schwierigkeiten zu leben.

Android Vision (Paul Bettany) und Hexe Wanda Maximoff (Elizabeth Olson) wollen im kleinen Örtchen Westview einfach nur ein ganz normales Leben führen – aber einiges scheint in der Idylle nicht zu stimmen.
Foto: Disney+

Das klingt im ersten Moment etwas fad, entpuppt sich aber schnell als Zünder für ein Feuerwerk der kreativen Ideen. Denn während Vision in einem herkömmlichen Bürojob arbeitet und die Produktion seither um rund 300 Prozent gestiegen ist ("Man könnte meinen, Sie sind eine Maschine, Vision." "Aber keinesfalls!"), wäscht Wanda als Hausfrau Geschirr freilich nicht von Hand, sondern lässt ihre magischen Kräfte spielen, um alles sauberzumachen und in die Kästen schweben zu lassen. Natürlich darf niemand aus der Nachbarschaft von den Kräften der beiden erfahren. Und wer sich schon immer einmal gefragt hat, was passiert, wenn Android Vision einen Kaugummi isst – auch das wird herrlich witzig erklärt.

Moment mal, werden sich jetzt wohl viele MCU-Fans denken: Vision ist doch schon in Avengers: Infinity War gestorben. Ja, das stimmt. Und auch das ist nicht die einzige Ungereimtheit im idyllischen Vorstadtleben des Pärchens. Plötzlich findet Wanda in ihrer schwarz-weißen Welt einen roten (!) Spielzeug-Hubschrauber, der das Symbol eines Schwerts trägt, das immer wieder auftaucht und wahrscheinlich nur Comic-Nerds etwas sagen wird. Die beiden vergessen, warum sie ein Herz in den Kalender eingetragen haben, obwohl Vision, wie er selbst sagt, unfähig ist zu vergessen. Sie können sich nicht einmal mehr erinnern, warum sie überhaupt nach Westview gezogen sind, als Visions Chef sie danach fragt.

In diesen Momenten kommt in WandaVision eine fast schon unheimliche Stimmung auf. Die besonders gut funktioniert, weil auch Wanda und Vision spüren, dass etwas nicht stimmt. Was für Stimmen hört Wanda aus dem Radio? Wieso schneidet der nette Nachbar mit der Heckenschere in die Gartenmauer? Und warum, zur Hölle, wird WandaVision in der dritten Folge zu einer Sitcom aus den 1970er-Jahren – samt Farbe, passenden Frisuren und Outfits –, obwohl laut den Charakteren nur einige Tage vergangen sind?

Das Schauspiel in Schwarz und Weiß hält nicht allzu lange.
Foto: Disney+

Fragen über Fragen, die auch so schnell nicht beantwortet werden, dafür aber Lust auf mehr machen. Und es ist nicht nur das, Elizabeth Olson und Paul Bettany scheinen sich in ihren Rollen außerhalb des Schlachtfelds pudelwohl zu fühlen. Die Dynamik der beiden tröstet über den Fakt hinweg, dass man die unwahrscheinliche Beziehung in den bisherigen Filmen sträflich vernachlässigt hat. Dabei hilft ihnen natürlich auch, dass die Dialoge toll geschrieben sind, verantwortlich dafür ist Jac Schaeffer, die auch den kommenden Black-Widow-Film mit Scarlett Johansson in der Hauptrolle schreibt. Auch die verschiedenen Set-Designs sind mit viel Liebe zum Detail gestaltet und den alten Sitcoms angepasst – wenn Vision mit seinem Nachbarn redet, steht in dessen Hintergrund nicht sein Haus, sondern lediglich eine bemalte Wand. Wenn sich die beiden einen Kuss geben, reagiert das imaginäre Publikum mit einem herzerwärmenden Seufzer darauf. Regisseur Matt Shakman (unter anderem Episoden von The Boys und Game of Thrones) hat einen guten Job gemacht, alte Sitcom-Stile einzufangen und seinen Schauspielern trotzdem genug Freiraum gelassen, um ihre Klasse unter Beweis zu stellen.

Marvel Entertainment

Die neunteilige Serie, die Folgen werden wöchentlich auf Disney+ erscheinen, macht Hoffnung auf die Serienoffensive des MCU. Denn der Vorwurf des Einheitsbreis, der den zig Filmen oft gemacht wird, zieht bei WandaVision nicht.

Serien in Serie

The Falcon and the Winter Soldier, Loki, Hawkeye, Ms. Marvel und, und, und. Gefühlt bekommt jeder Nebencharakter des MCU bald seine eigene Serie, und wenn diese den gleichen Anspruch an Originalität und Kreativität haben, wie die ersten Folgen von WandaVision versprechen, dann darf man sich nicht nur als MCU-Fan darauf freuen.

Wie praktisch, dass laut Branchenmagazin Deadline auch über eine Rückkehr von Steve Rogers aka Captain America (Chris Evans) gesprochen wird. Wohl eher nicht innerhalb eines gesamten Films, immerhin hat der First Avenger sein rühmliches Ende in Avengers: Endgame bekommen. Wahrscheinlicher sind dagegen Gastauftritte des alten Hasen, wie wir sie mit Tony Stark aus dem Tom-Holland-Spider-Man-Universum bereits kennen. Aber ob mit oder ohne Cap, Fans des MCU dürften in nächster Zeit auf ihre Disney+-Kosten kommen. (Thorben Pollerhof, 16.01.2021)

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