Südafrika im Lockdown. Abends ist kaum noch jemand auf den Straßen.

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In Südafrika hat sich ein neues Monsterwort breit gemacht. Es heißt "excess deaths", also Übersterblichkeit, und bezeichnet die Zahl der amtlich registrierten Sterbefälle eines Zeitraums, die über dessen sonst üblichem Durchschnitt liegt. Das neue Jahr hat am Kap der Guten Hoffnung mit einem historischen Rekord begonnen: In der ersten Woche 2021 wurden fast 11.000 Überschusstode gezählt. Mehr als doppelt so viele Südafrikaner wie sonst in einer Woche an natürlichen Ursachen sterben – gut 9.000 Menschen. Und davon starben 3.500 offiziell an den Folgen einer Covid-Erkrankung.

Die riesige Zahl macht deutlich, woran die ohnehin häufige Diagnose der Covid-Toten in Südafrika krankt: Die große Mehrheit der Pandemie-Opfer stirbt, ohne jemals als positiv diagnostiziert worden zu sein. Derzeit melden die Hospitäler des Landes einen Zustrom an Covid-19-Kranken, der selbst die erste Welle der Pandemie im vergangenen Juli in den Schatten stellt: Und dabei wird der Gipfel der Woge frühestens für Ende dieses Monats erwartet. Es sei damit zu rechnen, dass der Zenit der zweiten Welle um mehr als die Hälfte höher ausfalle als der erste, teilte Gesundheitsminister Zweli Mkhize mit.

Die Mutation zieht ihre Schneise

Schon jetzt werden in den Hospitälern des Landes die Betten, der Sauerstoff, aber vor allem die Pflegekräfte knapp. Im Verlauf des vergangenen Jahres steckten sich Tausende von ihnen mit dem Virus an, mehrere hundert starben. Dass die Zahl der Pandemie-Opfer derzeit rapide zunimmt, wird auf die mutierte Variante von Sars-CoV-2 – genannt 501.V2 – zurückgeführt: Sie soll wesentlich ansteckender sein. Vor allem macht sie, so jedenfalls die anekdotische Evidenz, auch jüngeren Erkrankten ohne Komorbiditäten zu schaffen.

Ein Hoffnungsschimmer könnten die Impfstoffe sein, sofern sie gegen die neue Variante ausreichend wirken. Die Frage wird gerade wissenschaftlich untersucht, eine Antwort soll es bald geben. Doch in jedem Fall werden die Südafrikaner noch lange warten müssen. Nicht wie andere afrikanische Staaten aus Geldnot, sondern aus Schluderei versäumte es die vom Afrikanischen Nationalkongress (ANC) geführte Regierung, sich rechtzeitig um Kontingente an Seren zu kümmern. Zunächst hatte sich Südafrika nur an dem von der WHO eingerichteten Fonds Covax beteiligt, dessen Impfstoffkontingente frühestens im April zur Verfügung stehen.

Hoffen auf die Impfung

Immerhin konnte sich Pretoria jüngst in Indien noch 1,5 Millionen Dosen des Oxforder Serums von Astra Zeneca sichern: Diese sollen in den nächsten zwei Monaten am Kap eintreffen. Da Astra Zenecas Wirkstoff, so wie die meisten Impfungen gegen Covid-19, zweimal verabreicht werden muss, um bis zu 90 Prozent sicher zu sein, reichen die 1,5 Millionen Dosen lediglich für 750.000 Menschen aus. Doch in Südafrika sind allein 1,25 Millionen medizinische Pflegekräfte beschäftigt, und die sollen in der Impfhierarchie der Regierung ganz oben auf der Liste stehen.

Um "Herdenimmunität" zu erreichen, müssen mindestens zwei Drittel der Bevölkerung geimpft sein, wollen Fachleute wissen: In Südafrika sind das vierzig Millionen Menschen. Mit der neuen, ansteckenderen Variante liegt diese Zahl womöglich noch höher. Bis es tatsächlich so weit sei, wird mindestens noch ein Jahr vergehen, wenden die Fachleute ein: genug Zeit für eine weitere Mutation des Virus, gegen die der Impfstoff dann womöglich wirkungslos ist. Trotzdem bereitet sich die Regierung derzeit auf eine historische Kampagne vor: In den nächsten zwölf Monaten sollen mehr als 6.300 hauptamtliche Impfer 40 Millionen Südafrikaner immunisieren, jeder 50 Menschen am Tag. Zumindest solange der Impfstoff nicht ausgeht. (Johannes Dieterich aus Johannesburg, 15.1.2021)