Der private Konsum ist in der Republik besonders stark eingebrochen. Eine Erklärung dafür sind die Lockdowns.

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Wäre die Weltwirtschaft ein Kreuzfahrtschiff, dann hätte Österreich die längste Zeit über einen sicheren Platz auf dem Sonnendeck gehabt. Selbst dann, wenn die See einmal rau wurde, schlug sich das Land besser als die meisten anderen Staaten. So war es nach der Jahrtausendwende, als eine Schockwelle, ausgelöst von der New Economy, die Weltwirtschaft erfasste. In Österreich fiel die Wachstumsdelle kleiner aus als in vielen anderen reichen Ländern.

So war es vor allem, als 2009 die Weltwirtschaftskrise eine dramatische Rezession auslöste. Im Vergleich mit den meisten anderen Ländern Europas war der Einbruch in Österreich moderat. Die Arbeitslosigkeit stieg unterdurchschnittlich an – die Krise kam viele andere Staaten teurer zu stehen.

Im Pandemiejahr 2020 hat sich etwas verändert. Noch gibt es für das erste Jahr der Corona-Krise keine abschließenden Rechnungen. Doch die jüngsten Zahlen von internationalen Organisationen und von Wirtschaftsforschern zeichnen ein recht klares Bild.

Österreich ist zwar nicht in einer der winzigen Innenkabinen des Kreuzfahrtschiffes gelandet – dort sitzen andere Staaten wie Italien oder Spanien. Sie hat die Krise schlimmer erwischt. Wohl aber musste die Republik in eine kleinere Kabine ohne Balkon übersiedeln. Zu den Top-Performern gehören wir nicht mehr – im Gegenteil.

Laut Industriestaatenorganisation OECD war der Wirtschaftseinbruch 2020 in Österreich stärker als im Schnitt der übrigen Euroländer. Laut Statistikbehörde Eurostat stieg die Arbeitslosigkeit in Österreich im Vergleich zum Ausgangsniveau stärker an als in der Eurozone und der EU. Sieht man sich Neuverschuldung an, dann gehört Österreich zu einer Gruppe von Staaten mit deutlichem Minus.

Starke Schweizer und Deutsche

Eklatant ist der Unterschied zu den Nachbarn Deutschland und Schweiz. Während die deutsche Wirtschaft im vergangenen Jahr fünf Prozent geschrumpft ist und es im Fall der Schweiz um die vier Prozent gewesen sein dürften, wird für Österreich ein Wert zwischen 7,3 (Wifo) und acht Prozent (OECD) erwartet.

Die Zahl der Arbeitslosen stieg in Österreich um 31,4 Prozent, in Deutschland waren es 21,6 Prozent. In Österreich waren Ende des Jahres rund 400.000 Menschen in Kurzarbeit, in Deutschland 666.000. Es gibt eine alte Faustregel, nach der das Verhältnis zwischen den beiden Ländern 1:10 ist. In der Pandemie scheint diese außer Kraft gesetzt.

Warum hat die Coronavirus-Krise dem Land so hart zugesetzt? Waren die Voraussetzungen ungünstiger, oder hat es auch etwas mit schlechtem Management der Regierung zu tun? Um diese Fragen zu beantworten, hat DER STANDARD mit Experten der Forschungsinstitute Wifo, IHS und des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel gesprochen, Fachleute der Industriellenvereinigung, Arbeiterkammer sowie der Universitäten Wien und Linz befragt.

Viele Erklärungsversuche

Für den starken Einbruch gibt es viele Erklärungsversuche. Fix eine große Rolle spielte der Tourismus. Österreich gehört zu den fünf Staaten Europas, in denen der Tourismus den größten Beitrag zur Wertschöpfung liefert, sagt der Ökonom Oliver Fritz vom Wifo. Der Anteil ist viel größer als etwa in der Schweiz und Deutschland. Das erklärt einen Teil der Differenz bei Wachstum wie Arbeitslosen.

Doch das ist nicht der einzige Grund. Die Entwicklung am Arbeitsmarkt war auch in anderen Bereichen miserabel, etwa im Handel und in der Industrie. Und schlecht waren nicht nur die Tourismuszahlen: Die Menschen in Österreich haben zurückhaltend Kleider, Schmuck und Autos gekauft. Der private Konsum ist in der Republik besonders stark eingebrochen.

Eine Erklärung dafür sind die Lockdowns. Österreich war im Herbst länger in einem Lockdown als Deutschland. Und die Schweiz hat 2020 mit Ausnahme einer Episode im Frühjahr das Land überhaupt nie voll heruntergefahren. Laut Wifo-Experte Stefan Schiman gibt es zwischen Lockdown-Intensität und Wirtschaftseinbruch einen Zusammenhang: Je mehr gesperrt ist, umso stärker das Minus. Aber das dürfte nicht alles sein.

Ökonom Lukas Sustala, der die Neos-Bildungsakademie leitet, macht auch die Auf-zu-auf-zu-Politik der türkis-grünen Regierung verantwortlich. Wenn Menschen und Unternehmen die Planbarkeit genommen wird, halten sie sich bei Ausgaben zurück, sagt Sustala.

Christian Helmenstein von der Industriellenvereinigung nennt Sport als weiteren Grund: Österreich ist bei sportbezogener Wertschöpfung Europameister. Nirgendwo sonst wird so viel in Sportartikel investiert. Das liegt unter anderem an der Skiindustrie. Für heimische Produzenten wie Atomic und Blizzard war 2020 kein gutes Jahr. Auch die schwer getroffene Kultur- und Freizeitindustrie spielt in Österreich eine größere Rolle als in vielen anderen Ländern.

Wirkung der Hilfen als Blackbox

Ein weiterer Faktor war schließlich der öffentliche Konsum, also Ausgaben für die Gehälter von Lehrerinnen, Müllmännern oder Kosten für Dienstlaptops. Die staatlichen Konsumausgaben sind 2020 in Deutschland sechsmal stärker gestiegen als in Österreich, zeigen vorläufige Berechnungen. Warum diese große Differenz herrscht, ist noch unklar.

Tourismus, Lockdowns, Unsicherheit, Betroffenheit bei Sport und Kultur, öffentlicher Konsum: So lauten einige Erklärungen für den Absturz der Wirtschaft in Österreich.

Deren exakte Effekte kann derzeit niemand beziffern. Studien gibt es bisher nämlich nicht. Auch echte Wirkungsanalysen zu den heimischen Rettungsmilliarden fehlen. Das ist besonders bemerkenswert: Noch nie hat Österreich so viel Geld mobilisiert, um seine Wirtschaft zu retten. Aber mit Ausnahme einer Untersuchung von IHS, Wifo und dem Institut Eco-Austria zu Teilaspekten der Rettungsmilliarden aus dem September, liegt nichts vor. Es ist auch wenig dazu geplant.

Das Wifo arbeitet an zwei Studien. Diese berücksichtigen aber nur Teilaspekte der Maßnahmen. Mehr hat die Bundesregierung nicht beauftragt. Österreichs Milliardenausgaben sind eine Blackbox. Warum manche Chefökonomen der Regierungsstrategie dennoch bereits öffentlich die Note "eins" gaben, ist unter diesem Lichte ein Rätsel.

Was genau hat sich das Land erkauft?

Sicher ist, dass Österreich viel ausgegeben hat für Hilfen, rund 22 Milliarden Euro bisher. "Das Land war generöser als Deutschland", sagt Gabriel Felbermayr vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Österreichs Defizit ist so stark gestiegen, dass die Entwicklung jener in Italien eher ähnelt als jener in Deutschland oder der Schweiz. Das allein ist noch kein Drama. Denn die Zinsen sind niedrig.

Auch machen sich bei den Kosten nicht nur Hilfen bemerkbar. Wenn mehr Menschen ihren Job verlieren, muss der Staat automatisch mehr Arbeitslosengeld zahlen. Weil der Einbruch heftig war, sind die Steuereinnahmen stärker zurückgegangen.

Doch bleibt es angesichts der schlechten Wirtschaftsentwicklung 2020 fraglich, was Österreich sich genau erkauft hat? Zudem sind die jüngsten Prognosen für 2021 nicht schlecht für Österreich. Aber eben auch nicht besonders rosig im europäischen Vergleich.

Gab es also viele Milliarden für wenig Wirkung? Manche Instrumente stehen mehr in Kritik als andere. Die Kurzarbeit war zum Beispiel teuer, dürfte aber ein schlimmeres Drama am Arbeitsmarkt verhindert haben.

Pauschal entschädigt

Die Senkung der Einkommenssteuer im vergangenen Jahr hat dagegen den Konsum allein schon deshalb nicht belebt, weil Geschäfte lange geschlossen waren. Außerdem wurden Gutverdiener stärker entlastet, die viel sparen. Zweifel gibt es auch am Umsatzersatz. Unternehmen im Lockdown wurden im November bis zu 80 und im Dezember bis zu 50 Prozent ihrer Umsätze ersetzt. 2,36 Milliarden wurden schon ausbezahlt.

Entschädigt wurde pauschal: Ob ein Restaurant erfolgreich im Lockdown ein Take-away-Modell aufgebaut hat oder zusperrte, spielte dabei keine Rolle. Alle bekamen die gleichen Ersatzraten. Diese Ausgestaltung könnte Betriebe in Inaktivität getrieben haben. "Ich frage mich, ob Unternehmen stärker versucht hätten, sich umzuorientieren, wenn der Ersatz weniger pauschal ausbezahlt worden wäre", sagt Martin Halla von der Johannes-Kepler-Uni in Linz.

Noch ist die Pandemie nicht vorbei. In wenigen Monaten könnte die Rechnung anders aussehen. Doch aktuell steht Österreich schlechter als gewohnt da, und die bisherige Strategie wirft Fragen auf. Die Wirkungen der Hilfen müssten rasch untersucht werden, sagt Volkswirt Paul Pichler: "Allein schon, um auf die nächste Krise vorbereitet zu sein."

Irgendwann will Österreich ja wieder auf dem Sonnendeck Platz nehmen. (András Szigetvari, 16.1.2021)