Im Objekt "Reflecting Oil" von Ernst Logar können sich Betrachter in einer von Erdöl durchströmten Plexiglasfläche spiegeln.
Foto: Ernst Logar

Kaum eine Substanz scheidet die Geister so sehr wie Erdöl. Den einen gilt es als Indikator für einen brummenden Wirtschaftsmotor, für Aufschwung und Wohlstand. Für andere ist es der Inbegriff des Übels der Klimakrise und der kurzsichtigen, rücksichtslosen Ausbeutung der natürlichen Ressourcen. Jahrmillionen müssen vergehen, bis sich abgestorbene Meereskleinstlebewesen zum oft schwarzen, manchmal auch gelben oder roten Stoffgemisch umgewandelt haben. Den Menschen seit Jahrtausenden bekannt, wurde Erdöl bereits im Alten Orient genutzt – etwa als Brennstoff. Seit rund 100 Jahren ist das sogenannte schwarze Gold der wichtigste Rohstoff der Industriegesellschaft: als Energieträger ebenso wie als Ausgangsstoff für Kunststoffe oder Medikamente.

Corona sei Dank ist der Verbrauch von Erdöl im vergangenen Jahr stagniert. Die Internationale Energieagentur rechnet für 2020 mit einem Rückgang von rund neun Prozent gegenüber dem Jahr davor. Für heuer wird wieder ein sattes Plus prognostiziert, womit sich der tägliche weltweite Verbrauch wieder an die 100 Millionen Barrel, die im Schnitt 2019 verbraucht wurden, annähern wird.

Schwarzes Spiegelbild

Doch trotz seiner allgegenwärtigen Präsenz ist Erdöl für viele nur ein abstraktiver Begriff, sagt Ernst Logar. Vor einigen Jahren hat er sich in einer künstlerischen Arbeit mit Erdöl beschäftigt: Der Betrachter oder die Betrachterin konnte sich selbst in zwischen Plexiglasplatten fließendem Erdöl spiegeln.

"Die unmittelbare Erfahrung mit dieser Substanz, der taktile und haptische Eindruck, war sehr prägend für mich", sagt Logar. Dadurch wurde die künstlerische Arbeit Reflecting Oil Ausgangspunkt für ein gleichnamiges Forschungsprojekt, das er nun gefördert mit dem Programm zur Entwicklung und Erschließung der Künste (PEEK) des Wissenschaftsfonds FWF durchführt. Die Forschungsstätte des Projekts ist die Abteilung für Ortsbezogene Kunst der Universität für angewandte Kunst Wien, zu den Kooperationspartnern zählen die Montanuniversität Leoben sowie die Petrocultures Research Group der Universty of Alberta.

Für Logar ist Petrokultur ein Schlüsselbegriff des Projekts. "Wir wollen versuchen, in Experimenten die Petrokultur zu erklären und einen Bezug zur Substanz Erdöl herzustellen und sie kulturell und holistisch zu reflektieren", sagt Logar. Das Ziel ist, mithilfe künstlerischer Methoden kulturelle Bezüge zum Rohstoff Erdöl freizulegen. Dabei kann es sich beispielsweise um die künstlerische Veränderung von Experimenten handeln, die herkömmlicherweise in der Petrochemie durchgeführt werden.

Im Projekt Reflecting Oil werden wissenschaftliche Experimente mit Erdöl durchgeführt – und mit künstlerischen Mitteln variiert.
Foto: Ernst Logar

Forschung ohne Labor

Dabei ist es Logar auch ein Anliegen, "den Kontext des wissenschaftlichen Labors zu hinterfragen" und stattdessen andere "Erkenntnisräume" zu schaffen. "Der Laborraum gibt aufgrund des Settings ein gewisses Denken vor. Wir versuchen, diesen Laborraum mit künstlerischen Mitteln aufzubrechen, und schauen, was passiert, wenn wir ein Experiment in die Natur verlegen", sagt Logar. Dadurch würden sich auch neue Einsichten für die beteiligten Naturwissenschafter ergeben, "da sie nur das Setting des Labors kennen".

Insgesamt soll Erdöl im Projekt Reflecting Oil einer interdisziplinären Analyse unterzogen werden. "Bei Erdöl sind vorwiegend physikalische und chemische Parameter präsent", sagt Logar, "aber der sinnliche Zugang wird total vernachlässigt: der Geruch, die visuelle Wahrnehmung, das Taktile, die Toxizität".

Da Reflecting Oil einen "holistischen Ansatz" verfolgt, ist Fritjof Capra für das Projekt ein wesentlicher Theoretiker. 1939 in Wien geboren, promovierte er 1966 an der Universität Wien in theoretischer Physik. Seit 1968 forschte er hauptsächlich in Kalifornien, wo er bis heute lebt. Mit seinem 1975 erschienenen Buch "Das Tao der Physik", in dem er Parallelen zwischen Quantenphysik und östlicher Mystik herausarbeitete, wurde er einer größeren Öffentlichkeit bekannt. Bestrebt vom Versuch, die cartesianische Trennung von Geist und Körper zu überwinden, verfolgt Capra einen systemischen Ansatz. Ökologische Fragen sind in den vergangenen Jahren ins Zentrum seiner Aufmerksamkeit gerückt. So zeigte Capra umweltfreundliche Alternativen zum westlichen Lebensstil auf.

Ausgehend von der Beschäftigung mit Erdöl will das interdisziplinäre Team aus Künstlern und Wissenschaftern auch alternative Energieträger aufzeigen.
Foto: Ernst Logar

Nachhaltige Energiewende

Wie der Übergang von Erdöl zu erneuerbaren Energieträgern funktionieren kann, soll auch im Projekt Reflecting Oil diskutiert werden. "Erdöl wird uns noch länger begleiten", sagt Logar, "ohne diese Substanz werden wir die Transformation, die auf anderen Energieträgern basiert, nicht schaffen".

Um die Energiewende meistern zu können, bedarf es laut Logar eines Bewusstseins dafür, wie Erdöl unsere Gesellschaft geformt hat und bis heute formt. "Von meiner Warte aus hat diese Diskussion noch nicht stattgefunden. Es wurde in unserer Gesellschaft völlig vernachlässigt, es aus dieser Perspektive zu betrachten." Es mangle bei Konsumenten auch an Wissen, wie viel Biomasse und Zeit es bedarf, um einen Liter Erdöl zu erzeugen. (Es sind circa 25 Tonnen, die sich über Millionen von Jahren durch Druck und Hitze zu Erdöl umgewandelt haben.) Grundlegendes Wissen über Erdöl sei die Basis für die Energiewende, "doch über Alternativen muss man jetzt nachdenken und diese rasch umsetzen, um die notwendigen Klimaziele zu erreichen".

Für den Herbst dieses Jahres ist ein Kolloquium geplant, bei dem Erdöl interdisziplinär beleuchtet werden soll. Sobald die Reisebeschränkungen gefallen sind, will Logar seine Recherchereisen fortsetzen, die ihn entlang der Produktionskette der Erdölindustrie führen: vom Erdölreservoir bis zur Tankstelle. Wenn Corona wieder in den Hintergrund gerückt ist, wird an diesen Produktionsstätten wohl oder übel wieder emsige Betriebsamkeit wie in Zeiten vor der Krise herrschen. (Tanja Traxler, 13.1.2021)