"Sätze wie 'Mitarbeitermotivation anhand der Winterbereifung' schreien geradezu danach, Diplomarbeiten per se nicht ernst zu nehmen", findet der Schriftsteller Tex Rubinowitz im Gastkommentar. Lesen Sie dazu auch "Plagiate und andere akademische Peinlichkeiten" von Bildungswissenschafter Josef Christian Aigner.

Christine Aschbacher im Porträt: Fettnäpfchen und wenig Durchschlagskraft
Illustration: Felix Grütsch

Ich gehe mal davon aus, dass Christine Aschbachers dadaistische Dissertation ein Kunstprojekt ist, mit subversiven Methoden zu einem Abschluss zu kommen, der sie im Grunde genommen gar nicht interessiert, denn wer braucht heute noch einen Titel, außer er oder sie hat ein massives Minderwertigkeitsproblem.

Sätze wie "Mitarbeitermotivation anhand der Winterbereifung" schreien ja geradezu danach, Diplomarbeiten per se nicht ernst zu nehmen. Ein hierarchisches System, das auf Titel baut, die man mit furchtbar langweiligen Themen bekommt, die niemand liest, sollte man meinen, ist nicht nur längst abgelaufen, sondern auch peinlich, jemanden zurechtzuweisen, um irgendetwas zu erreichen, eine Tür zu öffnen oder ein Stockwerk in der Karriere höher zu fahren mit: "Für Sie immer noch Frau DOKTOR Aschbacher", das würde man allenfalls in einer Satire aus den Fünfzigerjahren vermuten, aber offenbar gibt es das immer noch, und weil es das gibt, müssen Dissertationen geschrieben, Themen gefunden und das Zeug gelesen und beurteilt werden. Aber in der Regel wird das ja scheinbar so durchgewunken, unbesehen.

"Ständig wurde und wird getrickst, abgeschrieben, plagiiert, es kommt auf den Trick an, davon abzulenken."

Frau "Doktor" Aschbacher ist also bekanntermaßen über ihre eigene Eitelkeit und ungeschickte Geltungssucht gestolpert, vermutlich büßt sie jetzt, sie wird noch ein bisschen büßen müssen, denn wenn jemand gefallen ist, ist er oder sie ein noch idealeres Opfer in niederträchtigen Gesellschaften, weil er oder sie sich nicht mehr wehren kann, alles ist bewiesen, und die Häme ist ein rostiges Messer, gegen das sie jetzt machtlos ist.

Ich will sie nicht in Schutz nehmen, dazu kenne ich sie nicht, nicht ihre Agenda, nicht ihren kuriosen Text, das ist mir auch alles egal, ich bin viel zu müde, um mich aufzuregen, am Ende ist sie ein Mensch, und mir scheint sie nicht ansatzweise so skrupellos wie andere, die sich mit ähnlichen Tricks Geltung verschafft haben oder zu verschaffen versuchen und damit durchkommen. Ich bin sehr sicher, dass ständig getrickst, abgeschrieben, plagiiert wurde und wird, es kommt eben nur auf das Management des Diebstahls an und den Trick, davon abzulenken.

Ungare Gedanken

Was ist geistiges Eigentum, wo fängt es an, klar, bei Ideen, aber sind Formulierungen, Sätze, einzelne Worte schon Plagiate? Ich höre und lese ununterbrochen Satzbausteine, die so klingen, als hätte man schnell mal bei Wikipedia nachgeschlagen, was eigentlich ein "Wirsingborg" ist und wer dieses Wort in welchem Zusammenhang verwendet hat, und ob Jimi Hendrix wirklich gesagt haben soll: "Ich wasche meine Haare grundsätzlich in der Waschmaschine".

Kein Mensch kann das alles wissen, deswegen gibt’s das Internet, irgendwo kann man immer nachschlagen, man schreibt das ab, kopiert und fügt ein, natürlich muss das umformuliert werden, und man bildet sich ein, er oder sie hätte schon immer gewusst, was "Boofing" ist, bitte nicht googeln, es führt zu unerfreulichen Informationen, die nur das Gehirn verkleben oder in einer Dissertation "interessant" klingen oder auf einer Party mit lauter Langeweilern mit lauwarmem Dosenbier. Und so stellt man sich all die Dissertationen vor, kein Mensch will die lesen, ich schätze, in solchen Publikationen stehen zu 98 Prozent langweilige, aus anderen Quellen ab- und umgeschriebene Informationen, mühsam zusammengehalten von eigenen, ungaren Gedanken. Ich will jetzt nicht meinen Zahnarzt Dr. Friedrich diskreditieren, der über Teratome dissertiert hat, also Zahnrudimente mit Haaren, rückgebildete Embryos, Keimmaterial, das da im Körper irgendwie liegen bleibt und nicht abgeholt (weiterentwickelt) wird.

Pakistanische Spatzen

Der STANDARD-Redakteur Karl Fluch hat mich vor einigen Jahren mal interviewt zum Künstler Francis Picabia. Ich tat so, als wäre ich ein Auskenner, erzählte ihm so dies und das, er schrieb interessiert mit, dann gingen wir wieder unserer Wege, kurz drauf mailte er mir: "Das war ja totaler Quatsch, was du mir da gerade erzählt hast, warum hast du denn nicht zugegeben, dass du keine Ahnung hast?" Ich schrieb dann zurück: "Du hast es doch gerne gehört, es klang plausibel für dich, und für mich in dem Moment auch, in meiner Welt stimmt es eben, jede Lüge schafft ihre Parallelwelt, in der sie wahr wird." Die Methode heißt "Unzuverlässiges Erzählen", dieses Erzählen muss nur glaubwürdig und geschickt vertreten werden, etwas, wozu Frau Aschbacher offenbar nicht in der Lage war, ihre Eitelkeit verhinderte das wohl.

Ich selbst wurde schon plagiiert, weide mich aber daran, dass der mich Plagiierende das weiß und immer ein schlechtes Gewissen hat, werde ihn darauf aber nicht ansprechen. Und ich habe plagiiert, ich habe abgeschrieben, aus Wikipedia, in meinem Roman Irma stehen ein paar Sätze, zum Beispiel über Spatzen ("Spatzen sind Standvögel, in wenigen Regionen der Welt, beispielsweise Pakistan, können sie auch auf kurze Distanzen ziehen"). Irgendein "Wirsingborg", der im Internet wohnt, hat meinen Roman auf solche Stellen abgesucht, um mich zu diskreditieren, es sollte so aussehen, als hätte ich keine eigenen Ideen, es hat ihm Lust bereitet, mir wehtun, und vielleicht hab ich ja auch keine Ideen, ich weiß nicht mal, wer Francis Picabia ist und dass es in Pakistan Spatzen gibt, die Zugvögel sind.

Die Rechteabteilung meines Verlags hat mich beruhigt, ich hätte nichts zu befürchten, ich fühlte mich aber dennoch verletzt. Der Vorwurf des Abschreibers klebt jetzt an mir wie etwas Hässliches unterm Schuh. Dass dieses Hässliche der kleine Mann aus dem Internet ist, ist wenig tröstlich. Und dieser Text wird für Christine Aschbacher auch wenig tröstlich sein. Hätte sie doch nur über Spatzen und "Boofing" dissertiert. (Tex Rubinowitz, 17.1.2021)