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Mike Lindell auf dem Weg zum Oval Office.

Foto: Reuters / Erin Scott

"...wenn nötig Kriegsrecht beim ersten Anzeichen von..." Die Passage, ist auf einem Zettel zu lesen, mit dem am Freitagabend ein Freund von US-Präsident Donald Trump vor dem Oval Office fotografiert wurde. Die Frage, was der hauptberufliche Polsterfabrikant aus Minnesota, Mike Lindell, dort damit wollte, beschäftigte in Folge Beobachter der US-Politik. Nur rund eine Woche nach dem gewaltsamen Sturm rechtsradikaler Trump-Anhänger auf das Kapitol hatte der Präsident ganz offensichtlich erneut einen Freund im Weißen Haus empfangen, der mit ihm– so geht jedenfalls aus den bekannten Passagen des Papiers hervor – über weitreichende politisch-militärische Maßnahmen und über einen Einsatz des Militärs im Innern diskutieren wollte.

Worüber genau Lindell dann wirklich mit Trump gesprochen hat, und wozu das Papier gedacht war, war auch am Samstag noch nicht in Erfahrung zu bringen. Dass es überhaupt bekannt wurde, ist dem "Washington Post"-Fotografen Jabin Botsford zu verdanken, der Lindell auf dem Weg ins Weiße Haus fotografierte. Er vergrößerte anschließend die Aufnahme und entdeckte die Passagen. Maggie Haberman, die auf die Vorgänge im Inneren der Trump-Regierung spezialisierte Reporterin der "New York Times", meldete später via Twitter, Lindell habe sich nur kurz und in Anwesenheit des Nationalen Sicherheitsberaters Robert O'Brien mit Trump unterhalten. Anschließend sei er zu Trumps Rechtsberater Pat Cipollone gebracht worden, den ihn allerdings ebenfalls nicht lange angehört habe. Lindell selbst sagte nach dem Treffen, er sei von "Trumps Anwalt" nur "sehr desinteressiert" behandelt worden.

"...unmittelbar ergreifen ... um die Verfassung zu retten..."

Zum Grund seines Besuches sagte Lindell nur, er habe Trump Papiere "eines Anwalts" übergeben wollen, den er allerdings nicht namentlich nannte. Zudem habe er dem Präsidenten ein Dokument gereicht, das belege, dass dieser die Wahlen im November mit einem Abstand von 11 Millionen Stimmen gewonnen habe. Wegen Hackerangriffen aus China, dem Iran, Russland, Deutschland und anderen Staaten seien falsche Ergebnisse in wichtigen Swing States errechnet worden. Lindell stellte Teile dieses Papiers später dem "Washington Post"-Reporter Josh Dawsey zur Verfügung. Er habe diese Informationen Trump deshalb persönlich überbringen wollen, weil dieser selbst ja wegen seiner Sperre "nicht Twitter lesen" könne.

Zum anderen Zettel, mit dem er fotografiert worden war, sagte Lindell nichts. Von "Kriegsrecht" sei jedenfalls nirgendwo die Rede gewesen, erklärte er CNN-Reporter Jim Acosta – obwohl das Wort eindeutig auf dem Papier zu lesen ist. Das und anderes. Etwa der in Sperrschrift gehaltene Titel "...unmittelbar zu ergreifen um (....) die Verfassung (...) zu retten" sowie "...jetzt den Insurrection Act wegen des Angriffes ausrufen..." – das ist ein Aufstandsgesetz, das dem Präsidenten etwa das Recht gibt, das Militär im Inneren einzusetzen. Zudem solle man "klar machen, dass es China/Iran waren (...) und auch heimische Akteure benützt wurden".

Außerdem stehen auf dem Papier offenbar Personalvorschläge. Unter anderem solle Kash Patel, bisher Stabschef im Verteidigungsministerium, zum kommissarischen CIA-Chef gemacht werden. Dieser war einst Stabschef des rechten Abgeordneten Davin Nunes und gilt als besonders ambitionierter Trump-Anhänger.

Ab in die Rechtsabteilung

Wieso Lindell überhaupt zum Präsidenten vorgelassen wurde, ist unsicher. Der Chef des mittelständischen Unternehmens MyPillow gilt als Vertreter des besonders verschwörungstheoretischen Flügels unter den Trump-Anhängern. Immer wieder ist der einst schwer Drogenabhängige, der sich durch Gebet von der Sucht befreit haben, und im Traum den Einfall für sein Polster-Imperium erfahren haben will, mit seinen Werbespots in Sendepausen von Fox News aufgetreten. Zuletzt war er auch als Interviewpartner des rechten TV-Senders Newsmax gefragt, wo er die Legitimität des Wahlergebnisses in Zweifel zog. Einen Tag nach dem Sturm auf das Kapitol postet er auf Facebook, man solle "nicht in Sorge sein", Trump werde vier weitere Jahre im Amt bleiben. Selbst plant er bei den nächsten Wahlen zum Gouverneur von Minnesota 2022 anzutreten.

Nach Angaben von "New York Times"-Reporterin Haberman, die sich auf zwei anonyme Quellen stützt, soll Sicherheitsberater O'Brien von Trump-Mitarbeitern herbeigerufen worden sein, als klar wurde, dass Lindell mit Trump ansonsten allein wäre. O'Brien soll dann dafür plädiert haben, der Polsterfabrikant möge seine juristischen Vorschläge nicht Trump, sondern der Rechtsabteilung unterbreiten. Er habe ihn dann dorthin geführt. Das Treffen sei hitzig verlaufen. Auf den Papieren, die Lindell mitführte, wird dem Bericht nach sowohl die Entlassung O'Briens als auch jene von Rechtsberater Cipollone gefordert.

In Washington laufen derweil weiter die Vorbereitungen auf die Angelobung Bidens am Mittwoch. Angesichts der geplanten Proteste – einige davon sollten auch schon am Sonntag stattfinden – sind mittlerweile rund 20.000 Soldaten der Nationalgarde im Einsatz. Am Tag der Angelobung sollen weite Teile Washington D.C.s vollständig gesperrt, und weitere Straßenzüge nur Anwohnern vorbehalten bleiben. Auch für die folgenden Wochen und Monate stellt man sich auf verstärkte Sicherheitsvorkehrungen ein. Das Medienportal McClatchy stellt in einem Online-Text gar die Möglichkeit in den Raum, die nun errichteten Absperrungszäune rund um den Sitz der amerikanischen Demokratie könnten dauerhaft im Einsatz bleiben.

Mehrere Fluglinien haben mit Blick auf die Angelobung das Einchecken von Waffen im Gepäck untersagt, darunter Delta, American Airlines, United, Southwest und Alaska Airlines. Zuvor hatte es bereits Meldungen gegeben, wonach entsprechende Buchungen in den vergangenen Tagen zugenommen hatten.

Neue Richtung für die Republikaner?

Trump selbst hat unterdessen ein neues Umfrage-Tief erreicht. Laut dem Institut Pew Reseach liegt seine Zustimmungsrate nun nur noch bei 29 Prozent, was einem Minus von neun Punkten im Vergleich zur letzten Umfrage im Herbst entspricht. Er ist auch unter Republikanern abgerutscht, die sein Verhalten nun nur noch zu 60 Prozent befürworten. Zuletzt waren es 77 Prozent gewesen. Noch immer glauben allerdings 64 Prozent der Republikaner, der Amtsinhaber habe die Wahl "definitiv oder wahrscheinlich" gewonnen – eine Meinung, die insgesamt 33 Prozent der Befragten haben.

Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt auch eine Erhebung des TV-Senders ABC. Demnach glauben 31 Prozent der Teilnehmer, es gebe "stichhaltige Belege" für Wahlfälschungen, 62 Prozent lehnen die Aussage ab. Was die Republikanische Partei betrifft, so hoffen 69 Prozent der Befragten, diese möge in den kommenden Monaten "eine neue Richtung einschlagen". Allerdings: Unter den Republikanern selbst findet das nur ein Drittel. 60 Prozent hingegen sind weiter der Ansicht, man solle "Trump folgen". (Manuel Escher, 16.1.2021)