"Es wird gesagt, Demokratie ist die schlechteste Regierungsform – mit Ausnahme aller anderen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert wurden." Mit diesen Worten hat der ehemalige britische Premier Winston Churchill 1947 ein ihm fälschlicherweise zugeschriebenes Zitat bekannt gemacht. Während unklar ist, von wem er diese Worte entlehnt hat, ist es inhaltlich auch heute noch gültig. Das zeigen auch die jüngeren Ereignisse in den USA, wo ein seit Monaten vom scheidenden Präsidenten Donald Trump aufgestachelter Mob das Kapitol stürmte, um die Zertifizierung der Wahlpersonen-Stimmen zu verhindern, mit welcher der Wahlsieg von Joe Biden endgültig formalisiert wurde.

Die Mühle und Mühlen der Demokratie sind auch immer wieder Vorlage für das Nischengenre der Politiksimulatoren. Ein solcher ist auch Democracy 4 des britischen Indiestudios Positech Games. Es ist der, wie der Name bereits verrät, mittlerweile vierte Teil der Reihe und seit Anfang Oktober 2020 im Early Access auf Steam für Windows verfügbar. DER STANDARD hat sich an den Regierungsgeschicken in den USA und Deutschland versucht.

Cliff Harris

Zwei oder drei Parteien

Eines vorweg: Was Democracy 4 zumindest bisher nicht ist, ist ein Wahlkampfsimulator. Zwar gibt es spezifische Optionen für Imagekampagnen und Wahlversprechen, speziell im letzten Jahr einer Amtszeit, diese sind aber vergleichsweise rudimentär ausgeprägt. Das Game versetzt den Spieler in die Rolle des Regierungschefs, der so eben mit absoluter Mehrheit die letzte Wahl gewonnen und somit für die nächste Legislaturperiode weitestgehend freie Hand hat, um seine Politik umzusetzen.

Die politische Landschaft besteht entweder aus zwei Parteien, um etwa das US-System grob zu simulieren, oder drei, stellvertretend für alle Mehrparteiensysteme. Wahlen werden stets nach Stimmanteil entschieden, das Spiel endet, wenn man nicht die relative der absolute Mehrheit erreicht. In ersterem Fall muss man sich allerdings mit eingeschränkten Möglichkeiten im Rahmen einer Koalitionsregierung zufrieden geben.

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Vielschichtige Wählerschaft

Derzeit steht eine Reihe an größeren Ländern als möglicher Ort des Geschehens bereit, die alle unterschiedliche Ausgangslagen mitbringen, die allerdings nicht immer der Realität nachempfunden zu sein scheinen. So plagen sich sowohl Deutschland, als auch die USA etwa im Gesundheitssektor mit Übergewichtigkeit vieler Bürger und in Sachen Sicherheit mit hoher Kriminalität. Entwicklungen, die dauerhaft besonders negativ oder positiv sind, gelten als laufende "Situation", das sich auf diverse Aspekte des politischen Lebens und die Zufriedenheit der verschiedenen politischen Gruppen auswirkt.

Die Wählerschaft ist aufgeteilt in eine Reihe teils überlappender und teils sich ausschließender Gruppierungen. Diese Reichen von der groben Einteilung in "Konservative" und "Liberale" über Einkommens- und Altersgruppen bis hin zu wichtigen persönlichen Identifikationsgruppen, beispielsweise Autofahrer, Eltern und Umweltschützer. Die Wähler gehören jeweils mehreren davon an, ihre Wahlentscheidung hängt demnach auch nicht an nur einem Aspekt.

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Beeinflusst wird die allgemeine Stimmung, das Wohlbefinden der verschiedenen Gruppen und die Entwicklung politischer Bedürfnisse auch von externen Faktoren, wie der Weltwirtschaftslage oder zufälligen Ereignissen. Und ja, dazu zählt auch ein sich rapide verbreitendes Virus, dessen Folgen aber wesentlich harmloser sind, als jene der realen SARS-CoV-2-Pandemie. Immer wieder muss man auch grundlegende Entscheidungen treffen und festlegen, ob man etwa den Anbau gentechnisch veränderter Nutzpflanzen zulassen oder einer Reihe von per Schleppern ins Land gekommenen Flüchtlingen den Aufenthalt gewähren will.

Komplexe Wählerlandschaft

Einmal im Amt angekommen, stehen einem eine Vielzahl an Rädchen zur Verfügung, an denen man im Vierteljahrestakt drehen kann. So kann man bestehende Policies, von Steuersätzen über Förderungen und spezifischen medizinischen und gesellschaftspolitischen Regelungen (beispielsweise Todesstrafe oder Abtreibung) zurückfahren, verschärfen oder ganz kübeln. Oder eine Reihe neuer Programme und Regelungen einführen.

Das Spiel zeigt dabei auch, was Maßnahmen kosten oder erwirtschaften, welche Gruppen auf welche Änderung wie reagieren und wie groß der Prozentsatz der Bevölkerung ist, der eine neue Maßnahme befürwortet. Je nachdem, was man tun möchte, muss man unterschiedlich viel "politisches Kapital" (vergleichbar mit Aktionspunkten) investieren. Deren Anzahl speist sich unter anderem aus der Effektivität der eigenen Minister. Ein kleines Polster kann von einem Quartal ins nächste mitgenommen werden.

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Wer nun denkt, es reicht, einfach mit der Gießkanne gezielt die Interessen der größten Wählergruppen zu bedienen, reicht, gibt nicht nur jeglichen gestalterischen Anspruch auf, sondern liegt auch falsch. Denn wie bereits erwähnt, stimmen die Wähler nicht zwingend gemäß der größten Gruppe ab, der sie angehören. Es ist nicht (verlässlich) möglich, Wahlen zu gewinnen, in dem man etwa ausschließlich liberale oder konservative – je nachdem, welche Gruppe größer ist – bedient.

Hinzu kommt, dass die Minister im eigenen Kabinett jeweils auf zwei Wählersegmente setzen und einem schon einmal die Rute ins Fenster stellen, wenn deren kombinierte Zufriedenheit dauerhaft zu niedrig liegt. Dem kann man mit der Umsetzung verlangter Maßnahmen oder einem Personalaustausch begegnen, was mitunter sinnvoll ist, da die Minister mit fortlaufender Amtszeit effektiver arbeiten.

Das – und die gesellschaftlichen Verhältnisse – machen manche Zugeständnisse fast unumgänglich. Das heißt beispielsweise auch, dass es etwa in den USA sehr schwer ist, Wahlen zu gewinnen, wenn man ständig Maßnahmen beschließt, die die "Kapitalisten" verärgern. Denn diese sind im Verhältnis zu "Sozialisten" oder "Gewerkschaftern" klar in der Mehrheit, während diese Gruppen in Deutschland deutlich anders verteilt sind.

Jedes Land hat seine "Formel"

Mit der eigenen Politik kann man die gesellschaftlichen Verhältnisse auch ändern, mitunter auch viel schneller, als es wohl realistisch ist. Wer etwa den religiösen Einfluss zurückdrängen will, kann etwa die Förderung religiöse Schulen zurückfahren oder Streichen, Technologie fördern und die Bildung säkularisieren. Wem die andere Richtung lieber ist, kann hingegen verpflichtende Schulgebete, Religionssteuern einführen oder gar eine Staatsreligion ausrufen.

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Obwohl jede Maßnahme unterschiedlich lange braucht, um volle Wirkung zu entfalten, lassen sich hier die gesellschaftlichen Verhältnisse teilweise so umkrempeln, dass weitere Wahlsiege immer einfacher werden. Dazu gibt es manche Policies, deren hohe Effektivität sehr weit hergeholt scheint. Schraubt man etwa das Polizeibudget massiv hoch, so entledigt man sich – zumindest im Standard-Schwierigkeitsgrad – praktisch garantiert aller Probleme mit Kriminalität und "antisozialen Verhaltens". Und hat man neben diesem einmal die wichtigsten paar großen "Hebel" für ein Land herausgefunden, kann man mit Wahlsiegen jenseits der 90% Stimmanteil praktisch ad infinitum regieren und dabei Politik nach eigenem Geschmack betrieben, sofern dem nicht eine – allerdings abschaffbare – Amtszeitbeschränkung entgegen steht.

Hat man die "Formel" also heraus, sollte man beim nächsten Anlauf den Schwierigkeitsgrad deutlich erhöhen und/oder die eigene Ausgangslage erschweren, in dem man etwa den "inneren Konservatismus" des Landes vor dem Start hinaufschraubt und trotzdem versucht, mit progressiver Politik an der Macht zu bleiben.

Bis dahin erlebt man aber den einen oder anderen Fehlversuch. Im Rahmen dieses Tests endeten die ersten vier Anläufe, die USA zu regieren, dank erfolgreichen Attentaten vorzeitig. Einmal schlugen radikale Umweltschützer, drei Mal evangelikale Extremisten zu. Eine schnelle Erhöhung des Polizeietats und diverse Umweltmaßnahmen zeigten sich als Schlüssel zur Abwehr derlei Bedrohungen.

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Spannende Spielwiese

Grafisch und akustisch präsentiert sich Democracy 4 eher nüchtern. Dafür läuft es aber auch auf in die Jahre gekommenen Rechnern. Wer sich von der biederen Präsentation nicht abschrecken lässt, findet außerdem eine recht aktive Spielercommunity, die beispielsweise die angesprochenen Kritikpunkte auch schon beim Entwickler deponiert hat. Zudem unterstützt das Spiel Mods verschiedenen Umfangs. Einer davon "Democracy 4+" überarbeitet und erweitert das Game in vielen Bereichen. Positiv zu erwähnen ist auch, dass das Spiel ein Tutorial mitbringt, das den Einstieg ins Amt deutlich vereinfacht.

Wenngleich das Spiel also noch nicht so recht fertig ist, bietet es jetzt schon eine spannende Spielwiese für Politikjunkies, die sich gerne selbst darin probieren wollen, die Geschicke eines Landes zu lenken. (Georg Pichler, 17.1.2021)