Frage: Wie weit ist die neue britische Virusmutante B.1.1.7, die für die Verlängerung des Lockdowns mitverantwortlich ist, bereits in Österreich verbreitet?

Antwort: Das ist nach wie vor unbekannt. Faktum ist, dass sie bisher nur sehr vereinzelt mit Sicherheit nachgewiesen werden konnte und dass rund 100 Verdachtsfälle zu einer endgültigen Abklärung noch geprüft und, konkret, sequenziert werden. Mit Ergebnissen ist diese Woche zu rechnen. Tatsache ist zudem, dass es einen Verdacht gibt, dass die Variante im Wiener Abwasser gefunden wurde, aber auch hier wird die Bestätigung erst am Dienstag erwartet.

Frage: Bei einer Stichprobe in Wien mit 83 positiven PCR-Tests zeigten 14 eine für das britische Virus typische Mutation. Lässt sich daraus schließen, dass ein Gesamtanteil von B.1.1.7 von zehn bis 20 Prozent der Infektionen nicht überraschend wäre, wie Wiens Gesundheitsstadtrat Hacker vermutete?

Antwort: Nein. Denn erstens gibt es diese Mutation namens N501Y auch bei anderen Virenvarianten. Zweitens müssen auch diese 14 Verdachtsfälle erst noch sequenziert werden, um Sicherheit zu haben. Drittens ist die Stichprobe alles andere als repräsentativ. Keine Meinungsumfrage unter 100 Teilnehmern kann auch nur irgendwelche verlässlichen Ergebnisse liefern. Hackers Vermutung ist also reine Spekulation.

Frage: Kann es sein, dass der starke Anstieg an Neuinfektionen im Herbst und die extrem hohen Werte Mitte November schon etwas mit der neuen Variante zu tun hatten?

Antwort: Nein, das ist auszuschließen. Es wurden in Österreich bereits von September bis Dezember Virenproben sequenziert, und B.1.1.7 war bis Ende Dezember nicht darunter.

Frage: Gibt es aus anderen Ländern evidenzbasierte Aufschlüsse, wie weit die ansteckendere britische Variante verbreitet ist?

Antwort: Neben Großbritannien, wo B.1.1.7 wesentlich zum Infektionsgeschehen der letzten Wochen beitrug, gibt es eigentlich nur aus Dänemark verlässliche Daten, wo man bis jetzt rund 37.000 Virengenome vollständig sequenziert hat. (Zum Vergleich: In Österreich waren es bis Jahresende rund 1.300.) In Dänemark stieg der Anteil von B.1.1.7 bei den sequenzierten Proben von 0,4 Prozent in der ersten Dezemberwoche auf 3,6 Prozent in der ersten Jännerwoche.

Der langsam steigende Anteil von B.1.1.7 an den (sequenzierten) Coronaviren in Dänemark.

Unklar ist aber auch dort, wie schnell der Anteil der Variante weiter zunehmen wird und was das für die Gegenmaßnahmen bedeutet.

Frage: Was ist mit anderen Varianten wie der aus Südafrika und der neuen Mutante aus Brasilien?

Antwort: Über deren Verbreitung in Europa ist noch wenig bekannt. Die südafrikanische Variante, die mit der britischen die Mutation N501Y teilt, konnte erstmals in Dänemark nachgewiesen werden. Die brasilianische Variante P.1 wurde außerhalb Brasiliens bis jetzt nur in Japan festgestellt.

Frage: Warum bereitet die brasilianische Variante besondere Sorgen?

Antwort: Das liegt daran, dass sie in Manaus auftauchte, einer Millionenstadt im Amazonasgebiet. Dort waren bis November eigentlich schon rund 75 Prozent der Bevölkerung infiziert, wie eine neue "Science"-Studie zeigt, und es gab dort auch eine enorm hohe Zahl an Toten.

Menschen stellten sich am vergangenen Samstag in Manaus um Sauerstoffflaschen an. Die Millionenstadt am Amazonas ist die wohl am härtesten von der Pandemie betroffene Stadt weltweit, die Krankenhäuser sind abermals heillos überfüllt.
Foto: imago images/Xinhua

Dennoch kam es im Dezember zu einem neuerlichen Anstieg der Neuinfektionen, die auch mit der Mutante P.1 in Zusammenhang gebracht werden, wie nun Kollege Kai Kupferschmidt für "Science News" berichtet. Entweder sind dort nun 100 Prozent der Menschen infiziert, wie manche Wissenschafter schätzen. Oder – und das ist eine noch nicht bestätigte Vermutung – die Variante P.1 könnte zu einer Erhöhung der Zahl an Wiederinfektionen mit Sars-CoV-2 führen.

Frage: Was weiß die Wissenschaft bisher über solche Reinfektionen?

Antwort: Dass sie eigentlich sehr selten sind. Erst in den letzten Tagen konnten zumindest zwei Studien (eine in "Science" und eine, über die "Nature News" schreibt) bestätigen, dass auch Monate nach einer Covid-19-Erkrankung bei einer überwiegenden Anzahl von infizierten Personen genügend Antikörper und T-Zellen vorhanden sind, um eine neuerliche Infektion zu verhindern. Das ist es auch, was die Wissenschafter, die sich mit der Situation in Manaus und mit der Variante P.1 befassen, beunruhigt: dass diese neue Variante womöglich so viele Veränderungen aufweist, dass sie vom Immungedächtnis schlechter erkannt wird, wie "Science News" berichtet. Aber auch hier gibt es noch keine Sicherheit, und die Hypothese wird nun mit Hochdruck geprüft. Es könnte nämlich sein, dass der Infektionsschutz auch deshalb nachlässt, weil die erste Infektionswelle in Manaus so früh stattgefunden hat.

Frage: Wie steht es angesichts der neuen Virusvarianten mit den Impfungen?

Antwort: Auch das wird ständig untersucht, braucht aber ebenfalls seine Zeit, um Gewissheit zu erlangen. Nach allem, was bisher bekannt ist, wirken die mRNA-Impfungen auch gegen die Virusvariante B.1.1.7. Und man geht davon aus, dass auch die südafrikanische Variante und vermutlich auch die brasilianische noch nicht genügend Mutationen aufweisen, um den Impfschutz zu schwächen. Das Gute an den mRNA-Impfstoffen ist neben ihrer hohen Effektivität, dass sie theoretisch relativ leicht "nachjustiert" werden könnten. Doch das ist nach bisherigem Wissensstand zum Glück noch nicht nötig. (Klaus Taschwer, 18.1.2021)