E-Autos, Digitalisierung, autonomes Fahren: Die Autobranche steckt mitten in einer historischen Umbruchphase. Der neue Riese ist nicht vorne dabei.

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Man muss den Namen nicht mögen. "Stellantis" – von lateinisch "stella", Stern – heißt das neueste Weltunternehmen aus Peugeot und Citroën, Fiat und Alfa Romeo, Chrysler und Jeep, Opel und ein paar anderen. Der Name klingt so konstruiert wie der Markenkatalog in Konzernform.

Auch die Hochzeit der französischen PSA (Peugeot-Citroën) und der italienisch-amerikanischen FCA (Fiat-Chrysler) verlief am Wochenende ohne Treueschwur. Nicht die Liebe zählt, sondern die Masse. Die neue Nummer vier der Welt nach Volkswagen, Toyota und Renault-Nissan beschäftigt nach eigenen Angaben 408.000 Menschen und kommt auf 167 Milliarden Euro Umsatz.

Die Aktie des Stellantis-Konglomerats feierte am Montag ihr Debüt an der Börse in Mailand und Paris. In Mailand startete die Aktie mit 12,76 Euro. Konzernchef Carlos Tavares und Verwaltungsratspräsident John Elkann ließen am Vormittag die Glocke läuten und die Stellantis-Aktie legte um 4,5 Prozent auf 13,12 Euro zu.

Einbrüche im großen Markenreich

Die Zahlen des Konzerns sind ebenso imposant – aber alles andere als solide. Einzelne Stellantis-Marken haben im Corona-Jahr Verkaufseinbrüche von über 40 Prozent erlebt. 2019 hatten sie zusammengerechnet noch über acht Millionen Autos verkauft. In den ersten neun Monaten 2020 sollen sie laut Automotive News Europe weniger als vier Millionen abgesetzt haben. Damit wären sie in der Weltrangliste der Autokonzerne zumindest vorübergehend auf Rang sechs, noch hinter General Motors und Hyundai-Kia, zurückgefallen.

Der neue Stellantis-Vorstandschef Carlos Tavares – er leitete bisher die PSA-Gruppe – soll nun die Havarie stoppen. Er verspricht fünf Milliarden Euro an Synergieeffekten. Wie bisher schon bei Opel will er den Rotstift auch in den einzelnen Werken ansetzen, um die Überkapazitäten abzubauen.

Werksschließungen schließt Tavares aus. Details dürfte er erst im Sommer verkünden. Autoexperten glauben, dass er langfristig sogar einzelne Marken einstellen könnte – oder gar müsste. Massenhersteller wie Peugeot, Fiat und Citroën stehen sich gegenseitig auf den Füßen; und kleinere Anbieter wie Maserati, Dodge oder Lancia stehen auch nicht besser da. Ewig wird das der Darwinist Tavares ("Nur die Agilsten mit Darwin’schem Geist werden überleben") nicht dulden.

Technologisch abgeschlagen

Wie stehen Tavares’ Chancen? An sich hat er schlechte Karten. Erstens ist Stellantis zu stark auf Europa und Nordamerika fixiert; auf den Zukunftsmärkten in Asien sind seine Marken schwach. Zweitens liegen Tavares’ Marken bei der technologischen Branchenrevolution mit E-Autos, Digitalisierung und autonomem Fahren zurück, wenn man sie mit Volkswagen, Toyota und Renault-Nissan vergleicht.

Die Corona-Krise könnte aber Tavares paradoxerweise helfen, seine Marken neu aufzustellen. Das bedingt Mut und ein sicheres Gespür für Publikumsvorlieben. Der 62-jährige Portugiese bringt beides mit.

In seiner Freizeit leidenschaftlicher Rennfahrer und Mechaniker, versteht er etwas vom Innenleben von Autos, aber nicht nur: In den letzten Jahren hat er schon hoffnungslos scheinende Fälle wie Opel saniert. Dabei geht er hart zu Werk, aber nicht wie ein Finanzhai. Und auch nicht mit einem überzogenen Ego wie der gefallene Renault-Boss Carlos Ghosn. Außerdem weiß Tavares zwei Aktionärsfamilien hinter sich, die am selben Strick ziehen – die Agnellis in Turin mit 14,4 Prozent am Stellantis-Kapital und die Peugeots in Paris mit 7,2 Prozent. Beide setzen ihr Vertrauen in ihren neuen Heilsbringer.

Zwei Lahme

Insofern wirkt die Heirat von FCA mit PSA auch harmonischer als mit dem ersten Wunschbräutigam Renault 2019. Die französischen und japanischen Ingenieure von Renault-Nissan zierten sich allerdings – ebenso wie die Regierung in Paris: Fiat sei jetzt schon tot, hieß es in Paris herablassend. Also bot FCA nur fünf Monate später dem historischen Renault-Rivalen Peugeot-Citroën die Hand – und dieser ergriff sie, ohne zu zögern. Auch die Fachwelt zweifelt, ob aus zwei Lahmen ein Gesunder werden könne.

Was die Märkte denken, wird sich am Montag, weisen, wenn der 14-Sterne-Konzern in Paris und Mailand an die Börse kommt. (Stefan Brändle, 18.1.2021)