Oliver Polzer will nicht vergleichen: "Der Sport kann nichts dafür, dass die Kunst nicht stattfinden darf."

Foto: Standard/Robert Newald

Wenn Oliver Polzer nicht gerade die Quizsendung "Q1 – Ein Hinweis ist falsch" moderiert, widmet er sich im ORF dem Skisport. Rund 600 Rennen hat der Wiener bereits kommentiert, die Begeisterung für den Pistenspaß ist ungebrochen.

STANDARD: Ist der Skisport noch zu retten?

Polzer: Diese Frage überrascht mich. Ich denke nicht, dass der Skisport in Not geraten ist. Ich bin viel in Skigebieten unterwegs und erlebe durchwegs eine positive Stimmung. Aber ja, es wird notwendig sein, die Pandemie zu besiegen, damit Skitouristen aus ganz Europa wieder ihren Urlaub in Österreich verbringen können. Das ist auch eine wirtschaftliche Notwendigkeit.

STANDARD: Die Reputation des Skisports hat durch Ischgl gelitten. Ist dieser Schaden noch zu reparieren?

Polzer: Ischgl steht für Skisport. Wenn Tischtennisbälle durch Lokale in Bierbecher gespuckt werden, hat das aber wenig mit dem Sport an sich zu tun. Der Skisport ist nicht schuld an der Pandemie, der Skisport hat das Virus nicht gemacht. Es sind Fehler passiert, keine Frage. Wer von sich behauptet, alles richtig gemacht und eingeschätzt zu haben, möge den ersten Stein werfen. Ich werde das nicht tun. Wem ist in dieser Geschichte kein Fehler unterlaufen? Das Anpatzen ist in Mode gekommen, man sucht häufiger nach den Schuldigen als nach Lösungen. Das stört mich.

STANDARD: Der Skisport scheint Sonderrechte zu genießen. Das kommt nicht überall gut an.

Polzer: Was Riccardo Muti beim Neujahrskonzert gesagt hat, ist richtig. Kultur ist ein wesentliches Element für eine bessere Gesellschaft. Der Sport kann aber nichts dafür, dass die Kunst nicht stattfinden darf. Der Skisport ist ein Freiluftsport, Glück gehabt. Kunst und Kultur sind genauso wichtig. Warum darf man Ski fahren, aber nicht ins Museum gehen? Es wundert mich nicht, dass solche Fragen auftauchen. Ich möchte aber Metiers und Beschäftigungen nicht gegeneinander ausspielen. Diese Vergleiche tun uns nicht gut, sie spalten uns, davon wird niemand profitieren.

STANDARD: Verstehen Sie, dass die Bilder von überfüllten Skigebieten für Unmut sorgen?

Polzer: Die Skigebiete in Vorarlberg waren zu Weihnachten gut besucht. Mehr Menschen hätten es nicht sein dürfen. Es haben sich aber alle an die Maßnahmen gehalten. Bei den Liftzugängen wurde, soweit ich das beobachten konnte, gewissenhaft gearbeitet. Natürlich kann man warten, bis sich an einer Kassa eine Schlange bildet, um ein Foto zu schießen. Das bildet aber nicht unbedingt die Realität ab.

STANDARD: Der Skisport ist in Österreich nicht mehr heilig. Ist und bleibt er der Nationalsport Nummer eins?

Polzer: Vor zwei Jahren hat Marcel Hirscher aufgehört. Bis dahin hätte niemand angezweifelt, dass der Skisport Nationalsport Nummer eins ist. Hirscher hat uns lange Zeit verwöhnt. Natürlich ist die Begeisterung auch von den Erfolgen abhängig. Aber lass Matthias Mayer auf der Streif gewinnen, und die Euphorie ist sofort wieder da. Der Skisport bewegt die Menschen in Österreich nach wie vor.

STANDARD: Mehr als der Fußball?

Polzer: Wir haben tolle Skifahrer und eine tolle Nationalmannschaft. Es ist im Sport immer ein Auf und Ab. Vor der Euro 2016 hieß es, wir hätten die beste Elf aller Zeiten, besser als das Wunderteam. Dann gab es in Frankreich ein paar Ohrfeigen, und alle haben geschimpft. Es liegt in der Natur der Sache, dass wir mehr Ski- als Fußballweltmeister produzieren. Das wird so bleiben. Skifahren wird eben nur in einigen Ländern professionell betrieben.

STANDARD: Schmälert das nicht die Erfolge der Skiprofis?

Polzer: Ich sehe das nicht negativ. Wir haben die Berge, wir haben den Schnee, wir sehen uns das gerne an. Was spricht dagegen? Ich habe am Sonntag schon immer gerne ein Schnitzel gegessen und dabei ein Skirennen geschaut. So wurde ich sozialisiert. Ich kenne viele Menschen, die noch immer so leben. Und die Einschaltquoten sprechen dafür, dass dies nicht nur ein subjektiver Eindruck ist.

STANDARD: Trotzdem scheint der Respekt vor den Skihelden allmählich zu schwinden.

Polzer: Das glaube ich nicht. Als Matthias Mayer Abfahrtsolympiasieger wurde, waren die Zeitungen voll. Aber der Weg von Dominic Thiem zu einem Titel bei den US Open ist wohl schwieriger. Wenn Mayer sich in Kitzbühel aus dem Starthaus stößt, riskiert er seine Gesundheit. Das kann man dumm nennen, aber er macht es gerne. Thiem riskiert weniger, hat aber weltweit Fans. Ich will weder dem Ski- noch dem Tennisfan die Poleposition geben. Das, was dir am Herzen liegt, ist wichtig.

STANDARD: Ist der Skisport für den ORF noch wichtig? In der vergangenen Saison las man von einem Quotenminus.

Polzer: Der Skisport hat im Sender enorme Relevanz, das steht außer Diskussion, das wird so bleiben. Der zweite Durchgang im Slalom von Adelboden hat mehr als eine Million Zuseher erreicht. Das ist eine große Verantwortung. Natürlich hat der Rücktritt von Hirscher mitunter auf die Quote gedrückt. Das ist keine Überraschung, das muss niemanden verängstigen.

STANDARD: Was muss sich im Skisport ändern, damit er auch für die nächste Generation attraktiv bleibt?

Polzer: Im Spitzensport muss man die Gefahr verringern. Es sind zu viele Verletzte. Schicken die Eltern ihre Kinder noch mit gutem Gewissen zum Training, wenn das Material derart aggressiv ist, dass es keinen Fehler verzeiht? Da muss man sich Gedanken machen, möglicherweise braucht es dazu einen neuen FIS-Präsidenten. Es gibt Probleme im Kalender, im Reglement – das muss man angehen.

STANDARD: Letzte Frage: Wann waren Sie zuletzt Ski fahren, wann gehen Sie es wieder an?

Polzer: Vor rund zwei Wochen im Bregenzerwald. Dort gibt es ein paar Skigebiete, Damüls, Mellau. Wenn es möglich ist, fahre ich auch aufs Bödele, das ist unser Hausberg in Dornbirn. Ich freue mich jedes Mal darauf. Aber ich werde auch sehr glücklich sein, wenn ich in Wien wieder ins Theater gehen kann. (Philip Bauer, 17.1.2021)