Hermann Nitsch im Zentrum der Wagner-Pflege.

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Nicht, dass Hermann Nitschs Opernsehnsucht nicht über die Jahre bereits ein wenig gestillt worden wäre. Der Aktionskünstler hat an der Staatsoper Massenets Hérodiade prägend mitinszeniert, wie auch Schumanns Faust-Szenen in Zürich. An der Bayerischen Staatsoper musste er wiederum – ironisch durch seinen Rauschebart lächelnd – erleben, wie es ist, ausgebuht zu werden. Nitsch hatte Messiaens Fünfstünder Saint François d’Assise als farbprächtiges Spiel mit Zitaten aus seinem Orgien-Mysterien-Theater zelebriert.

Wagner schriftlich

Trotz alledem blieb wohl eine Opernsehnsucht unerfüllt – jene nach dem Werk Richard Wagners. Nitsch hatte sich auch schriftlich gründlichst mit dem Opernvisionär auseinandergesetzt. Er sah in ihm einen konzeptuellen Verwandten im Sinne der Idee vom Gesamtkunstwerk. An der Staatsoper sollte er also Parsifal inszenieren, doch daraus wurde nichts.

Nun ruft spät, aber doch der Grüne Hügel. Zwar soll Nitsch bei den Bayreuther Festspielen die Walküre weder inszenieren noch die Ausstattung kreieren. Einen Beitrag aber wird er leisten. Nitsch hat sein Prinzendorfer Sechs-Tage-Spiel vorverlegt (vom 26. Juli auf den 5. Juli), um in Bayreuth eine konzertante Version der "Walküre" in noch zu klärender Form zu bereichern. Der neue "Ring des Nibelungen" soll dann 2022 in Bayreuth in der Regie von Valentin Schwarz zu sehen sein.

Strafender Göttervater

Wo und wie er in die Geschichte eingreifen wird, bleibt rätselhaft. Wird er das inzestuöse Geschwisterpaar Siegmund und Sieglinde mit ein paar Aktionen begleiten? Wird er jenen Feuerring, den der strafende Göttervater Wotan um seine Walkürentochter Brünnhilde legt, gestalten? Nitsch, 1938 in Wien geboren, geht es in seiner Arbeit jedenfalls darum, impulsiv zum Kern des Existenziellen vorzudringen.

Es geht ihm um die Suche nach einer "tiefer liegenden Wirklichkeit", auch um die Feier der Sinnlichkeit unseres Lebens. Selbst Begriffe wie "kollektives Gedächtnis" und "Archetypen", die Nitsch in die Nähe des Psychoanalytikers C. G. Jung rücken, spielen bei seiner theatralischen Suche nach menschheitsgeschichtlichen "Urmustern" eine Rolle.

Mit Obst einreiben

Da bietet Wagners Walküre Möglichkeiten. Und Nitsch hat ja bewiesen, dass er sich bei Werkinterpretationen keine Fantasieketten anlegt. In Saint François d’Assise implantierte er Aktionisten. Nackten, die auf Kreuzen fixiert wurden, flößte man rote Säfte ein oder rieb sie mit Obst und Gemüse ein. Auch Filmdokumente von Prinzendorfer Aktionen wurden integriert und bearbeitet. Es ist somit viel möglich, nur muss sich Bayreuth trauen, also Nitsch zulassen. (Ljubiša Tošić, 18.1.2021)