Auf Joe Biden kommen große Aufgaben zu.

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An dieses Datum werden sie sich in der Stallburggasse in der Wiener Innenstadt wohl noch lange erinnern. Dort, in den Klubräumen der Österreichisch-Amerikanischen Gesellschaft (ÖAG), wollte man am 6. Jänner dieses Jahres eigentlich so feierlich wie Corona-bedingt möglich den 75. Jahrestag der eigenen Gründung begehen. Stattdessen hingen alle vor den TV-Geräten. In Washington hatte ein Mob das Kapitol, die Wiege der US-Demokratie, gestürmt, ermutigt vom noch amtierenden US-Präsidenten Donald Trump, der seine Wahlniederlage gegen Joe Biden wochenlang nicht eingestand.

Im STANDARD-Gespräch erklärt ÖAG-Präsident Philipp Bodzenta, wie sich das Verhältnis zwischen den USA und Österreich unter Trump entwickelte, was von der Biden-Regierung zu erwarten ist – und wohin sich die österreichisch-amerikanische Freundschaft entwickeln kann.

STANDARD: Was war der Zweck der Gründung der Österreichisch-Amerikanischen Gesellschaft?

Bodzenta: Die erste Aufgabe war das Verteilen der Care-Pakete, ein immens wichtiger Schritt. Und daneben ging es von Anfang an auch darum, Österreich wieder in die westliche Hemisphäre zurückzuholen – durch Dialog, gegenseitiges Verständnis, Annäherung. Die damals handelnden Personen haben sehr weitsichtig gehandelt, weil sie versuchten, eine Beziehung aufzubauen ohne Zwang und Druck. General Clark kündigte etwa bei der Gründungsveranstaltung der ÖAG am 6. Jänner 1946 an, dass die US-Truppen die k. u. k. Kronjuwelen gesichert hatten – eine immense Symbolik. Sein österreichisches Gegenüber war der Mediziner Otto Kauders, der vor den Nazis flüchten musste. Er baute das Vertrauensverhältnis zu den US-Truppen maßgeblich auf.

Von Beginn an war die Verankerung sehr groß: Im ersten Ehrenpräsidium waren die wichtigsten Vertreter des Landes, von Leopold Figl bis hin zum Kommunisten Ernst Fischer, vertreten, es gab zigtausende Mitglieder in ganz Österreich. Die österreichisch-amerikanische Freundschaft stand seither immer auf stabilen Beinen. Das ist auch gut so, die USA sind unser zweitwichtigster Handelspartner.

ÖAG-Präsident Bodzenta: Die USA als zweitwichtigster Handelspartner Österreichs haben ein grundsätzlich positives Image, daran hat auch die Trump-Zeit nichts geändert.
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STANDARD: Es gibt also einen klaren ökonomischen Fokus?

Bodzenta: Keineswegs. Die ÖAG war immer breit aufgestellt. Kultur war immer ein starkes Thema. In den 1960er-Jahren etwa war die Mondlandung bestimmend, da gab es eine große Nasa-Ausstellung. In den 1970ern war das Thema 200 Jahre USA, und so weiter. Der Grundgedanke, der immer dahinter stand: Wie bringt man die Bevölkerungen von Österreich und den USA einander näher? Wir haben auch immer über Politik gesprochen – aber wir sind nie parteipolitisch positioniert.

STANDARD: Just zum 75. Geburtstag der Österreichisch-Amerikanischen Gesellschaft ereignete sich der Sturm aufs Kapitol. Was haben Sie da gedacht? Ende der Freundschaft?

Bodzenta: Nein, so krass nicht. Aber es war schon ein großer Schock. Unser Vereinszweck ist es ja, Menschen zusammenzubringen. Und dieser Aufruhr hat uns gezeigt, wie schnell es gehen kann, dass das Gegenteil passiert. Man muss gegenseitiges Verständnis immer neu erarbeiten. Die USA haben schwere Zeiten vor sich. Es gilt, das verlorene Vertrauen daheim und in der Welt wiederzugewinnen.

STANDARD: Nicht erst seit den Ereignissen im Kapitol sehen wir, dass die USA zutiefst gespalten sind. Was muss aus Ihrer – "freundschaftlichen" – Sicht jetzt passieren?

Bodzenta: Zunächst einmal wird es diesen Selbstreinigungsprozess brauchen, die USA müssen diese Sache juristisch sauber aufarbeiten. Das wird bestimmt passieren. Was aber genauso wichtig ist: Es ist eingetreten, wovon wir immer ausgegangen sind. Das System von Checks und Balances hat gehalten. Der Vizepräsident hat seine Aufgabe erfüllt, ebenso Kongress und Senat die ihren. Das ist beruhigend. Laut der aktuellen Edelmann-Studie ist das Vertrauen der Menschen in die Institutionen stark zurückgegangen. Besonders in Amerika, besonders unter Trump-Wählern. Daran muss die Biden-Regierung arbeiten – aber auch wir alle. Denn auch in Europa und in Österreich driften viele in ihre eigenen Bubbles ab und sind nicht mehr erreichbar.

STANDARD: Was kann eine Gesellschaft wie die ÖAG da beitragen?

Bodzenta: Wir können unserem Gründungsgedanken weiter folgen – Menschen zusammenbringen, diskutieren, einander kennenlernen, sich aufeinander einlassen.

STANDARD: Heißt das auch, Menschen einzuladen, die der Verschwörungsplattform QAnon anhängen?

Bodzenta: Ich finde es immer wichtig, sich alle Seiten anzuhören und möglichst offen auf Menschen zuzugehen. Natürlich muss man dabei auch Grenzen setzen, aber der Horizont sollte so weit wie möglich gespannt werden. Gerade die USA sind ja sehr liberal, was freie Meinungsäußerung betrifft. Man muss sich damit auseinandersetzen, es ist ein wichtiger Teil des demokratischen Prozesses.

STANDARD: Die Trump-Anhänger und Verschwörungstheoretiker sind das eine, das andere ist jener Teil der US-Bevölkerung, der grassierendem Rassismus ausgesetzt ist. Wird dies auch bei ÖAG-Veranstaltungen thematisiert?

Bodzenta: Auch das ist ein Thema, mit dem wir uns auseinandersetzen. Wir müssen Brücken bauen, das ist unser Grundgedanke. Dazu gehören auch schwierige Themen. Wenn man nur das Leichte thematisiert, wo alle zustimmen können, kann man ja leicht ein Held sein. Man kann das Thema aber auch über viele Facetten abhandeln, über die Musik etwa. Da machen wir hier in Wien sehr viel dazu.

STANDARD: Was ist aus Ihrer Sicht die dringendste Aufgabe der Biden-Regierung?

Bodzenta: Der Radikalisierung im Land die Spitze zu nehmen. In den vergangenen Jahren, eigentlich seit Beginn der Nullerjahre, war das Trennende sehr im Trend, nicht nur in den USA – siehe Brexit. Es wäre Zeit, wieder mehr auf das Gemeinsame zu setzen, gerade während und nach der Corona-Pandemie. Ich glaube, dass Biden und sein Team hier gute Karten haben. Sie repräsentieren Vielfalt, und es sind gute Köpfe dabei, mit viel Erfahrung.

STANDARD: Wie war es für US-Amerikaner, die in der ÖAG auftraten? Mussten sie sich gegenüber ihren österreichischen Gesprächspartnern wegen Trump häufig rechtfertigen?

Bodzenta: Das Image der USA war auf der einen Seite nicht besonders hoch in den vergangenen Jahren, das Image Russlands dagegen wurde deutlich positiver. Allerdings ist das vielschichtig. Denn wer geht denn, überspitzt formuliert, nach Russland, nach Moskau studieren? In die USA dagegen, nach Stanford, Yale, Harvard – da würden alle Studierenden gerne hingehen. Das bedeutet, das Image der USA ist immer inhärent positiv geblieben.

STANDARD: Wie sehen Sie die Aufgabe der ÖAG in Zukunft?

Bodzenta: Ich möchte gerne haben, dass wir die vielen positiven Aspekte der USA in Österreich wieder in den Vordergrund stellen – etwa die Filmindustrie, die einen wesentlichen Einfluss auf unsere Kultur hat. Dasselbe gilt für die Musik, die Start-up-Szene, die Green Economy. Enge Zusammenarbeit zwischen den USA und Europa ist unabdingbar. Das sieht man gerade am ersten zugelassenen Corona-Impfstoff von Pfizer und Biontech. Eine gelungene Kooperation. Daran müssen wir arbeiten, und wir brauchen da auch eine gewisse Großzügigkeit und Toleranz einander gegenüber. Ich halte es mit Billy Wilder, dem wohl berühmtesten Österreicher in Amerika. Wie lautet der Schlusssatz in seinem Film "Manche mögen's heiß"? Nobody is perfect. (Petra Stuiber, 21.1.2021)