Kaum Masken, kaum Abstand – und kaum Konsequenzen. Der legere Umgang mit Corona-Verharmlosern bringt nun die Wiener Polizei unter Druck.

Foto: Christian Fischer

Über 10.000 "Querdenker" zogen vergangenen Samstag über den Wiener Ring – ohne dabei von der Polizei gestört zu werden. Das sorgt nun für ein Nachspiel innerhalb der Polizei. Die Demonstranten zogen zum allergrößten Teil ohne Masken durch die Innenstadt, die Polizei eskortierte sie – obwohl sie vorher angekündigt hatte, Verstöße gegen die Maskenpflicht hart zu ahnden. Mit 156 Anzeigen wurde jedoch nur ein Bruchteil der Demo-Teilnehmer erfasst.

Das beschäftigte am Montag auch das Innenministerium. Nicht nur, weil das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) schon im Vorfeld vor der Unterwanderung der protestierenden Gruppen durch Rechtsextreme gewarnt hatte. Sondern auch, weil bei dem Einsatz offenbar eine eigens von Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) herausgegebene Richtlinie nur nachlässig umgesetzt worden war.

"Paradigmenwechsel"

Dieser soll deshalb mit dem Polizeieinsatz am Samstag ganz und gar nicht zufrieden gewesen sein. Nun wird der Einsatz durch den Generaldirektor für die Öffentliche Sicherheit, Franz Ruf, evaluiert, wobei es auch um einen "Paradigmenwechsel im Umgang mit diesen Demos" gehe, wie DER STANDARD dazu am Montag erfuhr. "Alles einfach nur begleiten und sie gewähren lassen, solange sie sich friedlich verhalten, ist nicht genug", wenn die Corona-Regeln nicht eingehalten werden, hieß es aus dem Innenministerium.

Auch das augenscheinlich gute Verhältnis einzelner Beamter zur Szene sei ein Thema. So fiel einer der Einsatzleiter in den vergangenen Monaten mehrfach durch freundschaftlichen Umgang mit Demo-Organisatoren auf. Am Samstag war er im Gespräch mit Demo-Veranstalterin Jenny Klauninger zu sehen. Dass sie dabei keinen Mundschutz trug, störte ihn offenbar nicht. Nach der Demo bedankten sich in sozialen Medien dementsprechend viele Teilnehmer bei der Polizei für ihren freundlichen Umgang.

Ränkespiele in der Polizei

Die Begeisterung der teils rechtsextremen Demo-Teilnehmer für das Gebaren der Polizei stört das Innenministerium massiv. Schon am Freitag waren in einer Vorbesprechung verschiedene Vorstellungen aufeinandergeprallt. Für den Wiener Polizeipräsidenten Gerhard Pürstl soll das oberste Ziel eine "ruhige" Demonstration gewesen sein, die ohne besondere Vorfälle ihre Runde um den Ring ziehen kann.

Das spießte sich mit der Vorgabe des Innenministeriums, scharf auf Verstöße gegen die Maskenpflicht zu achten und schon beim Zustrom zur Demo Präsenz zu zeigen. Durchgesetzt hat sich augenscheinlich Pürstl, der noch vor wenigen Jahren durch das harte Vorgehen gegen linke Demonstranten beim Akademikerball oder Gegendemos zu Aufmärschen der rechtsextremen Identitären aufgefallen war.

Den Gegnern der Corona-Maßnahmen, darunter Neonazis, Hooligans und amtsbekannte Rechtsextreme, sollte die Polizei jetzt möglichst fernbleiben. Die Chance, beim Zustrom zur Demonstration scharf zu kontrollieren, ließ die Wiener Polizei großteils ungenutzt. Danach war es zu spät: In einen Demonstrationszug aus tausenden Menschen könne man kaum eingreifen, erklärt ein erfahrener Beamter dem STANDARD. Würde man sehr viele Identitätsfeststellungen durchführen und Anzeigen erstatten, steckten tausende Demonstranten bei eisigen Temperaturen fest. Auch sei eine Gewalteskalation durch anwesende Neonazis nicht auszuschließen gewesen. Mit Blick auf die Vielzahl an Kindern, die von ihren Eltern auf die Demo mitgebracht wurden, sei die Gefahr von Ausschreitungen zu hoch.

Ansteckungsgefahr im Kessel

Diese Ansicht teilt auch Martin Hollunder-Hollunder. Er war zehn Jahre Bundeseinsatztrainer für das Innenministerium. Bei großen Veranstaltungen, bei denen die Stimmung aufgeheizt ist, könnte es leicht zu Ausschreitungen und somit zu Schäden auf beiden Seiten kommen, sagt er. Das Ziel der Covid-Maßnahmenverordnung sei es, Ansteckungen zu verhindern. Bei einem sogenannten Polizeikessel, also dem Umzingeln von Demoteilnehmern durch Beamte, hätte sich die Menge nur noch dichter gedrängt, und es wäre zu weiteren Kontakten auch mit Beamten gekommen, so Hollunder-Hollunder. Um 10.000 Menschen zu beamtshandeln, hätte man mindestens 15.000 Beamte gebraucht – und viel Zeit.

Jugendliche erzählen

Leichter war es da für die Polizei, die antifaschistischen Gegendemonstranten zu kesseln und zu verfolgen. Mehrere Jugendliche erzählten dem STANDARD, nach der Auflösung einer Sitzblockade beim Stubenring mit Polizeihunden durch den Stadtpark verfolgt worden zu sein. Davon existieren auch Fotos. Die Jugendlichen seien zu diesem Zeitpunkt nicht vermummt gewesen, hatten aber immer den Mund-Nasen-Schutz getragen. Ein 15-jähriger Schüler gab an, von einem Beamten ohne Mundschutz zu Fall gebracht worden zu sein. Ein Sprecher des Innenministers kündigte eine Prüfung der Sache an.

Am Montagnachmittag gab es dann ein "mea culpa" von Pürstl: Verwaltungsdelikte müssten künftig besser geahndet werden, sagte dieser der Nachrichtenagentur APA. "Wir hätten wahrscheinlich in der Anfangsphase noch früher stärker einschreiten können", räumte Pürstl ein. Man müsse lernen, Versammlungen nicht nur zu ermöglichen und zu schützen, sondern auch in Versammlungen einzugreifen. Kritik äußerte er daran, dass Großversammlungen wie die Demo im Lockdown erlaubt seien. (Colette M. Schmidt, Laurin Lorenz, Fabian Schmid, 18.1.2021)