Auch auf der visuellen Ebene wird deutlich, dass der Aufstand von Washington im Zeichen der vehementen Ablehnung liberaler und antirassistischer Politik stand, sagt die Politologin Karin Liebhart im Gastkommentar.

Die Historikerin Kellie Carter Jackson brachte es im Magazin The Atlantic auf den Punkt: Der Sturm auf das Kapitol in Washington war nicht nur ein gewalttätiger antidemokratischer Aufruhr, sondern auch eine Demonstration des rassistischen Anspruchs auf die Vorherrschaft der "Weißen".

Donald Trumps "white-power presidency", so die African-American-Studies-Spezialistin Keeanga-Yamahtta Taylor im New Yorker, und seine zahlreichen rassistischen Ausfälle haben Ideen einer White Supremacy salonfähiger gemacht, strukturellen Rassismus gestärkt und Radikalisierungsprozesse befördert. Die Trump-Administration ließ rechtsextreme, rassistische Gruppierungen nicht nur gewähren, diese erhielten oftmals sogar noch den Zuspruch des Präsidenten. So sagte Trump etwa nach dem Mordanschlag auf Gegendemonstrierende bei der von Neonazis, Mitgliedern des Ku-Klux-Klans und der Alt-Right-Bewegung organisierten "Unite the Right rally" in Charlottesville 2017: "Sehr gute Leute auf beiden Seiten."

Weiße Nationalisten, evangelikale christliche Vereinigungen, antisemitische Verschwörungstheoretiker und andere Vertreter und Vertreterinnen des extrem rechten Spektrums von Politik und Gesellschaft hatten Trump bereits im Wahlkampf 2016 unterstützt. Unter dem Motto "Save America" und aufgehetzt durch den noch amtierenden Präsidenten, stürmten militante, Waffen tragende Gruppierungen wie Proud Boys, Boogaloo Boys und Oath Keepers, fundamentalistische Evangelikale, Verschwörungstheorie-affine Anhänger der QAnon-Bewegung und weit rechte Republikaner und Republikanerinnen schließlich die zentrale demokratische Institution der USA.

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QAnon-Anhängerin vor dem Kapitol.
Foto: AP / Ted S. Warren

Rechtsextreme Vielfalt

Das Nebeneinander einer Vielfalt politischer, religiöser und mythologischer Symbole und Codes, die auf den unzähligen Bildern von den Ausschreitungen zu sehen sind, unterstreicht die Heterogenität der Teilnehmenden, zeigt aber auch, wie sehr dieses Ereignis von der Idee der White Supremacy bestimmt war. Was all diese Gruppen letztlich vereint, ist die pseudowissenschaftlich argumentierte Idee einer prinzipiell überlegenen, aber durch People of Color, Migranten und Migrantinnen und liberale Politik bedrohten weißen Rasse und Kultur. Gegen diese fantasierte Bedrohung wird mit Gewalt vorgegangen. Das Foto eines improvisierten Galgens vor dem Kapitol, das historische Lynchmorde in Erinnerung ruft, ist ein deutlicher Hinweis.

Ein weiteres Beispiel dafür ist die Aufnahme eines mittlerweile inhaftierten Mannes, der innerhalb des Gebäudes im schwarzen Sweatshirt mit Totenkopf und der Aufschrift "Camp Auschwitz. Work brings Freedom" posiert. Mit diesen Fotos sind zwei Feindbilder der White Supremacists klar benannt: People of Color sowie Jüdinnen und Juden. Letztere gehören im von Antisemitismus geprägten Weltbild der rechtsextremen Suprematisten nicht zur weißen Bevölkerung. Zudem stehen sie angeblich im Zentrum verbrecherischer globaler Verschwörungsnetze, wie QAnon behauptet.

Ebenfalls zu sehen war die schwarz-blau-weiße "Thin Blue Line"-Flagge, ein Symbol der "Blue Lives Matter"-Bewegung, die für Polizisten und Polizistinnen mehr Schutz vor gewalttätigen Übergriffen fordert. Diese Flagge gilt auch als Anti-Black-Lives-Matter-Flagge. Von White Supremacists wurde sie schon in Charlottesville neben der rassistisch konnotierten Konföderiertenflagge präsentiert. Sie war auch konstanter Bestandteil der Wahlkampfinszenierung Trumps 2020 und kann als Symbol eines systemimmanenten Rassismus gedeutet werden.

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Trump mit "Blue Lives Matter"-Flaggen im Wahlkampf 2020.
Foto: Reuters / Tom Brenner

Ablehnung liberaler Politik

Statement-T-Shirts mit Kreuzen, der Aufschrift "In Good We Trust", und Anspielungen auf die Kreuzzüge verweisen hingegen auf Vorstellungen evangelikal-christlicher Gruppierungen von einem bevorstehenden globalen Krieg gegen äußere (Islam) und innere Feinde (Liberale), die traditionelle Werte bedrohen. Allgegenwärtig waren das MAGA-Logo sowie die Aufschriften "America first" und "Civil War". Der hier angesprochene zweite Bürgerkrieg soll eine Gesellschaft errichten, die der weißen Bevölkerung ihre überlegene Stellung absichert.

Auch auf der visuellen Ebene wird deutlich, dass der Aufstand von Washington im Zeichen der vehementen Ablehnung liberaler und antirassistischer Politik, die demnächst noch dazu von einem multiethnisch zusammengesetzten Regierungsteam organisiert wird, stand. Die Zerstörung eines Fotos des kürzlich verstorbenen Bürgerrechtlers und Kongressabgeordneten John Lewis vor dem Büro des demokratischen Mehrheitsführers im Repräsentantenhaus ist ein weiteres Indiz dafür.

Die Ereignisse des 6. Jänner haben allerdings auch noch andere Bilder in Umlauf gebracht, jene vom Wahlsieg der beiden neu gewählten demokratischen Senatoren aus Georgia, der die Mehrheitsverhältnisse im Senat zugunsten der Demokraten veränderte. Beide Senatoren gehören Minderheiten an, die Anhänger und Anhängerinnen der Idee einer White Supremacy keineswegs in politischen Ämtern sehen wollen. (Karin Liebhart, 19.1.2021)