Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

PRO: Wir lassen uns foppen

von Colette M. Schmidt

Es ist bizarr genug, dass jene, die jetzt "Diktatur" schreiend durch die Straßen ziehen, von demokratiefeindlichen Gruppen angeführt werden – gemeinsam mit Altrechten, die einst öffentlich die Wiedereinführung der NSDAP als Wahlpartei einforderten. Und es ist ein altes Spiel der Rechten, die Macht mit den Mitteln der Demokratie anzustreben, um diese dann langsam auszuhöhlen.

Aber selbstverständlich gilt auch für Rechte das Versammlungsrecht. Das stellt kein vernünftiger Mensch in Abrede. Wogegen sich Kritiker von Corona-Demos wie jener am Wochenende wehren, ist die offenbare Bevorzugung dieser Veranstaltungen. Sie dürfen mitten in der Pandemie offen gegen die Maskenpflicht verstoßen und das Virus verbreiten. Immerhin sind sie auch, wie Bilder belegen, ohne Masken in Bussen angereist.

Man stelle sich vor, diese Leute wären Linke oder Flüchtlinge, die behaupten, es beschneide ihre Freiheit, nicht mit 150 km/h über den Ring glühen zu dürfen. Gut das ist zu irreal. Besser: Man stelle sich vor, ein Block einer linken Demo wäre vermummt. Gab es. Die Demo wurde gestoppt. Oder: Ein paar Punks besetzen ein Haus und betreiben darin eine Pizzeria. Gab es. Es fuhren Panzerwagen und Wasserwerfer auf.

So weit muss man es nicht kommen lassen. Aber dass sich die Herrschaften Masken aufsetzen, bevor sie wieder zum Sturm auf das Parlament blasen, ist wohl nicht zu viel verlangt. Wer das nicht begreift, lässt sich vom Spiel der Rechten foppen. (Colette M. Schmidt, 18.1.2021)

KONTRA: Wir halten das aus

von András Szigetvari

Ohne Zweifel, die Polizei misst mit zweierlei Maß. Während Gegendemonstranten festgenommen wurden, durften Gegner der Corona-Maßnahmen am Wochenende ohne Maske und Abstände durch Wien ziehen. Diese Ungleichbehandlung gehört untersucht und ist eines Rechtsstaates unwürdig. Die Lehre aus der Causa sollte aber nicht lauten, dass künftig jede Demo von Querdenkern aufgelöst wird, wenn sich die Teilnehmer nicht an Regeln halten. Es lässt sogar Unbehagen zurück, wie leichtfertig in sozialen Medien Eingriffe in das Demonstrationsrecht verlangt werden, wenn es um Gegner von Corona-Maßnahmen geht.

Politische Grundfreiheiten dürfen auch in der Pandemie nicht außer Kraft gesetzt sein. Es gilt abzuwägen: Was wiegt schwerer, Freiheiten einzuschränken oder die Gefahr, dass es zu mehr Ansteckungen kommt? Da die Proteste im Freien waren und sich bei Massentests aktuell zeigt, dass bis zu 0,2 Prozent der Proben positiv sind, wird diese Demonstration für den Pandemieverlauf keinen großen Unterschied machen.

Natürlich stellen die Protestierenden unappetitliche Forderungen, Rechtsextreme vereinnahmen die Demos. Aber auch sie haben ein Recht zu protestieren. In einer Demokratie gibt es zudem das Recht, sich zu blamieren. Der liberale Staat hält das aus. Die Grenze ist Gewaltandrohung oder -anwendung. Wer ein hartes Durchgreifen verlangt, muss zudem eines bedenken: Die Bilder davon würden nur der Bewegung nützen. (András Szigetvari, 18.1.2021)