"Killthetrauerspiel", das sind Barbara Wolfram, Bérénice Hebenstreit, Asli Kişlal, Angela Heide, Lisa Weidenmüller, Eva Puchner (v. li.; nicht im Bild: Johanna Rosenleitner, Birgit Schachner).

Derya Schuberth Gülcehre

Wie tief sitzt Geschlechterungerechtigkeit in den darstellenden Künsten? Wo fängt sie an zu wirken, und welche Strukturen begünstigen sie mit welchen Folgen? Dafür gibt es in vielen Ländern bereits umfassende Studien. Seit 27. November ist es auch in Österreich so weit: Der Nationalrat hat über alle Parteien hinweg einstimmig beschlossen, alle fünf Jahre einen Gender-Report zu veröffentlichen – für alle Kunstsektionen. Das ist ein (später) Meilenstein in der hiesigen Geschlechterpolitik.

Wie notwendig er ist, zeigt die Tatsache, dass es Theaterspielpläne ohne einzige Regisseurin und ohne Autorin gibt. Und keine große Bühne der Bundeshauptstadt von einer Frau geleitet wird. Was muss dieser Report alles umfassen? Für den Theaterbereich hat sich die Initiative "Killthetrauerspiel" für eine solche Erhebung eingesetzt. Bei Bérénice Hebenstreit und Eva Puchner fragen wir nach.

Eva Puchner, Kulturmanagerin und Performerin.
Foto: privat

STANDARD: Ziel des Gender-Reports ist es, Daten zu erheben für eine "evidenzbasierte Gleichbehandlungspolitik". Welche Fragestellungen sind aus Ihrer Sicht dafür im Theater relevant?

Hebenstreit: Ganz wichtig ist es, dass Daten bundesweit erhoben werden, sprich von Landesbühnen, Mittelbühnen, einem repräsentativen Ausschnitt der freien Szene sowie Festivals – und eben nicht nur Bundesinstitutionen.

Puchner: Wichtig ist uns auch ein intersektionaler Ansatz, das heißt, dass verschiedene, einander auch überlappende Formen der Benachteiligung eruiert werden, neben Geschlecht auch Rassismus, Behindertenfeindlichkeit, Altersdiskriminierung oder Homophobie. Es geht hier also nicht darum, 40-jährige weiße Frauen in Führungspositionen zu hieven.

Bérénice Hebenstreit, Theaterregisseurin in Wien.

Hebenstreit: Es geht auch nicht nur um Leitungspositionen, sondern darum, Institutionen und Produktionen auf verschiedenen Ebenen zu untersuchen, auch in ihrer Breite, in ihren Berufsfeldern.

STANDARD: Ein Beispiel?

Puchner: Warum sind die meisten Assistenzen weiblich vergeben, die Regisseure auf den großen Bühnen aber meist männlich? Diese festgefahrenen Zuschreibungen gilt es zu hinterfragen und aufzubrechen. Und wie verhält es sich mit den Gehältern? Den Gender-Pay-Gap herauszuarbeiten wäre auch ein Wunsch. Vermutlich unrealistisch.

Hebenstreit: Es sollte sichtbar werden, wie sich Geschlecht in unseren Institutionen ausdrückt und welche den Geschlechtern zugewiesene Domänen es gibt. Maske ist weiblich, Technik männlich. Ich finde, es ist eine legitime Forderung, dass Gehälter (und Produktionsgelder) von subventionierten Institutionen Teil der Erhebung sind. Der Report darf keine Symbolpolitik bleiben. Wenn das der Fall wäre, dann würde er der Diskussion sogar mehr schaden.

STANDARD: Wie soll dieser Studienbauplan entwickelt werden?

Hebenstreit: Entscheidend ist, dass Politik und Wissenschaft Vertreterinnen der Branche einbeziehen, diese können spezifisches Wissen einbringen. Die Fragen müssen weit über das hinausreichen, was ich allein beim Lesen des Spielplans schon erkenne.

STANDARD: Der Filmbereich hat als einziger bereits einen Report angestrengt und 2016 ernüchternde Zahlen vorgelegt. Ist der Report ein Vorbild?

Puchner: Durchaus, aber jede Kunstsparte funktioniert anders, die Datenerhebung in der Theaterszene ist komplexer, vor allem wenn man sie bundesweit erfassen möchte.

STANDARD: Wie war bisher der Kontakt mit der Politik?

Puchner: Wir haben uns vor zwei Jahren formiert und uns mit Vertreterinnen der Interimsregierung getroffen, um den Gender-Report voranzutreiben. Es hieß damals: "Euer Anliegen ist total wichtig, so eine Studie braucht es. Ihr müsst sichtbarer und mehr werden." Dass es im November zu einem Entschließungsantrag kam, war aber letztlich eine Überraschung.

STANDARD: "Killthetrauerspiel" sind sieben Personen, nur Frauen. Absicht?

Puchner: Ja, wir haben uns als Frauen der Branche gefunden.

Hebenstreit: Analog zu FC Gloria im Filmbereich. Wir wollen eine Plattform sein für Austausch für Diversität auf und hinter den Bühnen. Und das natürlich auch gemeinsam mit Männern, die unser Anliegen teilen.

STANDARD: Es ist letztlich ein Ressourcenkampf. Wie nimmt man den Männern die Angst?

Hebenstreit: Es gilt, gemeinsam für chancengleiche Arbeit zu kämpfen. Es geht um Verteilung, also Umverteilung im Sinne einer größeren Gerechtigkeit. Aber es geht auch um eine große Allianz, gerade in der jetzigen Krise, damit wir als Theater überhaupt genügend Mittel haben.

Puchner: Das wäre langfristig das große Ziel. Die Struktur am Theater ist leider noch immer sehr patriarchal und hierarchisch. Wenn sich das ändert, können schlussendlich alle davon profitieren, und niemand braucht Angst zu haben.

STANDARD: Mehr Diversität ist auch auf der Bühne gefragt. Das klassische Repertoire reproduziert aber die immer gleiche Beschaffenheit eines Ensembles. Wie kann man das auflockern?

Puchner: Es bräuchte Forschungsgelder, um den Kanon zu erweitern, sprich vergessene Autorinnen bekannt zu machen.

Hebenstreit: Wiederentdeckungen sind ein langwieriger Prozess. Ich kenne Monografien aus den 1990ern, die sich mit vergessenen Dramatikerinnen beschäftigen. Und zum Teil sind diese Monografien heute schon nur mehr antiquarisch erhältlich. Das klassische Repertoire gibt es auch in der Oper – ein branchenübergreifender Austausch ist uns da ein großes Anliegen.

STANDARD: Was ist, wenn nach fünf Jahren nichts passiert ist? Was dann?

Puchner: Wenn die Studie da ist, dann fängt die Arbeit erst an. Dann muss ein Maßnahmenplan erstellt werden. Im Sinne von: Bis 2050 muss Österreich genderfit sein!

Hebenstreit: Die Geschichte hat gezeigt, dass die Erkenntnis allein nicht reicht. Es braucht verbindliche Maßnahmen. Frage bleibt, was liegt im Verantwortungsbereich der Institution, was bei der Kulturpolitik. Kurz gesagt: Maßnahmen von oben, noch mehr Druck von unten.

Puchner: Auch die Quote wäre ein zielführender Hebel. Bei österreichischen Aufsichtsräten besteht sie seit 2018, in anderen Ländern schon seit Jahren. Fördervergaben könnten dahingehend gerechter gelenkt werden, gerade bei hochsubventionierten Institutionen ist das vertretbar. (Margarete Affenzeller, 19.1.2021)